Sturmlauf gegen die Geschichte

Umstritten Von Peter Handke gibt es ein neues Buch und die erste Biographie - und er ist wieder einmal im Gerede

Die Wunden der Jugoslawienkriege vernarben, die Erregung lässt trotz Ungelöstem nach. Allerdings, es kochte dieser Tage nochmals hoch, als Malte Herwig in seiner Peter-Handke-Biografie Meister der Dämmerung über das Treffen des Schriftstellers mit dem sehr wahrscheinlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadžić berichtete. Einige wünschten sich einen „selbstbewussteren“ Biografen, der mit seinem Gegenstand härter ins Gericht geht. Aber es war ein kurzer Sturm im Wasserglas des Feuilletons, kein Politiker beteiligte sich an der Debatte, obwohl das einst von Karadžić regierte Bosnien auch fünfzehn Jahren nach dessen Herrschaft nicht aufblühen will. Oder nähert man sich insgeheim dem noch isolierten Peter Handke an, dessen Einschätzungen plausibler werden? „Und hören wir schließlich auf, die Massaker (unter denen, im Plural, diejenigen von Srebrenica im Juli 1995 tatsächlich bei weitem die abscheulichsten sind) dem serbischen (Para)-Militär zuzuschreiben. Ich wiederhole aber, wütend, wiederhole voller Wut auf die serbischen Verbrecher, Kommandanten, Planer: Es handelt sich bei Srebrenica um das schlimmste ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘, das in Europa nach dem Krieg begangen wurde.“

Dass Peter Handke so beharrlich auf Jugoslawien setzte, wurzelt tief in dem unehelichen Sohn einer österreichischen Slowenin und eines Berliner Wehrmachtsoffiziers. Jugoslawien wurde sein Traumland, in das auch einige seiner zentralen Figuren aufbrechen, das Land mithin, in dem er auf der Insel Krk seinen ersten Roman schrieb. Ein weiteres kommt dazu: Handke, der von unten Kommende, hat sich stets mit den Verlierern und Leidenden, mit den Randständigen und Schwierigen solidarisiert; was für Menschen gilt, gilt hier eben auch für ein Volk, die Serben. So ergeben seine durchaus heiklen Treffen Sinn. Wo besuchte er Milošević? Im Gefängnis. Wo traf er Karadžić? Auf der Flucht. Vorher hatte er indes Opfer und Gegner aufgesucht. Handkes Eigensinn ist bekannt, er lässt sich seine Begegnungen nicht vorschreiben. Auch der Kontakt mit einem Politiker wie Bruno Kreisky entstand nicht auf einem Staatsempfang, sondern weil der legendäre Sozialdemokrat, anders als viele seiner Nachfolger, gern las und vom sozialen Empfinden in Handkes bis heute erfolgreichstem Buch Wunschloses Unglück ergriffen war.

Der Jähzornige

Treffen zwischen Autoren und Politikern bleiben ambivalent. Diejenigen, die sich mit Geschichte auseinandersetzen, begegnen denen, die Geschichte machen wollen. Herrscher von heute treffen auf jene, die möglicherweise morgen ihr Bild mitbestimmen. Nicht wenige Klassiker führten deshalb ein Leben zwischen Hofdichter und Staatsfeind, gelobt und verdammt.

Dennoch spielen in Handkes Werk Haupt- und Staatsaktionen nur eine Nebenrolle. Sein Biograf Malte Herwig, der Zugang zu Tagebüchern und Freunden hatte, porträtiert den Dichter als einen Jähzornigen – und als einen Erzähler (nicht Romancier!), der autobiografisches Material verwandelt, denn „je mehr man fingiert, desto eher wird vielleicht die Geschichte auch für jemand anderen interessant werden, weil man sich eher mit Formulierungen identifizieren kann als mit bloß berichteten Tatsachen“. So dichtet der Autor von Als das Wünschen noch geholfen hat seine Vorfahren um. Auch in seinem neuen Buch Immer noch Sturm. Hier wird, wie bei einigen Vorgängern, aus dem auf der Krim gefallenen Onkel, dem Wehrmachtsobergefreiten Gregor Siutz, ein slowenischer Partisan. Die Feldpostbriefe waren übrigens die erste Lektüre des hochbegabten Peter Handke, der aus bildungsfernen Schichten kommend, schon als Vierjähriger unbedingt lesen lernen will.

Bei Immer noch Sturm geht es um seine Vorfahren und seine engere Heimat, um Kärntner Partisanen, die viele Österreicher nach dem Weltkrieg, weil sie für Jugoslawien und nicht für „Großdeutschland“ kämpften, des Landesverrats bezichtigten.“Es herrscht weiterhin Sturm. Andauernder Sturm. Immer noch Sturm. Geschichte: der Teufel in uns, in mir, in dir, in uns allen, spielt Gott, höchste Instanz, höchstes Prinzip. Und Summe des Unrechts wird Summe des Rechts“ sagt am Ende der zum Partisanen verwandelte Gregor. Ein Drama der Geschichte konzipiert als Drama gegen die Geschichte. Aus dieser Spannung erwächst das Gesamtwerk des Grenzgängers Peter Handke, der zwischen den Gattungen wandelt – in Immer noch Sturm zwischen Schauspiel und Epik –, und der wurzelhaft an Grenzen lebt – zwischen der deutschen und der slawischen Welt, zwischen Dorf und Stadt, zwischen Wunschtraum und Realität.



Meister der Dämmerung. Peter Handke Eine BiographieMalte Herwig München 2010, 368 S., 22,99

Immer noch SturmPeter Handke Berlin 2010, 166 S., 15,90

Von Achim Engelberg ist gerade die Familiensaga Die Bismarcks erschienen (Siedler Verlag, zusammen mit Ernst Engelberg)

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