Vegetarier retten nicht die Welt!

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Im Jahresschnitt sind es rund 90 Kilogramm Fleisch, die jeder in Deutschland verzehrt. Mit viel Verve wurde anlässlich des jüngsten Futtermittelskandals auf die tierquälerische Massentierhaltung verwiesen. Wir alle kennen mittlerweile die schrecklichen Bilder aus den Zuchtanlagen und durchtechnisierten Schlachthöfen, an deren Produktionsende das verpackte zum Transport in alle Welt zugerichtete Fleischstück bereitliegt.

Mit dieser berechtigten Negativbeschreibung wird die fleischfreie Ernährung indirekt auf einen Sockel gehoben und oft mit allerlei ethischen Gedankengirlanden versehen, um die angeblich in jeder Hinsicht vorteilhafte vegetarische Ernährung zu preisen. Dabei wird allzu schnell ausgeblendet, dass für die Obst- und Gemüseerzeugung die selben Prinzipien gelten, wie sie in einem schrankenfreien kapitalistischen Wirtschaftssystem in der Fleischproduktion praktiziert werden. In einem auf Konkurrenz angelegten die Erde umspannenden Produktions- und Verwertungssystem lassen sich nun mal keine dem Kapitalismus fremden Prinzipien des Wirtschaftens dauerhaft etablieren. Das naturnahe auf regionale Märkte zielende landwirtschaftliche Gewerbe wird ein sehr begrenztes Nischenwirtschaften bleiben, das in dieser Form betrieben nicht in der Lage sein würde, das bestehende Ernährungsproblem der Erdbevölkerung zu lösen. Es dient höchstens der Nervenberuhigung des gebildeteren bürgerlichen Mittelstandes.

Internationale Bedingungen

Der weltweite Gemüse- und Obstanbau ist den sich ständig verschärfenden internationalen Konkurrenzbedingungen ausgesetzt. Kontinuierlich bleiben kleinere Betriebe auf der Strecke. Die Größeren müssen sich auf wenige Produkte spezialisieren. Die Effizienz der Erzeugung muss ständig verbessert werden, da der Druck des Lebensmitteleinzelhandels, ohne den eine auskömmliche Marktverwertung nicht stattfinden könnte, laufend steigt. Stets wird nach neuen Absatzmöglichkeiten gesucht. Es genügt nicht mehr, Obst und Gemüse zu ernten und bei den Distributoren abzuliefern. Just in time müssen die Produkte beim Großhändler sein, der sie transport- und verkaufsfertig macht.

Von idyllischem Landbau keine Spur

Ein mittlerer deutscher Großhandelsbetrieb wäscht und verpackt täglich rund 100 Tonnen Karotten, die den Wünschen des Lebensmittelhandels entsprechend in der Sortieranlage gleichmäßig auf zehn bis zwölf Stück pro Kilogramm arrangiert werden. Gleichzeitig werden in der sogenannten Flowpackanlage 50.000 Salatköpfe foliiert und damit eine längere Haltbarkeit und bessere Hygiene garantiert. Der Feldsalat wird direkt nach der Ernte sandfrei gewaschen und in Thermoschalen verpackt. Mit diesem Verfahren konnte in den letzten Jahren sein Absatz deutlich gesteigert werden. Lauch wird vor der Verpackung auf exakt 43 Zentimeter gekürzt und computergesteuert zu 1-kg-Einheitengebündelt, weil man herausgefunden hat, dass diese Variante beim Kunden am besten ankommt. Die morgens vorbestellten Waren müssen bis zum Abend beim Einzelhändler sein, der bis zu 500 Kilometer entfernt liegen kann.

Beispiel Kopfsalat

Die Erzeugung des Kopfsalats zeigt beispielhaft auf, welch hoher energetischer Aufwand betrieben wird, damit dieses als einheimisches Produkt frühzeitig in den Obst- und Gemüseabteilungen der Supermärkte zu kaufen ist:Mitte November beginnt die Aussaat beim Jungpflanzenbetrieb. Über Winter wächst im beheizten Treibhaus die junge Salatpflanze heran. Je nach Wetterlage wird Mitte bis Ende Februar der junge Salat ins Freiland gepflanzt. Die ersten Sätze werden mit Folie und Vlies abgedeckt, damit die Pflanzen kühle Witterung überstehen. Bei allen Salaten muss ständig für ausreichend Beregnung gesorgt werden, um Trockenschäden zu vermeiden. Je nach den klimatischen Bedingungen innerhalb Deutschlands wird mit der Ernte Mitte April begonnen. Auf dem Feld wird jeder einzelne Kopf meist mit Grundwasser gewaschen und in Kisten verpackt. Die im Großhandel ankommenden Salatköpfe werden umgehend in Folie verpackt und über Nacht im Kühltransporter in die Supermärkte gefahren.

Obst und Gemüse im Winter

Die bei uns in der Nichtvegetationsphase erwerbbaren Obst- und Gemüsesorten werden teilweise um den halben Erdball transportiert, bis sie beim Verbraucher landen. VonOktober bis Juni erhalten wir Cocktail-Tomaten aus Marokko. Die Tomaten wachsen im Raum Agadir und werden per Lkw bis Tanger in Nord-Marokko gebracht. Für diese 1000 km sind sie ein bis zwei Tage unterwegs. Anschließend geht es mit dem Schiff nach Algeciras in Süd-Spanien und danach per Lkw in zwei bis drei Tagen zum deutschen Großhändler.

Der Anbau von Bananen erstreckt sich weltweit auf den sogenannten Bananengürtel, eine Zone beiderseits des Äquators bis jeweils zum 30. Breitengrad. Die Bananen aus Kolumbien werden per Schiffbei einer Kühltemperatur von 13,8°C nach Hamburg und anschließend mit einem Lkw bis nach Süddeutschland gebracht. Die grün geernteten Früchte werden in deutschen Bananen-Reifereien bei 15 bis 17° C nachgereift. Beigefügt wird das Gas Ethylen. Vier bis acht Tage dauert dieser Prozess, um, je nach gewünschter Farbe, zur verbraucherfertigen Reife gebracht zu werden.

Heutzutage stammen die meisten Kiwi am deutschen Markt aus Italien (60%), gefolgt von Neuseeland, Griechenland, Frankreich und Chile. Die italienischen Kiwi werden Anfang November geerntet und bei 0° C eingelagert. Bei kontrollierter Atmosphäre, dem sogenannten C-A-Lager, sind Kiwi bis zu neun Monate haltbar.

http://www.idee-cruises.de/assets/image-gallery/Reisegalerie/mar07-constellation/CONSTELLATION-Mar07-025.jpgDie Trauben kommen aus Südafrika.Sie werden direkt nach der Ernte in Kartons gepackt und in Kühlcontainern, die jeweils bis zu 16 Tonnen Trauben aufnehmen können, per Lkw zum Hafen in Kapstadt gefahren. Von dort gelangen sie per Schiff in den Hafen Rotterdam. Nach einer dreiwöchigen Reise sind sie beim deutschen Großhändler angekommen. Die neueren Containerschiffe sind rund 300 Meter lang und können bis zu 7.000 Container aufnehmen. Tafeltrauben sind in Deutschland das ganze Jahr im Angebot. Über die Hälfte der in Deutschland gehandelten Trauben stammt aus Italien. Die Saison der Mittelmeer-Trauben läuft von Juni bis Ende des Jahres. Ab Dezember bis Juni sind Trauben aus Übersee (Südafrika, Chile, Argentinien, USA, Australien) am deutschen Markt.

Vegetarisches Bilanzbeispiel

Der Vegetarismus hat in seiner Energie- und Umweltbilanz Schwachstellen, die durchaus in die Diskussion um den Fleischkonsum mit eingebracht werden sollten. Der menschliche Drang nach Fleisch als Essware bleibt trotz der Produktionsskandale ungebrochen. Die Erzeugung von Fleischprodukten in Deutschland steigt. Mittlerweile ist für die Bundesrepublik eine Jahresbilanz von 7,5 Millionen Tonnen zu verzeichnen. Verglichen mit China ist diese Zahl jedoch gering. Im Jahr 2010 stieg dort die Fleischproduktion um 2,6 Prozent auf 78,5 Millionen Tonnen. Das ist ein Pro-Kopf-Verbrauch von 57,3 Kilogramm, etwa zwei Drittel des deutschen. Die Regierung will bis zum Jahr 2015 ihrem Volk einen jährlichen Verbrauch von 61 Kilogramm ermöglichen. Die Gesamtmenge betrüge dann 86 Millionen Tonnen. Das heißt, in Relation zu Deutschland gesetzt, würde sich Gesamtproduktion auch dann nicht ändern, wenn wir hier alle auf jegliches Fleisch verzichteten.

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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