Ron DeSantis gegen Disney: Unter der Sonne Floridas
Kulturkampf Ron DeSantis wäre gerne US-Präsident und setzt auf eine Kampagne gegen „Wokism“. Adrian Daub erklärt, warum er ausgerechnet an Mickey Mouse scheitern könnte
Rechte Kulturkämpfe in den USA haben eine seltsame Dynamik. Ob auf Fox News oder in republikanischen Vorwahlen: Häufig schaffen sie es eine Zeit lang, die Mitte der Gesellschaft zu aktivieren. Aber fast immer greift eine Lust an der Ausschmückung und Ziselierung, eine Multiplikation und Verästelung der Erregungen, und die große Masse verliert schlicht den Überblick oder das Interesse. „Stop the Steal“ zum Beispiel fing mit vergleichsweise einprägsamen Legenden über angebliche Irregularitäten bei der Präsidentschaftswahl 2020 an und endete nur ein paar Wochen später mit wilden Geschichten über tote südamerikanische Diktatoren, die US-Botschaft in Rom und die Verhaftung des Papstes. Die angeblichen Irregularitä
28;ten waren dabei natürlich genauso fiktiv wie die wilden Verschwörungsmythen: Nicht der Warhheitsgehalt hatte sich verändert, nur die Komplexität der Unwahrheiten.Fast immer bringt diese Mythomanie abnehmende Erträge. Für einen Moment, mal einen kurzen, mal einen einigermaßen langen, setzen sich diese Geschichten durch, überzeugen auch Nichtgläubige, verunsichern die Medien. Aber dann fangen sie fast immer an, unter ihrem eigenen Gewicht einzuknicken. Versuchen zu verstehen, warum MAGA-Republikaner – die nationalistische „Make America Great Again“-Fraktion – wütend auf Budweiser sind oder den Kaffeehersteller Keurig boykottieren, warum sie bestimmte Figuren hassen oder bestimmte Ausdrücke verwenden, das ist in etwa so, als würde man nach 20 Filmen in zwei Jahrzehnten ohne Vorkenntnisse oder Einarbeitung in das weit verästelte Superheld*innen-Universum in einen neuen Marvel-Film gehen.Tucker Carlsons nebulöser GegenschlagAls Tucker Carlson, Ex-Moderator bei Fox News, vergangene Woche seine Erklärung über seine Entlassung bei Twitter einstellte, war die absurde Hermetik dieses angeblichen Populismus spektakulär zu beobachten. Carlsons Gegenschlag gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber war mit Furcht und Vorfreude erwartet worden. Als er kam, hinterließ er fast ausschließlich Verwirrung. „Was wahr ist, setzt sich durch", sagte er etwa in dem Video. „Wo findet man noch Amerikaner, die wahre Dinge sagen? Es gibt nicht mehr viele Orte, an denen das geht. Aber es gibt sie, und das reicht. Solange Sie meine Worte hören können, besteht noch Hoffnung.“ Gewiss, irgendwer wird Beifall geklatscht haben, wird genau gewusst haben, worauf Carlson damit anspielte. Die meisten Zuschauer dürften sich schlicht nicht darüber klar gewesen sein, wer nun der Feind war, auf wen sie ihre Wut richten sollten. Für einen Demagogen fatal.Auch Twitter-Chef Elon Musk scheint sich in einer ähnlichen Echokammer verloren zu haben, er scheint seinen Populismus auf einen immer weiter schwindenden Personenkreis (einige Risikokapitalisten, MAGA-Fans und eine Person namens „Catturd“) und deren Obsessionen auszurichten – und dabei bei immer breiteren User-Schichten nur noch Kopfschütteln zu ernten.Ähnliches scheint in den USA beim Kampf gegen „Critical Race Theory“ und „Wokeness“ zu passieren: Einen Moment lang schien es, als hätten republikanische Politiker wie Glenn Youngkin, Gouverneur von Virginia, mit dem Thema moderate Wähler:innen wieder zum Trumpismus zu führen vermocht. Doch die Panik ließ sich nur schwer aufrechterhalten, zumal Youngkins Partei ja dabei ist, die Freiheiten der Amerikaner:innen in ganz extremem Maße zu beschneiden, angefangen beim Abtreibungsrecht. Da funktionieren Warnungen vor woken jungen Menschen und ihrer Cancel Culture eben nur noch bedingt.Genau in diese Falle scheint Florida-Gouverneur Ron DeSantis nun auch getappt zu sein. Er hat beschlossen, der MAGA-Basis genau das zu liefern, was sie sich wünscht, aber er ist dabei, sich zu verzetteln. DeSantis hat 2022 einen Gegner herausgefordert, den er für leichte Beute hielt, aber sich stattdessen in einen Stellungskrieg verwickeln lassen, der mit jedem verstreichenden Monat unerklärlicher wird. Zumal DeSantis’ Gegner Mickey Mouse ist.Disney World in Orlando könnte DeSantis’ Waterloo werdenDass Disney World, beheimatet in Orlando, zu DeSantis’ Waterloo zu werden droht, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Mehr als alle anderen republikanischen Anwärter auf das Präsidentenamt, ja sogar mehr noch als Donald Trump, hat DeSantis seinen aufhaltbaren Aufstieg als Kampagne gegen „Wokismus“ konzipiert, als einen einzigen, langen, Fox-News-gefälligen Kulturkampf gegen alles und jeden, das oder der die republikanische Basis gerade umtreibt. LGBT-Personen zum Beispiel, deren pure Existenz im Zuge der QAnon-Verschwörungsmythen in den USA wieder zum Politikum wurde.Ron DeSantis hat übrigens seinerzeit in Disney World geheiratet. Allein schon das ist einigermaßen seltsam. In der Republikanischen Partei gibt es seit jeher eine biografische Ochsentour, die Präsidentschaftskandidaten in spe absolvieren – und zu denen gehört Ron DeSantis seit Jahrzehnten. Nicht jede Station dieses Kreuzweges muss abgehakt werden (Besuch einer Eliteschule, Schimpfen auf selbige Eliteschule, Photo-Op mit Massivhut in Texas, Butterskulptur in Iowa), aber eine schöne kirchliche Hochzeit sollte für einen begeisterten Kulturkämpfer doch nicht zu viel verlangt sein. Es soll in den USA 380.000 Kirchen geben – und DeSantis ehelicht in einem „Hotel im viktorianischen Stil“ direkt beim Magic Kingdom.Christentum ist für DeSantis nur ein Stück weißer IdentitätspolitikDeSantis’ kultureller Konservatismus hat auch sonst nur wenig mit Kirche zu tun – in seinen just erschienenen Memoiren (sprich Wahlkampfbuch) The Courage to Be Free spricht er wenig über Gott und seinen Glauben – für ihn ist Christentum nur ein Stück weißer Identitätspolitik, das es zu aktivieren gilt. Und seine Feinde sind die „Woken“.DeSantis-Vorhaben wie der „Stop Woke Act“, der Bücher über Rassismus aus Floridas Schulen verbannte, oder die „Parental Rights in Education Bill“, die die Erwähnung von Homosexualität und Gender in der Schule unter Strafe stellte, waren eindeutige Zensurversuche, alle natürlich im Namen eines Versuchs, einer angeblichen linken „Cancel Culture“ entgegenzuwirken. Nur hat diese mysteriöserweise noch keinen einzigen vergleichbaren Gesetzestext hervorgebracht. DeSantis hingegen ist dabei, an Floridas Hochschulen ganze Studiengänge per Gesetz aufzulösen, die Verbeamtung von Professoren aufzuheben – alles im Namen des Kampfes gegen die Wokeness.Mit ungewohnter Schärfe kritisierte die Walt Disney Corporation das Anti-LGBT-Gesetz: „Unser Ziel als Unternehmen ist es, dass dieses Gesetz vom Gesetzgeber aufgehoben oder von einem Gericht ungültig erklärt wird“, so ein Konzernsprecher 2022. Seitdem führt der Cäsar von Tallahassee Krieg gegen das gallische Dorf bei Orlando. Dort hatte sich Disney 1968 einen eigenen Landkreis einrichten lassen, den Reedy Creek Improvement District, eine 100 Quadratkilometer große Gerichtsbarkeit, die von den Regularien der Counties Orange und Osceola ausgenommen ist. Diesen ließ DeSantis als Rache per Gesetz annektieren. „Es ist mir egal, was Hollywood sagt,“ so DeSantis 2022, „es ist mir egal, was große Konzerne sagen.“ Und halb lutherisch, halb napoleonisch setzte er hinzu: „Hier stehe ich. Ich ziehe mich nicht zurück.“In The Courage to Be Free behandelt DeSantis diesen Konflikt in einem Kapitel mit dem Titel „The Magic Kingdom of Woke Corporatism“. Eine perfekte Buchstabensuppe für die trumpistische GOP: die Kapitelüberschrift kommt populistisch daher – der Gouverneur streitet für den kleinen Mann und gegen die bösen Konzerne. Nur hat DeSantis nichts gegen Konzerne und auch nichts gegen Sonderrechte für sie. Er hat auch den Disney-Distrikt (der ja in der Tat einigermaßen undemokratisch ist) nicht etwa aufgelöst, sondern ihn einfach unter die Kontrolle seiner Lakaien gestellt. DeSantis hat nichts gegen Eliten, solange es seine Eliten sind, nichts gegen Experten, solange es seine Experten sind.Nur entwickelt sich die Nummer mit dem Magic Kingdom immer mehr zum Bumerang. Disney hat die Satzung des Business District umschreiben lassen, bevor DeSantis’ Satrapen den Laden übernehmen konnten; nun hat es gegen dessen Rachekampagne geklagt. Und obwohl DeSantis die Harvard Law School absolviert hat und in Guantánamo als Rechtsbeistand der Folterknechte diente – also juristisch selber kein unbeschriebenes Blatt ist –, hat Disney weitaus mehr und bessere Anwälte. Die Rache, die bekanntlich am besten kalt serviert werden sollte, sie gerinnt so langsam unter der Floridas Sonne.Ron DeSantis’ Feldzug gegen den „woken“ Goliath Disney, er wirkt mit jedem Monat, den er anhält, kleinlicher, verzettelter. Und sein Kampf gegen die „Wokeness“ selber und politische Korrektheit wirkt fadenscheiniger – als Vorkämpfer für Meinungs- oder gar Wissenschaftsfreiheit kann sich DeSantis beileibe nicht mehr präsentieren. DeSantis wirkt rachsüchtig und tyrannisch, und er hat es zu allem Überfluss auch noch geschafft, dass ein mächtiger Konzern, der nur seine Sonderprivilegien verteidigen will, plötzlich der Sympathieträger ist.Placeholder infobox-1
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