"Regieren ist eine Stilfrage"

Koalitionsvertrag in BaWü "Regieren ist eine Stilfrage", plakatierten die Grünen Baden-Württembergs im Landtagswahlkampf. Jetzt sind Geheimabsprachen mit der CDU bekannt geworden.

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Es war die Südwest Presse, die schon Mitte Juli auf die Existenz des Papiers hinwies, das intern als Ergänzung des Koalitionsvertrags konzipiert wurde. Niemand seitens der Regierungskoalition regte sich damals. Man glaubte, diese Nachricht aussitzen zu können. Am 19.08.16 veröffentlichte die Zeitung Details: 5.000 Stellen sollen abgebaut, die Kommunen einen Konsolidierungsbeitrag leisten, die Beamtenbesoldung soll gekürzt, die Grunderwerbssteuer erhöht werden. Diese Maßnahmen dienten der Schuldenbremse, wurde im Nachhinein verlautbart. Denn bis 2020 hätten die Länder die schwarze Null in ihren Haushalten umzusetzen. Aber es wurden auch Ausgabenposten vereinbart: etwa die Erhöhung des Personals der Polizei oder vermehrte Investitionen in die digitale Infrastruktur. Insgesamt soll auf der Ausgabenseite mehr als eine Milliarde ins Visier genommen worden sein. Auf der Einnahmeseite soll nahezu das Doppelte in der Haushaltskasse landen. Unterschrieben wurden die geheimen Nebenabsprachen von vier Politikern: den beiden damaligen Fraktionsvorsitzenden, dem Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) und dessen damals künftigen Stellvertreter Thomas Strobl (CDU).

Nun haben die Koalitionäre das bis dato geheime Papier veröffentlicht. Sie wählten die Strategie der Vorwärtsverteidigung. Es blieb den beiden Parteien nichts anderes übrig, da klar war, dass das Dokument in einschlägigen Kreisen zirkulierte und es nur eine Frage der Zeit wäre, bis es an die Öffentlichkeit gelangte.

Ziemlich übel ist, dass den Parteimitgliedern der Koalitionspartner das Ergebnis der Verhandlungen ohne die Nebenabsprachen zur Abstimmung vorgelegt wurde. Schließlich sind sie über Delegiertenversammlungen eingebunden. So ist es inzwischen demokratischer Brauch. Die sich emanzipativ gebenden Grünen und die CDU-Delegierten, die dem offiziellen Koalitionsvertrag zustimmten, wurden von ihren Oberen düpiert. Sie ließen in ihren Landesparteitagen die Schaufenster-Vereinbarungen passieren, in der Überzeugung, sie hätten Politik mitgestaltet. Dabei waren sie Instrumente, Puppen an den Fäden Kretschmanns und Strobls. Sie waren Mimen eines Theaters, ohne zu bemerken, dass ihnen eine Rolle zugewiesen worden ist. Nicht viel anders erging es den Wählerinnen und Wählern. Sie waren die Zuschauer eines vermeintlichen Dokumentarfilms mit Happy-End.

Noch sind die üblichen Bilder aus dem Fernsehen in Erinnerung. Sie zeigen die das Dokument unterschreibenden Verhandlungsführer, die Dankesworte in denen der "Atem der Geschichte" bemüht wurde, der durch die Räume des Landtags wehe, sowie das übliche Schütteln der Hände. Eine zur Ikonographie gewordene Zeremonie, die zu jeder Unterzeichnung eines Koalitionsvertrags vom TV gesendet wird und nahezu identisch abläuft.

Kretschmann verteidigte sich, dass man nicht alles "auf dem öffentlichen Tableau" besprechen könne. Diese Aussage ist nicht falsch, wenn es um Personalangelegenheiten gehen mag. Doch als Begründung für eine geheime Ergänzung eines Koalitionsvertrags reicht das nicht. Schließlich besitzen die Grünen ein Grundsatzprogramm, in dem steht: Eine "demokratische Beteiligung ist nur möglich, wenn wir den freien Zugang zu Medien, Informationen und Orten der öffentlichen Kommunikation für alle offen halten." Hier sind sie ganz offensichtlich in einem Dilemma. Als Oppositionspartei Transparenz zu fordern, ist ein Muss. Für die politisch Mächtigen, also für die Chefs der Regierungen und Ministerien, scheinen Abschotten und die Gestaltung von Transparenz das adäquate Antidot zu sein.

Regieren ist eine Stilfrage, plakatierten die Grünen mit einem Bild Kretschmanns im Wahlkampf. Das stimmt.

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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