Mach mal halblang!

Eindrücke „achtung berlin“ präsentiert traditionell Filme oberhalb von 20 und unterhalb von 70 Minuten, die es im Kinoalltag schwer haben, aber dennoch eine Entdeckung wert sind

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Mach mal halblang!

„Terrassentage“ (Mittellange Filme, Programm 4)

Plattenbauten in Berlin; ein muffiges Wohnzimmer mit 80er- Jahre Inneneinrichtung und eine Hundefriseurin bei der Arbeit. So beginnt „Terrassentage“ - ein 45minütiger Dokumentarfilm, der waschechtes Berliner Flair auf die Kinoleinwände zaubert. Ursprünglich sollte der mittellange Film von Lin Sternal aber ein ganz anderes Thema aufgreifen.

„Welcome to Terrortown“ steht groß an der Lagerhalle in einer Berliner Plattenbausiedlung. Hier wohnen Ruth, Iris und Helga, die sich täglich bei Iris zum Klatsch und Tratsch auf der Terrasse treffen. „Na endlich is det Wetter wieder schöön. Wenn es nich so warm wär, könnten wir hier jar nich sitzen, weil es dann kalt wäre“, stellt Ruth fest. In diesem herrlichen Berliner Dialekt startet einmal mehr die Gesprächsrunde der Rentnerinnen. Gemütlich auf der Mauer des Gartens, im Jogginganzug und den Hunden.

„Terrassentage“ traf auf der Berliner Filmpremiere am Sonntag, dem 13. April von „achtung berlin“ auf große Begeisterung des Publikums. Der Film zeigt mal ein anderes Gesicht der Hauptstadt und seinen Einwohnern - fernab von Hipstern oder gestressten Businessmenschen. Auf Iris Terrasse ist die Welt noch in Ordnung. Hier regt man sich nur mal über den unfreundlichen „Eierkopp-Bierpaule“ von drüben auf, oder tauscht Erfahrungsberichte über die Problematik aus, wie man unfallfrei in die Badewanne kommt. Vor allem aber sind die Hunde das Herzstück des Films. Neben der „kläffenden“ Präsenz während der Terrassengespräche, erscheinen die Vierbeiner auch in regelmäßigen Abständen bei einer Hundefriseurin. Diese hat es oftmals nicht leicht, denn ihre Kunden sind recht launisch und wirken verstört. Dies bestückt den Film jedoch mit hoch-amüsanten Momenten.

Regisseurin Lin Sternal ging ursprünglich der Frage nach: Passt sich ein Mensch dem Hund an oder der Hund einem Menschen? Über eine Tierärztin stieß sie dann auf ihre drei Protagonisten.

„Ich liebe meine Protagonisten und habe versucht sie immer so darzustellen, dass man mit ihnen lacht und nicht über sie“, betont Sternal nach der Filmpremiere. Dieses Vorhaben ist ihr gelungen! Ungezwungen, herrlich, trist und doch schön zugleich nimmt „Terrassentage“ den Zuschauer mit in die Welt der Plattenbauten von Berlin.

Termin: Di, 15. April 2014, 22:30 Uhr, Babylon 3

Von Marc Burgemeister

Der grüne Stern (Mittellange Filme, Programm 3)

Als die Uhren am 31. Dezember 1999 begleitet von Böllern, Raketen und Tischfeuerwerken endlich Mitternacht schlugen, feierten die Menschen weltweit den magischen Beginn eines neuen Millenniums. Irgendwo unter ihnen war auch die junge Französin Aline Fischer, die an jenem ausgelassenen Silvesterfest noch keine Ahnung hatte, dass sie in diesem verhängnisvollen Jahr 2000 ihre erste große Liebe auf tragische Art und Weise verlieren würde.

Michel ist 19 Jahre alt, als er nach dem Schulabschluss seine idyllische Heimat in Bayern verlässt, um in den peruanischen Dschungel zu reisen; angesichts dieser zweifellos gefährlichen aber auch abenteuerlichen Expedition die Indios im Amazonasgebiet kennenzulernen und die große weite Welt zu entdecken. Er sollte niemals zurückkehren und die Angehörigen somit vor ein bis heute ungelöstes Rätsel stellen. 11 Jahre nach seinem Tod setzt sich Aline Fischer noch einmal mit diesem Mysterium auseinander. Sie ist mittlerweile eine ambitionierte Jungregisseurin und studierte Politikwissenschaftlerin und verarbeitet den dramatischen Mord an ihrem geliebten Michel in ihrem neusten Film "Der grüne Stern", der im „achtung berlin„-Wettbewerb in der Kategorie der mittellangen Filme an den Start geht.

Ihr Dokumentarfilm ist alles andere als eine klassische Dokumentation geworden. Aline Fischer zeigt nicht, was tatsächlich passiert ist, nein, sie nimmt den Zuschauer mit auf eine abstrakte Reise in die peruanische Dschungelwelt und entspinnt auf diese Weise viel mehr einen dokumentarischen Thriller. Emotionale Aufnahmen von Michels Hinterbliebenen im rustikalen Bayern wechseln sich ab mit surreal wirkenden Kamerafahrten durch finstere Wälder und menschenleere Dörfer. Aline Fischer trägt selbst zu diesem brutalen Kontrast bei, indem sie alle Sequenzen, die auf der Gedankenreise in Peru stattfinden, mit ihrer tragenden, tiefen Stimme auf Französisch einspricht. Der Zuschauer taucht somit vollständig in eine teils melancholische, teils brutale Traumwelt ab und ist innerlich zerrissen, zwischen den schönen Klängen und Fernweherweckenden Bildern und andererseits dem Gedanken an das unvorstellbare Leid, das Michel in den letzten Minuten seines Lebens ertragen musste.

Eine Auflösung, was vor mittlerweile 14 Jahren im peruanischen Dschungel passierte, kann auch Aline Fischer nicht geben. Aber sie kann ihrer ersten großen Liebe, ihrem grünen Stern, ein cineastisches Denkmal setzen und das ist ihr mit ihrem mitreißenden Dokumentarfilm der etwas anderen Art zweifellos gelungen.

Termin: Mi, 16. April 2014, 20.15 Uhr, Babylon 3

Von Katharina Kunisch

im Rahmen des Studiengangs Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation – MHMK, Standort Berlin.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

achtung berlin

Der achtung berlin - new berlin film award ist ein Filmfestival, das sich mit Leib und Seele dem Hauptstadtkino verschrieben hat. 9.-16. April 2014

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