Was die Presse vom Backgewerbe gelernt hat

Marktgeschehen Das Backgewerbe und das Geschäft der Textproduktion des Alltags gleichen sich an. Ein Vergleich

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Brötchen und Zeitung liegen näher beieinander als man vermuten könnte
Brötchen und Zeitung liegen näher beieinander als man vermuten könnte

Foto: MYCHELE DANIAU/AFP/GettyImages

Im ersten und zweiten Jahrzehnt der Nachkriegszeit gab es in Westdeutschland etwa 50.000 Bäckereien. Heute existieren in Ost und West nur noch rund 12.000. Gestiegen ist hingegen die Zahl der Filialen, die von immer weniger Bäckereien betrieben werden. Die Anzahl der Beschäftigten verringerte sich von 2010 bis 2015 um 18.000 auf insgesamt 275.000. Zunächst erscheint dies widersprüchlich: mehr Filialen – weniger Beschäftigte. Es ist die strukturelle Veränderung, die mit weniger Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mehr Umsatz generieren lässt, der mit steigender Tendenz bei 14 Milliarden Euro jährlich liegt.

Von der Vorstellung, dass die Bäcker des Nachts kurz nach Mitternacht am Arbeitsplatz zu finden seien, um ihren Teig vorzubereiten, muss man sich verabschieden. Das Bäckerhandwerk weicht steigend der seriellen Fabrikproduktion. In langen Backstraßen werden die Brötchen, Brote und süßen Teilchen geformt, vorgebacken und am Ende schockgefrostet. Anschließend werden sie zu den Discountern über ein ausgeklügeltes Logistiksystem transportiert. Inzwischen ist alles bestellbar, was Rang und Namen hat. Rang und Namen deshalb, weil seit einiger Zeit für die Brötchensorten allerlei Phantasienamen verwendet werden.

Von einem der führenden Herstellern Deutschlands DewiBack, der seine Zentrale in Berlin hat, kann man vom Rohling Dinkel-Crusty über Rübli-Brötchen bis zum Toskana-Kraftkornbrötchen alle Produkte ordern, von denen ein Filialleiter meint, sie gut an die Kundschaft veräußern zu können. Das ist aber nicht alles. DewiBack bietet den Backfilialen professionellen Beistand bei der "Erarbeitung der optimalen Back-Shop-Lösung" oder etwa ein Marketingmodul zur Verkaufsförderung. Nicht beworben werden die Zusatzstoffe, um Brötchen appetitlich, luftig und kross werden zu lassen. Die sind nämlich notwendig, um optisch und geschmacklich an die traditionelle Backkunst heranreichen zu können. Von den 200 Additiven, die im Bäckereigewerbe inzwischen verwendet werden, sind bis zu 20 pro Teig gestattet. Guten Appetit.

Dieses Distributionssystem hat die Presse von dem Backgewerbe übernommen. Ob bewusst oder einfach weil der Markt so beschaffen ist, sei dahingestellt. Ein Leser der Frankfurter Rundschau, liest gleichzeitig die Mitteldeutsche Zeitung, die Berliner Zeitung, den Weserkurier oder den Kölner Stadt-Anzeiger. Was liegt näher, als sich vorzustellen, dass die Frühstückslektüre, sei es in Köln, Berlin, Bremen, Halle oder Frankfurt, zusammen mit den in der Bundeshauptstadt produzierten Brötchen konsumiert wird. Was diese Zeitungen gleichmacht, ist die Redaktion, die aus Berlin den überregionalen Teil der Zeitungen beisteuert. Der Zulieferer formuliert das so: "Das Angebotsspektrum der DuMont Hauptstadtredaktion reicht von der klassischen Parlamentsberichterstattung aus dem Berliner Regierungsviertel bis hin zur Lieferung druckfertiger Mantelseiten im Format und Layout des Kunden, von der Zulieferung überregionaler Inhalte für digitale Produkte bis zur umfassenden Betreuung des Webauftritts und der App-Produktion."

Das liest sich wie die PR von DewiBack. Die Parallelen sind nicht zu übersehen: "Unser Leistungspaket ist modular aufgebaut und bietet Ihnen die Möglichkeit, aus attraktiven und voneinander unabhängigen Zusatzleistungen auszuwählen. Sie entscheiden über die ideale Kombination der Module und damit über Ihre persönliche Lösung. Unser Team unterstützt und berät Sie gerne."

Die Monopolisierungstendenzen beider Märkte sind offensichtlich. Die echte Vielfalt des Bäckerhandwerks weicht der vermeintlichen der Backfilialen, die sich landesweit etablieren. Die Mannigfaltigkeit der Zeitungen reduziert sich auf Mediengruppen oder Medienunternehmen, die Regionalzeitungen aufkaufen oder bedeutende Dienstleistungen anbieten, die große Bereiche der örtlichen Redaktionen überflüssig werden lassen.

Drei Beispiele mögen genügen, das System zu verdeutlichen: Die DuMont Mediengruppe mit Hauptsitz in Köln erreicht nach eigenen Angaben täglich 2,7 Millionen Leserinnen und Leser. Darüber hinaus ist sie im Hörfunk, im Fernsehen und im Internet aktiv. Derzeit erzielt das Unternehmen einen jährlichen Umsatz von rund einer halben Milliarde.

Das Medienunternehmen Madsack hat seinen Sitz in Hannover. 2,3 Millionen Leserinnen und Leser werden täglich versorgt. "Eigenen Angaben zufolge beliefert Madsack mittlerweile 30 verschiedene Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von mehr als 1,2 Millionen Exemplaren. Darunter befinden sich Madsack-Titel, deren Seiten direkt von der Zentralredaktion produziert werden, sowie Beteiligungen und über ein Dutzend externe Kunden, die Zugriff auf Textmodule bekommen", schreibt Meedia.

Die Funke Mediengruppe mit Hauptsitz in Essen erreicht täglich fünf Millionen Leserinnen und Leser. Sie ist auf dem Tageszeitungs- und Zeitschriftenmarkt, im Rundfunk, im Internet, im Druckbereich und der Logistik, dem Vertrieb, aktiv. Zu den von ihr betreuten Tageszeitungen gehören u.a. die Berliner Morgenpost, das Hamburger Abendblatt, die Neue Ruhrzeitung und die Westfälische Allgemeine: "Das Team der Zentralredaktion arbeitet sieben Tage die Woche, von 5 bis 24 Uhr, für die Leserinnen und Leser der Funke-Titel", so die Selbstdarstellung. Man sieht sich als "Brückenkopf der Regionalmedien".

Das ist eine wahrscheinlich ungewollt genau beschreibende Metapher: Brückenkopf wird vornehmlich in der Militärsprache verwendet. Der Duden beschreibt den Begriff u.a. als "kleines Geländestück, das auf dem feindlichen Ufer besetzt worden ist und das als Ausgangsbasis für die weiteren Kampfhandlungen dient." Eine Metapher, die auch das mehlverarbeitende Gewerbe für sich in Anspruch nehmen kann.

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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