Ideologie manifestiert sich in der Theologie

Ideologie Die Theologie ist eine Tochter der Ideologie. Beide können über Wasser gehen. Wundersame Eingebungen halten sie auf ihrem oftmals gemeinsamen Weg.

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Ideologische Ansätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie dogmatisierende Tendenzen haben und keine Bereitschaft besteht, Kritik anzunehmen, bzw. Kritik in die behauptete Position einzuarbeiten, um der Dogmatisierung entgegenzuwirken. Ideologien vertreten gleichsam Wahrheitsansprüche. Deshalb neigen die Vertreter solcher Lehren sehr stark dazu, ihre Position zu immunisieren, sie gegen Kritik abzuschirmen. Wie das gehandhabt wird, hängt weitestgehend von der jeweiligen Machtkonstellation ab. Gesellschaften, die sich nahezu ausschließlich auf unumstößliche Erkenntnisse, etwa auf eine transzendentale historische nicht wiederholbare Erscheinung berufen, praktizieren ihre Immunisierungsstrategien oft mit drakonischen Abstrafungen, bis hin zur Liquidierung der Kritiker.

Ein in die Geschichte des Katholizismus eingegangenes Beispiel ist die des Naturwissenschaftlers und Mathematikers Galileo Galilei, der 1633 seiner Irrlehre abschwören musste, nachdem seine Forschungen über das Sonnensystem das biblische Weltbild infrage stellten. Erst 1992 wurde von der katholischen Kirche eine Revision des damaligen Urteils ausgesprochen. Nun war der verurteilte tiefgläubige Galileo kein Einzelfall. Seine späte Rehabilitierung hatte er auch seiner Grundüberzeugung des Gläubigen zu verdanken. Wäre er Kirchenkritiker gewesen und innerhalb der Kirche nicht fest verwurzelt, ließe die Akzeptanz seiner Überlegungen wohl heute noch auf sich warten. Die meisten Kritiker der reinen Lehre wurden im Laufe der Geschichte hart bestraft und dem Vergessen anheim gegeben.

Gerade die Erkenntnisse über die Entstehung des Weltalls machten es den Theologen immer wieder schwer, neue Lesarten der verbindlichen Ursprungstexte zu finden, um das von ihnen proklamierte Glaubenssystem dem Zeitgeist angenähert vertreten zu können. Schon ein Schüler der Unterstufe weiß heute:

Unsere Milchstraße ist nicht die einzige Galaxie im Universum. Man nimmt heute an, da es etwa 50 Milliarden Galaxien gibt, die man beobachten könnte. Jede von denen hat etwa 100 Millionen Sonnen, das macht zusammen... - puh, das Universum ist wirklich verdammt groß! Dabei gibt es nicht nur Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße oder den "Andromedanebel", man kennt auch so genannte "irreguläre Galaxien", dann gibt es noch elliptische Galaxien, "Linsengalaxien" (ohne Spiralarme), "Balkenspiralgalaxien", Zwerggalaxien, Radiogalaxien (die zu schwach sind, um sie zu sehen, jedoch starke Signale aussenden) und, und, und....

Soweit informiert uns eine Kinderseite im Netz. Ergänzt man die räumliche durch die Zeitdimension, dass die Erde beispielsweise 26.000 Lichtjahre vom Zentrum der Milchstraße entfernt rotiert, wird klar, wie bedeutungsklein die Erde ist. Innerhalb des mehr als 13 Milliarden Jahre alten Universums sind Erde und Sonne erst vor 4,6 Milliarden Jahren aufgetaucht. Und von der Krönung der Schöpfung, wie sich viele der gläubigen Menschen gerne nennen, war da noch weit und breit keine Spur. Deshalb dürfte das irdische Leben nicht mehr als eine vorrübergehende Randerscheinung in den unendlichen Weiten des Weltalls sein. Wissen wir doch, dass die Existenz unserer Sonne spätestens in vier bis sechs Milliaren Jahren galaktische Geschichte gewesen sein wird.

Dem entgegen stehen exemplarisch die theologischen Auffassungen. Um den jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen standzuhalten, wird die eigene Lehre nicht etwa einer Kritik unterzogen, um sie zu relativieren und zu stärken. Ausnahmen wie die von Galileo bestätigen die Regel, auch wenn diese erst mehrere hundert Jahre später in die offizielle Doktrin eingeflossen ist. Nein, es werden an Universitäten Lehrstühle unterhalten, die danach trachten, dass trotz neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, die scheinbare historische Offenbarung, die nur für eine begrenzte Zahl von Individuen erlebbar sein konnte, einigermaßen plausibel weitergetragen werden kann. Innerhalb der theologischen Fakultäten übernehmen diese Aufgabe die Lehrstühle für Dogmatik und Fundamentaltheologie:

Da jedoch gerade der christliche Schöpfungsglaube durch eine sich seit Beginn der Neuzeit emanzipierende Naturwissenschaft im Brennpunkt der Kritik steht, werden seine Grundaussagen in Auseinandersetzung mit quantenphysikalischen, evolutionären und neurowissenschaftlichen Ansätzen entfaltet und vor dem Hintergrund der eigenständigen Entwicklung der Disziplin einer humanwissenschaftlichen bzw. philosophischen Anthropologie gewürdigt. Auf diese Weise soll die Frage geklärt werden, wie der überlieferte Glaube an den Schöpfer der Welt bzw. das Bekenntnis zu dieser Welt als seiner Schöpfung und zum Menschen als Geschöpf in einer aktuell akzeptanzfähigen Weise vertreten werden kann. (Prof. Dr. Meuffels, Lehrstuhl für Dogmatik, Würzburg)

Einerseits wird die Verteidigungshaltung dieser Disziplin deutlich, dass die Glaubensinhalte angesichts naturwissenschaftlicher Erkenntnisse schwerer oder gar nicht mehr zu vermitteln sind. Andererseits wird auch offenbar, dass keine Bereitschaft besteht, die Lehre einer Revision zu unterziehen. Im Gegenteil: Sie soll unangreifbar gemacht werden. Dies ist der Punkt an dem Ideologie manifest wird.

Gleichwohl sind Ideen mit vermutlich ideologischen Gehalt nicht per se zu verurteilen, verhelfen sie doch oftmals zu einem erweiternden Blick auf gesellschaftliche Phänomene, wie etwa die soziale Frage, die im Interesse der Gesellschaft als ganzer modifiziert werden sollten. Aber man merkt, sobald Interesse ins Spiel kommt, setzt die Diskussionsspirale erneut ein. Deshalb haben die Ideologieverdächtigen meine Sympathie, die offen und konstruktiv mit Kritik an der eigenen Position umgehen und bereit sind, sobald qualifiziertere Erkenntnisse vorliegen, Modifikationen an ihrer eigenen Theorie vorzunehmen. Die Theologen gehören offenbar nicht dazu.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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