Günter Grass und Mikis Theodorakis

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Einige Mitglieder der Freitags-Community gaben sich wegen der Griechen und dem Schriftsteller Günter Grass dem Amüsement und der Belustigung hin. Er und die Griechen wurden anlässlich seines Gedichtes mit Hohn und Spott überzogen.

Zitate:

  • Und die Griechen sollten schon ab und zu die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Sie wohnen nicht in Tundra und nicht am Äquator…
  • Hilfe, Grass hat ein neues Gedicht.
  • Die ergreifendsten Stilmittel egomaner Dramatik stammen aus dem Glauben, dass die Vergangenheit noch präsent sei...
  • Freilich erweist er [= Grass] der Hellenophilie einen Bärendienst, wenn er sie mit den Problemen der gegenwärtigen Ökonomie auf derart ungenießbare Weise zusammenrührt.
  • Jau... Zewa-wisch-und-weg und ein Porno-DVD dazu... Mit Europa, Zeus, einem ordentlichen Kentauer, T-Rex und sonst irgendwelchem hellenistischem Krokodil... "sabber".

Da darf der genialistische Coup der konservativen Presse (FAS) nicht fehlen. Das Grass-Gedicht sei gar keines, sondern die Erfindung der Titanic-Redaktion, die es, geschickt eingefädelt, in der SZ hätte unterbringen können. Die Titanic-Leute hätten schnell was zusammengegoogelt, die Satzstellung leicht verschoben und die unsinnigsten Genitiv-Konstruktionen aneinandergereiht. Damit wurde dem Schriftsteller richtig eingeschenkt. Dies konnte nur deshalb funktionieren, weil er vor einigen Wochen schon einmal schärfstens kritisiert wurde, als er sich in lyrischer Form zu Israel äußerte. Seine dichterische Eignung und politische Analysefähigkeit wurden damals einem Kritikerfeuer unterzogen, die ihn nunmehr, was immer er künftig äußern mag, schon im Vorhinein desavouiert.

Dass ausgerechnet der Frankfurter Allgemeinen dieses Husarenstück gelungen ist, hat Tradition, denn das Feuilleton hat schon im Jahr 1995 mit Grass abgeschlossen, als der Chefkritiker des Hauses dessen Roman "Ein weites Feld" verriss. Seit damals sind Grass und die FAZ durch einen breiten Graben getrennt. Daraus machte Reich-Ranicki in den Folgejahren nie einen Hehl und nannte Grass' Israel-Kritik ein "ekelhaftes Gedicht".

Nun stünde es den Kritikern und der deutschen Feuilletonelite gut zu Gesicht, sie würden, statt Grass wegen seines Griechenland-Engagements umgehend zu kartätschen, ihre deutschzentrierte Sichtweise zu Übungszwecken verlassen. Chauvinistische Blogger-Anwandlungen (Und die Griechen sollten schon ab und zu die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.) klingen mittlerweile wie Alltagsdeutsch, seit wir gelernt haben, dass es in Deutschland einen positiven Patriotismus gäbe, der mit dem Fußballgeschäft über uns gekommen sei.

Mikis Theodorakis, der große griechische Komponist, der von den Nazis eingesperrt und von den griechischen Obristen verfolgt wurde, äußerte sich im Februar 2012 zur Lage seines Landes und zur Rolle der deutschen Regierung, die er mitverantwortlich für Griechenlands wirtschaftlichen Niedergang macht. Folgt man seinem Blick zurück in die griechische Zeitgeschichte und schlägt mit ihm den Bogen in die Gegenwart, wird hoffentlich nachvollziehbar, dass Grass ein Anliegen an die Öffentlichkeit gebracht hat, dass es nicht verdient, der Lächerlichkeit anheim gegeben zu werden.

Theodorakis schreibt (Auszüge):

"Derweilen wird angenommen, dass wir dank der Großmut unserer Gläubiger, des Europas der Banken und des IWF leben. In Wahrheit fließt jedes Paket mit den dutzenden Mrd. Euro, mit denen Griechenland belastet wird, vollständig dahin zurück, wo es herkommt, während uns neue untragbare Zinsen aufgebürdet werden. Und weil die Notwendigkeit zur Erhaltung des Staates, der Krankenhäuser und der Schulen besteht, lädt die Troika den mittleren und untersten wirtschaftlichen Schichten der Gesellschaft überdimensionale Steuern auf, die direkt in den Hunger führen. Eine allgemeine Hungersituation hatten wir zu Beginn der deutschen Besatzung 1941 mit 300.000 Toten in einem Zeitraum von sechs Monaten. Das damalige Schreckgespenst des Hungers kehrt in unser verleumdetes und unglückliches Land zurück.

Wenn man bedenkt, dass die deutsche Besatzung uns eine Million Tote und die totale Zerstörung unseres Landes kostete, wie ist es dann möglich, dass wir Griechen die Drohungen der Frau Merkel und die Absicht der Deutschen dulden, uns einen neuen Gauleiter aufzuzwingen … Diesmal mit Krawatte …

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/5/54/Mikis2004.jpg/220px-Mikis2004.jpgUnd um zu belegen, ein wie reiches Land Griechenland ist und welch arbeitsames und bewusstes Volk der Grieche ist (Bewusstsein über die Pflicht gegenüber der Freiheit und die Liebe zum Vaterland), verweise ich auf die Epoche der deutschen Besatzung ab 1941 bis Oktober 1944.

Als die SS und der Hunger eine Million Bürger umbrachten und die Wehrmacht systematisch das Land zerstörte, die landwirtschaftliche Produktion und das Gold der Banken stahl, retteten die Griechen mit der Schaffung einer Bewegung der nationalen Solidarität das Volk vor dem Hunger und bildeten ein 100.000 Mann starkes Partisanenheer, welches 20 deutsche Divisionen in unserem Land aufhielt. (…)

Was Europa betrifft, schlage ich vor, damit aufzuhören, Kriegsmaterial von Deutschland und Frankreich zu kaufen. Ebenso wie wir alles unternehmen werden, damit Deutschland die uns geschuldeten Kriegsentschädigungen bezahlt, die sich heute zusammen mit den Zinsen auf 500 Mrd. Euro belaufen können.

Die einzige Kraft, die diese revolutionären Änderungen realisieren kann, ist das griechische Volk, vereint zu einer riesigen Front des Widerstands und der Solidarität, damit die Troika (IWF und europäische Banken) aus dem Land vertrieben werden. Und gleichzeitig müssen alle ihre rechtswidrigen Handlungen (Kredite, Schulden, Zinsen, Steuern, Aufkäufe des Staatsreichtums) als nicht geschehen betrachtet werden. Ihre griechischen Kollaborateure, die im Bewusstsein unseres Volkes bereits als Verräter verurteilt worden sind, werden zu bestrafen sein.

Diesem Ziel (der Einheit des Volkes in einer Front) bin ich gänzlich verschrieben und glaube, dass ich schließlich Recht erhalten werde. Ich kämpfte mit der Waffe in der Hand gegen die Hitlerbesatzung. Ich lernte die Verließe der Gestapo kennen. Ich wurde von den Deutschen zum Tode verurteilt und überlebte wie durch ein Wunder. 1967 gründete ich die PAM, die erste Widerstandsorganisation gegen die Militärjunta. Ich kämpfte in der Illegalität. Ich wurde ergriffen und im “Schlachthof” der Junta-Kripo inhaftiert. Schließlich habe ich wieder überlebt.

Heute bin ich 87 Jahre alt und es ist sehr wahrscheinlich, dass ich die Rettung meines geliebten Vaterlandes nicht erleben werde. Ich werde jedoch mit einem ruhigen Gewissen sterben, weil ich bis zum Ende fortfahre, meine Pflicht gegenüber den Idealen der Freiheit und des Rechts zu tun."

Athen, 12.2.2012

Quelle: www.griechenland-blog.gr/2012/mikis-theodorakis-spricht-von-verschwoerung-gegen-griechenland/6730/3/

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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