Eine gute Wahl: Festival Director´s Choice

Filmreihe Auch das gehörte zur zehnten Ausgabe von „achtung berlin“: Die Wahl herausragender deutscher Produktionen des Jahres 2013 mit Schauplatz oder Produktionsort Berlin.

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Ummah - Unter Freunden“ ist das Kinodebüt von Cüneyt Kaya. Der Film bietet einen großartigen Einblick in das Leben des V-Mannes Daniel (Frederik Lau), der nach einer misslungenen Aktion in der rechten Szene in eine heruntergekommene Wohnung nach Neukölln zieht, um dort für einige Zeit unterzutauchen. Bei dieser Aktion wurde Daniel verletzt, andere Menschen starben. Ganz alleine in der neuen Umgebung versucht Daniel, sich zurechtzufinden. Doch die schrecklichen Erinnerungen lassen sich auch nicht mit Alkohol abtöten. Mit welcher Tiefe der Steglitzer Frederick Lau seinen Charakter Daniel verkörpert, ist überragend! Er trägt den gesamten Film fast im Alleingang. „Ummah“ beleuchtet den Neuköllner Multi-Kulti-Alltag exzellent und schafft es vor allem, die Distanz zu wahren und glaubhaft zu sein. Anfangs ist Daniel gegenüber Abbas (Kida Khodr Ramadan), dem Besitzer eines Gebrauchtelektronikladens, noch misstrauisch. Doch nach und nach entsteht eine Freundschaft und Daniel lässt sich in die türkisch-arabische Gemeinde Neuköllns einführen. Damit beginnen die Probleme jedoch erst.
Eine Filmperle, die durch die NSA-Debatte nochmal zusätzlich an Brisanz gewonnen hat.

Feuchtgebiete“ von David Wnendt („Kriegerin“) ist die Bestsellerverfilmung des gleichnamigen Buches von Charlotte Roche. Der Film wurde 2013 wegen seiner expliziten Darstellung verschiedenster Sexualpraktiken kontrovers diskutiert. Die 18-jährige Helen Memel (Carla Juri) hält nichts von Körperhygiene. Viel lieber setzt sie sich auf das schmutzigste Bahnhofsklo und wischt all die Keime mit ihrem Po ab. Lecker!
Eben solche Szenen sorgten für sehr unterschiedliche Meinungen der Presse und der gut 950.000 Kinozuschauer in 2013. Damit war er einer der erfolgreichsten deutschen Filme des letzten Jahres. Carla Juri spielt ihre Rolle als Helen überzeugend, die sich eigentlich nichts mehr wünscht, als dass ihre getrennt lebenden Eltern (Meret Becker und Axel Milberg) wieder zusammenkommen. Als sie nach einer missglückten Intimrasur ins Krankenhaus muss, versucht sie auch hier alles, damit die Familie wieder vereint ist. Krankenpfleger Robin (Christoph Letkowski) umsorgt sie; beide sind sich sehr sympathisch. Eine komplizierte Situation.
Solides, polarisierendes Drama mit schwarzem Humor und hohem Ekelfaktor.

Eltern“ von Robert Thalheim („Netto“) und mit Christiane Paul und Charly Hübner in den Hauptrollen ist ein realistisches Familiendrama mit hohem Identifikationsgrad. Denn die Geschichte könnte aus vielen Familien stammen: Christine (Christiane Paul) arbeitet in einem Krankenhaus als Ärztin und will weiter Karriere machen. Konrad (Charly Hübner) kümmerte sich jahrelang als Hausmann um die Kinder, ist ihr Liebling. Jetzt wird er allerdings nach Jahren wieder als Theaterregisseur arbeiten. Die Eltern haben vorgesorgt und ein Au-pair-Mädchen engagiert, das sich um die beiden Töchter kümmern soll, während Konrad und Christine arbeiten. Isabel (Clara Lago) kommt jedoch schwanger in Berlin an und kann die Kinder nicht umsorgen. So fällt wieder alles auf Konrad und Christine zurück. Vor allem Konrad wird es zu viel, da es auch auf der Arbeit Probleme gibt. Er zieht ins Theater, um in Ruhe arbeiten zu können. Höchste Zeit, dass sich etwas ändert.
Vor allem die starken Leistungen von Hübner und Paul machen den Film zu einem intensiven Kinoerlebnis. Aber auch die Geschichte überzeugt, denn hier wird keines der Familienmitglieder ohne Schwächen dargestellt. Alle machen Fehler und müssen mit den Konsequenzen leben, sehr realistisch eben. Ein weiterer gelungener Aspekt ist, wie gut es Thalheim gelingt, den Mikrokosmos einer Familie darzustellen. In „Eltern“ wird viel Wert auf die Details gelegt.
Starkes, intensives Drama mit hohem Realitätsgrad.

Houston“ von Bastian Günther („Autopiloten“) mit Ulrich Tukur in der Hauptrolle ist ein Melodram, das auf unzähligen Festivals in aller Welt lief und auch vielfach ausgezeichnet wurde. Clemens Trunschka (Ulrich Tukur) ist ein Headhunter, der alkoholsüchtig ist und dadurch Familienprobleme hat. Er bekommt eine große Chance: Er soll einen wichtigen Manager abwerben und reist dafür nach Houston, Texas. Mit Hilfe von Robert Wagner (Garret Dillahunt) versucht er, den schwer fassbaren Mann zu treffen. Tukur brilliert als gebrochener, egoistischer, trickreicher Hunter, dem man seinen Zerfall ansieht. Ebenso stark ist US-Schauspieler Dillahunt. Die fließenden Bilder, die packende, interessante Geschichte und die atmosphärische Musikuntermalung runden diesen Weltklassefilm ab.
Beeindruckendes Melodram, das von den beiden Hauptdarstellern getragen wird.

Master of the Universe“ ist ein Dokumentarfilm über das Bankenwesen von Marc Bauder, der auf dem Filmfest in Locarno mit dem Hauptpreis der Jury ausgezeichnet wurde und für den besten Dokumentarfilm beim Deutschen Filmpreis 2014 nominiert ist. Der Film hat nur einen menschlichen Protagonisten: den ehemaligen Spitzenbankier Rainer Voss. Dieser plaudert bis zu einer gewissen Grenze aus dem Nähkästchen. Er gewährt tiefe, erschütternde Einblicke in die Finanzstrukturen der Banken und den Umgang mit Kunden und Mitarbeitern. Als Außenstehender versteht man nicht jede seiner komplexen Erklärungen, aber dank vieler guter Anekdoten und Metaphern kann man das meiste nachvollziehen. Gedreht wurde der Film in einem verlassenen Banktower in Frankfurt am Main. Die architektonischen Kunstwerke „Mainhattans“ stellen einen beeindruckenden Gegenpol zu den Erzählungen von Voss dar. Eine schöne Glitzerwelt, die hinter der Fassade das genaue Gegenteil ist.
Beeindruckender, starker Dokumentarfilm, der den Horizont erweitert.

Außerdem waren in der Reihe „Director’s Choice“ zu sehen: „Ich fühl mich Disco“ von Axel Ranisch und „Das merkwürdige Kätzchen“ von Ramon Zürcher. Viele der genannten Filme sind bereits als DVD erhältlich.

Stefan Bröhl / im Rahmen des Studiengangs Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation – MHMK, Standort Berlin.
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achtung berlin

Der achtung berlin - new berlin film award ist ein Filmfestival, das sich mit Leib und Seele dem Hauptstadtkino verschrieben hat. 9.-16. April 2014

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