Die Blogger brauchen therapeutischen Beistand

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der Blogger Streifzug hat eine therapeutische Maßnahme ergriffen, um die Freitags-Community wieder auf die Füße zu kriegen. Er eröffnete einen Schimpf- und Hassblock und lud ein, sich das Aggressionspotenzial von der Seele zu schreiben, gleich einem Boxsack, den man jugendlichen Gewalttätern als Mittel der Spannungsabfuhr ins Zimmer hängt.Das Blog wurde innerhalb kürzester Zeit sehr stark frequentiert. Nur: Reingehauen, wie man in einen Boxsack mit voller Wucht reinhaut, wurde nicht. Deshalb ist das Fragezeichen groß, ob sich eine therapeutische Wirkung einstellen und ihren Ausdruck im freundlichen Austausch der Argumente finden wird. In den verabreichten Dosen waren zu viele Globuli, zu viel Homöopathisches und zu wenige Produkte der Pharmaindustrie.

Deshalb wird diese wohl eher einmalige Form keine nachhaltigen therapeutischen Erfolge zeitigen, denn der Blogger und die Bloggerin an sich scheinen gar kein Interesse am gleichberechtigten Austausch mit den Anderen zu haben. Das zumindest diagnostiziert in einer Polemik der freie Publizist und Autor Dr. Magnus Klaue, der in diversen linken Publikationen, so auch im Freitag, seine Überlegungen veröffentlicht. In der im September erschienen Jahreszeitschrift literatur konkret verteilte er unter der Überschrift Welt ohne Bürger seine Blogger-Watschen. Die Welt ohne Bürger sei die Welt des Web 2.0. Dort beherrschten nach Klaues Diagnose Egomanen und Träger anderer psychischer Defekte die Szene, die unter dem Schutz des Nicks einen "ganz persönlichen Amoklauf durch die virtuelle Welt" starteten, der "die Wandlung von kommunikativem Streit in isoliertes Ego-Shooting" indiziere. Jeder, der eine andere Meinung als die eigene vertrete, werde als Feind wahrgenommen und entsprechend behandelt.

Schon zu Zeiten, als der Leserbriefschreiber noch mit Echtnamen zeichnete, habe man den "Niedergang der bürgerlichen Institutionen" konstatieren müssen, weil sich der "Unterschied zwischen Leserbriefen und Zeitung längst eingeebnet" habe. Im Web 2.0 sei die "schlechte Aufhebung des Gegensatzes von Autoren und Lesern, Produzenten und Rezipienten in einer Gemeinschaft potentieller Denunzianten, deren wichtigste 'Medien' das Gerücht, die Kolportage, die Bespitzelung und die jedem rationalen Interesse losgelöste Meinungsmacherei" vollzogen. Jeder Autor müsse sich rechtfertigen, könne keinen Text mehr stehen und für sich sprechen lassen. Beurteilungskriterien seien nicht mehr der Inhalt, sondern die zunehmende Zahl der Postings oder dieAnzahl der 'Gefällt mir'-Daumen. Die Kommunikationsprinzipien funktionierten wie in einem "süddeutschen Kaff" oder in dessen städtischen Komplement, dem "Kiez": "Hier wie dort gilt das Gesetz der Bandenbildung, der Patronage und der kollektiven Heimlichtuerei…".

Schauen wir auf die Freitags-Community sind diese Symptome sicher zu beobachten. Nur: Wir bemerken sie bei den Anderen - nicht bei uns selbst. Trotzdem geht mein Dank an Streifzug. Ein Versuch war's wert. Meine Evidenz: Jede gelingende Diskussion, an der mehr als ein halbes Dutzend Personen beteiligt sind, benötigt eine Leitung.

Quellen:

www.freitag.de/community/blogs/streifzug/bloggrenzen-ueberschreitende-linke-streitkultur

www.konkret-verlage.de/kvv/txt.php?text=weltohneb%FCrger&;;nr=35

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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