"Nick- oder Missionsneger"

Missionarisches Manches gibt's seit fast 200 Jahren, auch wenn ein Kaffeeklatsch erst jetzt darauf aufmerksam macht

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Ja, ich habe eine Schwiegermutter. 200 Kilometer muss ich fahren, um sie zu besuchen. Oft kommt das nicht vor, dass ich dafür in den Breisgau reise. Wenn ich mich auf die Strecke mache, dann nie alleine. Ich fühle mich bei dieser Fahrt eher als Anhängsel, denn deren Tochter steht meiner Schwiegermutter um einige Grade näher als ich. Wie das bei Treffen dieser Art so ist, stoßen noch weitere Verwandte hinzu. Bei Kaffeerunden mit selbstgebackenem Kuchen werden weitere Themen angesprochen, nachdem der neueste Stand der Verwandtschafts- und Bekanntenbeziehungen abgehandelt ist. Hinterher weiß man oft nicht, weshalb gerade dieses oder jenes Thema zur Sprache gekommen ist.

Jedenfalls fiel in einer dieser Runden der Begriff Nickneger, den ich bis dato nicht kannte. Der Nickneger, so wurde den Nichtwissenden erläutert, war bis in die sechsziger Jahre des letzten Jahrhunderts eine Figur, die vornehmlich in Kirchen aufgestellt worden ist und wie eine Sparbüchse funktionierte. In einen Schlitz, so wurde ich aufgeklärt, konnte der Gottesdienstbesucher eine Münze einwerfen, die bewirkte, dass die Figur, die der Stereotype des Mohren nachempfunden war, den Kopf bewegte. Diese Bewegung konnte, ja sollte als Nicken interpretiert werden.

Aus Lebenserfahrung weiß ich: Ist einmal Unbekanntes ins Gedächtnis geraten, taucht dieses bis dato scheinbar Nichtexistente immer wieder auf. Es wird zum Bestandteil der subjektiven Realität. Als ich jüngst die Heimatzeitung durchblätterte, von Lesen kann kaum die Rede sein, hätte ich das Foto eines Nicknegers sicher nicht wahrgenommen, wenn zuvor auf der Breisacher Kaffeetafel diese Figur nicht Thema gewesen wäre. In der Bildunterschrift las ich: "Ein 'Missions- oder Nickneger' gehört ebenso zu den Raritäten der Ausstellung, wie eine lederne Schaffnertasche mit metallenen Aufsätzen für das Wechselgeld sowie Spardosen aus den vergangenen Jahrhunderten." Der einrahmende Artikel macht darauf aufmerksam, dass derzeit in Bad-Bergzabern eine Ausstellung mit dem Thema Vom Taler zur Mark, die Pfälzer und das Geld zu sehen ist. Den Besuchern soll die Geschichte des Geldes der vergangenen 500 Jahre nahegebracht werden.

Da wird man doch schon ein wenig neugierig, wenn dieser Nickneger plötzlich zum Bestandteil einer Ausstellung wird. Auf dem Markt gekommen sein soll er im frühen 19. Jahrhundert und diente im Gefolge der deutschen Kolonialpolitik den Missionsanstalten als Ikonografie, den Gäubigen eine Spende zu entlocken. Gefertigt wurde die Figur des dankbaren Mohren meist aus Pappmache und Holz. Dankbar deshalb, weil er oft kniend auf einem Felsen und mit erhoben Händen dargestellt wurde. Zum Daseinszweck dieser Geldsammelfigur konnte man etwa auf einem angebrachten Schild lesen: "Willst Du den Heiden Hilfe schicken, so laß mich Ärmsten freundlich nicken! Vergelt’s Gott!" Damals, ja bis vor wenigen Jahrzehnten, waren die Andersgläubigen eben Heiden, ein lange Zeit gängiger Begriff, der heute immer mal wieder auch ohne ironischen Unterton gebraucht wird.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/09/Nativity_scene_St._Josephs_Hannover_20121226.jpgEs ist nicht so, dass der Nickneger nun für immer auf dem Index stehen würde, weil er als kolonialismustypisches Symbol politisch nicht mehr korrekt ist. Es gibt noch Menschen, die dem Nickneger nachtrauern. So auch Markus A. Maesel, ein regional bekannter Blogger aus Ludwigshafen, der 2008 schrieb:

"Für mich war als Kind das „Negerle“ – wie der freundlich nickende Afrikaner bei uns genannt wurde - ein erstes, großes Tor zur Welt. (…) Es war der erste schwarze Mensch, den ich in meinem Leben sah, und er machte mich neugierig auf die bunte Welt jenseits der monotonen und melancholischen Vorstadt. Sein Nicken war eine Ermunterung, meinen eigenen Weg zu gehen."

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/9/92/Rottenburg-Hemmendorf-St_Johannes_Baptist-Nickneger107776.jpg/330px-Rottenburg-Hemmendorf-St_Johannes_Baptist-Nickneger107776.jpgDieser Blogger ist nicht der einzige, der dem Nickneger als positiver Gestalt seiner Kindheit nachhängt. In Kirchen sieht man ihn heute noch, habe ich auf Wikipedia erfahren. Meistens dann, wenn die Menschen im Dezember eine bestimmte jährlich wiederkehrende Stimmung beschleicht, die sie konsumfreudiger als sonst werden lässt. Und mitunter, wenn dann ein kurzes und leichtes Beschämen hochkommt, weil man an die schwarzen Kinder in Afrika denkt, ist man sich selbst dankbar, den Missionsneger zum Nicken veranlasst zu haben.

Bis zum Ende des Jahres haben wir noch einige Monate Zeit. Das Spenden-müssen-Gefühl innerhalb sakraler Bauten ist eher noch vergraben. Die Tochter meiner Schwiegermutter ist heute alleine losgefahren in Richtung Breisgau. Ich bin lieber zu Hause geblieben. Morgen, wenn sie zurückkehrt, wird sie mir vielleicht die eine oder andere Anekdote erzählen, die im Verwandtenkreis am Kaffeetisch zum Besten gegeben worden ist. Vielleicht lerne ich wieder dazu.

Bildquellen: Wikipedia

Bildunterschriften:

Oberes Bild: "Nickneger: Ausschnitt aus der Weinachtskrippen-Dekoration 2012 innert St. Joseph (Hannover): Wirft man eine Münze in den stilisierten „Mohr“, wackelt er mit dem Kopf wie ein Wackeldackel."

Unteres Bild: "Nickneger in einer Krippe, Weihnachten 2011"

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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