Warum nicht eine muslimische Partei gründen?

Parteigründung Warum sollte man nicht eine muslimisch-türkische Partei gründen, wenn Potenzial vorhanden ist?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Schließlich gibt es republikweit religiöse Parteien wie die Partei Bibeltreuer Christen oder die Christliche Liga. Manche zählen auch die Christlich Demokratische Union dazu, die Kanzlerpartei. Die das Christentum ins Zentrum stellenden Klein-Parteien gelten als stockkonservativ. Ehe und Familie, das konventionelle Geschlechterrollenverständnis, die freie Marktwirtschaft oder Gottes Schöpfungsplan sind nur einige Punkte derer, die ihre religiösen Überzeugungen als Quelle der politischen Handlungsanleitungen betrachten.

Vor wenigen Tagen habe eine Abstimmung im Bundestag das Fass zum Überlaufen gebracht, wie der deutsch-türkische Geschäftsmann und Parteigründer Remzi Aru dies formulierte. Die Armenien-Resolution sei "einzig aus provokatorischen Gründen" durchgesetzt worden. Sie sei nur die Spitze eines Eisbergs an Herabsetzungen, denen Türken und türkische Einwanderer seit Jahren in Deutschland ausgesetzt seien.

Jetzt gründet Remzi Aru eine türkische Partei. Als deutschen Stützpunkt von Erdogans AKP will er sie nicht verstanden wissen. Seine Äußerungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk lassen jedoch kaum einen anderen Schluss zu. "Erdogan macht die Politik, die das Volk will", sagte er im Deutschlandfunk. Die hier lebenden Türken und türkischstämmigen Deutschen seien seiner Einschätzung nach zu 95 bis 98 Prozent gegen die Armenien-Resolution. Sie könnten nach dieser Abstimmung keine der im Bundestag vertretenen Parteien mehr wählen. In dieses politische Vakuum sehe er sich gedrängt, obwohl er eigentlich gar nicht in die Politik wolle.

Auf die Morddrohungen der elf türkischstämmigen Abgeordneten des Bundestages angesprochen, meinte Aru, dass er selbst mit tausenden von Morddrohungen vornehmlich aus dem linken politischen Spektrum eingedeckt werde. Bei einer Terrororganisation, die Zehntausende von Toten in der Türkei auf dem Gewissen habe, er meint, ohne sie explizit zu nennen, die PKK, stehe er auf einer Liste. Sie nutze Deutschland als Hinterland, aus dem heraus sie sich finanziere und organisiere. "Morddrohungen sind nichts Exklusives gegen [türkischstämmige] Abgeordnete, die jetzt angeblich von irgendwelchen Leuten eingelegt (sic!) worden sein sollen." Er sei deutlich bedrohter "als irgendein Politiker, die da rumrennen und jetzt Krokodilstränen weinen."

Das klingt alles ziemlich verbissen und ideologisiert. Ziel seiner Parteigründung scheint zu sein, Erdogans Interessen in einer deutschen Enklave zu vertreten und zu befördern. Noch in Erinnerung sind Erdogans Auftritte in dieser Republik. 2010 sagte er in einer Rede vor seinen Landsleuten: "Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit." Das hat ihm von deutscher Seite Kritik eingetragen, weil er speziell auf die Lage der hier lebenden türkischstämmigen Landsleute zielte. Gerade so als sei die Herkunftskultur völlig der deutschen zu unterwerfen. Vier Jahre später hielt er in der Köln-Arena eine mit Pathos gespickte Wahlrede und rief dazu auf, sich für die kurz danach anstehende Präsidentschaftswahl in der Türkei registrieren zu lassen. Schließlich war er selbst Kandidiat. Hiesige Politiker sahen darin ein die diplomatischen Gepflogenheiten abweichendes Gebaren, in einem Gastgeberland Wahl-PR in dieser Form zu machen. Erdogans Äußerungen können, ohne ihn böswillig zu interpretieren, als deutlich national eingestuft werden. Er scheint seinen Regierungsarm bis nach Deutschland ausstrecken zu wollen.

Um die gegenseitigen Interessen offenbar zu machen, verteidigt Remzi Aru Erdogans zensierendes Vorgehen gegenüber der türkischen Presse. Denn von oppositionellen Zeitungen mit Massenauflage würde "zu Mord und Totschlag" gegen den Präsidenten aufgerufen. Als ein Pegida-Demonstrant mit einem Galgen unterwegs war, an dem eine Puppe hing, die die Kanzlerin darstellen sollte, habe man sich in Deutschland auch empört.

Man müsse mit der neuen Partei rechnen, meint Aru, schließlich seien nach dem Aufruf zur Parteigründung innerhalb von zwölf Stunden 20.000 Anmeldungen eingegangen. Im Vergleich zur FDP, die nach 70 Jahren ihrer Existenz gerade mal 60.000 Mitglieder habe, sei das keine schlechte Quote. Das stimmt. Von solchen Zahlen können die Bibeltreuen vorerst nur träumen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden