Interview mit Biene Pilavci (Alleine Tanzen)

Interview "Alleine Tanzen" ist der sehr intensive und persönliche Festivalbeitrag von Biene Pilavci. Dem achtung berlin/Der Freitag-Blog stand sie Rede und Antwort.

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Interview mit Biene Pilavci (Alleine Tanzen)

Wir freuen uns sehr, Biene Pilavcis Dokumentarfilm „Alleine Tanzen“ auf dem achtung berlin Festival zu zeigen. In dem sehr persönlichen Film setzt sich die Regisseurin nicht nur mit ihrer Kindheit, die durch häusliche Gewalt geprägt war, auseinander, sondern sie untersucht beinahe akribisch die weitreichenden Folgen dieser Verhaltensmechanismen im Hier und Jetzt. Im Interview stand uns Biene Pilavci Rede und Antwort.

Liebe Biene, „Alleine Tanzen“ lief unter anderem auf dem Dokfest Leipzig. Wie war die Resonanz bisher?

Das Publikum fühlt sich in der Regel angesprochen und nimmt Anteil am Geschehen. Häufig ergeben sich inhaltliche Gespräche, die über ALLEINE TANZEN hinausgehen. Das führt bei mir dazu, mich jedes Mal daran zu erinnern, dass ich diesen Film nicht nur für mich machte, sondern auch für den Zuschauer. Das finde ich als Filmemacherin eminent wichtig.


Wann hast du entschieden, diesen Film tatsächlich zu drehen und welche Gründe haben dich dazu bewogen?

Im Jahr 2005 drehte ich meine erste filmische Übung an der dffb. Darin porträtierte ich meine Schwester Ilknur Abla. Der Film wurde sehr kontrovers diskutiert und Hartmut Bitomsky (bis 2009 Direktor der DFFB. Anm. d. R.) sagte mir damals: „Vielen Dank, sie haben mich zu Tränen gerührt.“, und setzte der Diskussion ein Ende. Das hat mir die nötige Zuversicht gegeben, irgendwann mal etwas Größeres daraus zu machen. Ich habe mich dann jahrelang um meine anderen Projekte gekümmert bis plötzlich der Film zu mir kam. Viele Ereignisse geschahen gleichzeitig. Zum einen wollten meine kleinste Schwester und ihr Freund heiraten, was später zwar doch nicht geschah, aber ich das für einen tollen Rahmen eines Dokumentarfilms hielt. Und zum anderen geriet mein Leben ein bisschen aus den Fugen, als mir Kommilitonen mitteilten, ich solle etwas an meinem Leben ändern. Sonst können sie nicht mit mir zusammenarbeiten. Dass meine innere Unausgewogenheit dermaßen auf meine Arbeit abfärbte, machte mich sehr nachdenklich. Und ich wollte etwas an der Situation ändern oder zumindest untersuchen.


Also war „Alleine Tanzen“ für dich eine Art Aufarbeitung deiner Vergangenheit?

Diesen Film zu machen, war schon ein großer Schritt für mich und so etwas wie der letzte Strohhalm, an den ich mich klammerte. Zuvor führte ich Tagebuch, redete mit Freunden, begann eine Therapie und brach sie wieder ab und dann erst kam der Film. Er war meine letzte Möglichkeit, auf den ich all meine Hoffnungen setzte. Doch so sehr der Film auch eine therapeutische Wirkung auf mich hatte, so wichtig war es mir auch, dass er universell bleibt und nicht privat wird, nur auf diese Weise, erhoffte ich mir, würde er es schaffen, mit dem Zuschauer zu sprechen. Denn als Filmemacherin teile ich mich zwar naturgemäß mit, aber ungern führe ich dabei Selbstgespräche.


Auffällig ist der Titel „Alleine Tanzen“. Was bedeutet er für dich genau?

Er beschreibt mein Lebensgefühl. Tanzen ist ja eigentlich schön. Das Alleine sein eher weniger. Doch beide Gefühle in Kombination führen zu etwas Neuem, wo gleichzeitig auch eine Diskrepanz entsteht. Ich frage mich, ob das der Preis meiner angeblichen Selbstverwirklichung ist.


Als Erzählerin im Film bist du sehr nüchtern. Ist das dein Weg Abstand zu halten oder hast du vielleicht sogar Abstand?

Zunächst möchte ich gerne deine Frage bejahen. Durch meine jahrelange Abwesenheit bin ich glücklicherweise einerseits in der Position, Abstand gewonnen zu haben. Und andererseits verstehe ich durch die Einforderung meiner Familie, mich zu ihnen zu positionieren, stets den Kontext, in der sie sich bewegt und bin deshalb auch immer ganz nah bei ihr. Doch ich bin keineswegs nüchtern. Ganz im Gegenteil durch meine eigene offene Anteilnahme fühlt sich meine Familie in ihren Nöten und Sorgen, aber auch in ihrer Freude bestätigt. So stellen die Familienmitglieder einen Bezug zu sich selbst, zum Film bis hin zu mir, her. Wo wiederum ein Wechselspiel beginnt, und ich mir selbst dadurch sehr nahe komme. Die vordergründige Nüchternheit meiner Voice Overs, auf die du auch ansprichst, dient mir zum großen Teil zum Selbstschutz. Diese Erzählweise ist für mich eine angemessene Form, mich diesem Thema zu nähern und dadurch dem Zuschauer die Möglichkeit anzubieten, mit mir mitzugehen.


Hauptsächlich begleitet dich der Kameramann Armin Dierolf. Dieser ist deiner Familie beim Dreh sehr nahe gekommen. Hast du eine sehr vertrauensvolle Beziehung zu ihm und wie war die Zusammenarbeit generell?

Wir kannten uns vorher nur flüchtig. Doch seine empathische Kameraarbeit sprach mich schon immer sehr an. Jedenfalls sagte er begeistert zu, so dass ich ihn auch beschwichtigen musste: „Wir gehen nicht in ein Flüchtlingslager, in den Dschungel oder in ein Kriegsgebiet, aber es wird so etwas Ähnliches werden.“ Zuerst hat er das abgetan, doch dann staunte er nicht schlecht, als sich ihm unser Familiengeflecht offenbarte. Das erkennt man auch an den ziemlich chronologischen Bildern. Die Unsicherheit der Kamera ist zu spüren. So, als ob er den Zuschauer vertritt. Nach und nach gewöhnte er sich an die Situation und wir wurden im Zuge dessen gute Freunde und Vertrauenspartner. Da Armin ein sehr positiver und zugänglicher Mensch ist, machte er es auch meiner Familie leicht, ihn zu mögen. So dass sie ihn gerne bei sich aufnahm. Er wiederum dankte es mit seinen Bildern.


Zum Finale des Films fährst du in die Türkei, um deinen Vater zu besuchen. Warum war es wichtig für dich, dass auch dein Vater zu Wort kommt?

Das gute an diesem Film ist wirklich, dass sich die Dramaturgie ganz von alleine entwickelte. So war es auch nur logisch dieses bis dahin aufgebaute, monströse Bild von ihm unbedingt zu entkräften oder zumindest ambivalent zu halten. Niemand ist wirklich böse, wir sind alle nur Menschen. Es geht hier um menschliche Unzulänglichkeiten und nicht um Verurteilungen. Zudem wollte ich aus rein persönlichem Interesse wissen, was er zu unserer Familiengeschichte meint, und wo er seinen Beitrag zur Geschichte sieht.


Warst du mit dem Ergebnis zufrieden oder war dir eigentlich egal, was passiert?

Mitnichten. Vor Ort war ich anfangs sehr unzufrieden und frustriert. Weniger, weil er uneinsichtig war, sondern, weil ich mich über mich selbst wunderte. Ich begann zu insistieren und bemerkte eine Wut in mir aufkeimen, wo ich mich ihr längst entwachsen dachte. Ich fühlte mich überfordert und wollte nur noch weg.

Deine Familie hat „Alleine Tanzen“ gesehen. Wie war ihre Reaktion?

Er hat einen Prozess in Gang gesetzt. Anfangs waren meine Geschwister und Mutter schockiert über ihre Außenwirkung, doch dann bemerkten sie, dass der Film etwas mit dem Zuschauer macht. Plötzlich stehen sie für etwas Größeres da, als „nur“ für sich selbst. Sie vertreten einen ganzen Schlag von sich ungeliebt fühlenden Menschen. Ich glaube, ich würde nicht zu dick auftragen, wenn ich sage, sie sind heute stolz auf sich und ihren Beitrag dazu. Sie sind auch stolz auf mich. Das freut mich sehr, obwohl es zugegebenermaßen eine schizophrene Situation ist. Allerdings hat ihn mein Vater noch nicht gesehen und ich weiß auch nicht, ob ich ihm den Film jemals zeigen werde. Denn es kann sein, dass seine Familie in der Türkei die Wahrheit nicht verkraften würde. Ich scherze immer, dass sie entweder mich oder meinen Vater lynchen werden. Nicht, dass ich Mitleid mit ihm habe, aber ich finde, es ist einfach nicht besonders konstruktiv sich ab einem gewissen Alter seiner Verantwortung stellen zu müssen. Zumal er es einfach nicht kann oder will.

Du hattest lange kaum Kontakt zu deiner Familie. Hat sich das mit dem Film geändert?

Um diese Frage zu klären, sollten wir über Änderung an sich sprechen. Was ist das? Wie geht das und wenn ja, dann wie viel? Doch um es abzukürzen, fragte ich mich zu Beginn meines Studiums: „Kann ein Film etwas ändern?“ Dieser Frage gehe ich nach wie vor, bei jedem Buch, jedem Dreh und jedem Schnitt nach. Auch bei ALLEINE TANZEN klopfte ich vieles dazu ab. Und auch hierbei stelle ich jeden Tag fest, ein Film kann einen Scheiß ändern.
Aber, wer weiß, vielleicht sind mir auch einige Dinge immer noch verborgen geblieben und ich steige einfach nicht dahinter. Stelle mir diese Frage noch mal an meinem Totenbett (lacht). Doch um deine Frage zu beantworten, obwohl es mir nicht darum ging, gibt es jetzt diesen Nebeneffekt, dass sich meine Mutter mehr um mich bemüht. Und auch ich versuche ihr eine brave Tochter zu sein.

Schauen wir zuletzt noch in die Zukunft. Wie geht es weiter, hast du schon neue Projekte? Willst du im Dokumentarfilm oder Spielfilmbereich arbeiten?

Ich habe Spielfilmregie studiert und dafür schlägt auch weiterhin mein Herz. Ich habe, wie man so schön sagt, einige Projekte in der Pipeline, allerdings noch nichts spruchreifes. Bis dahin halte ich mich unter anderem mit Cutter-Jobs über Wasser.

Peter Correll
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

achtung berlin

Der achtung berlin - new berlin film award ist ein Filmfestival, das sich mit Leib und Seele dem Hauptstadtkino verschrieben hat. 9.-16. April 2014

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