Auf dem Kriegspfad

Politische Kommunikation Die Agentur Platoon nimmt Guerilla-Marketing wörtlich. Sie gibt sich martialisch und kämpft für den Mindestlohn - aber genauso auch für Konzerne wie Adidas

Die vier armeegrünen Frachtcontainer wirken wie ein Stachel in der glatten Haut von Berlins neuer Mitte. Drei der Blechkisten auf dem brachliegenden Gelände an der Alten Schönhauser Straße sind übereinander gestapelt, grelle Strahler werfen kaltes Licht auf die geriffelte Oberfläche. Ein schwarzer Schriftzug steht auf den Containern – Platoon. Das Wort ist ein militärischer Fachbegriff, bei der US-Armee bezeichnet Platoon die kleinste taktische Kampfeinheit. Und in der Tat: In den schmucklosen Metallkartons, hier zwischen all den Flagshipstores, De­signerhotels und Szenerestaurants, wird gekämpft. Für die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns in Deutschland.

Christoph Frank, 40, ist Inhaber und Kreativchef der Kommunikationsagentur Platoon, die für die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und den Deutschen Gewerkschaftsbund, aber auch für große Konzerne wie Adidas Kampagnen entwickelt. Besondere Kampagnen, die auf unorthodoxe Mittel und Methoden setzen. Auf Internetfernsehen, auf Flashmobs, auf Straßenkunst, Graffitti und Scratching. Die Agentur Platoon arbeitet an der Schnittstelle zwischen kommerzieller Werbung, Aktionskunst und politischer Kommunikation.

Frank sitzt ganz oben im Containerstapel, an einem an der Wand verschraubten Stahltisch. Vor ihm steht ein riesiges Apple-Notebook. Der Mann mit den kurzen blonden Haaren ist in Stuttgart geboren und aufgewachsen, studierte dort Grafikdesign. Nach zwei Jahren in einer kleinen Werbeagentur zog es ihn nach Berlin. Er lehnt sich zurück, zündet eine Filterzigarette an und erklärt seine Sicht der Welt: „Jeden Tag kämpfen Unternehmen und andere Kommunikationstreibende um die Aufmerksamkeit der Menschen. Drei- bis viertausend Werbebotschaften prasseln täglich auf uns ein. Wir befinden uns in einem Kommunikationskrieg!“

"Zum Nachdenken anregen"

Frank sieht aus, als käme er gerade aus dem Fitnessraum eines Flugzeugträgers. Er trägt schwarze Turnschuhe, eine olivgrüne Armeehose in Übergröße und einen grauen Kapuzenpullover. Der Name und das Auftreten seiner Agentur habe natürlich auch viel mit Eigenbranding zu tun, räumt er ein. Man wolle sich von anderen Werbern abgrenzen. Aber Platoon habe durchaus auch eine aggressive Philosophie: „Wir wollen die Leute nicht dümmer machen, als sie eh schon sind. Wir wollen nicht einfach sagen: Kauft das und werdet glücklich! Wir wollen Fragen stellen, zum Nachdenken anregen und auch mal irritieren.“

Irritiert dürften unter anderem die Bundestagsabgeordneten gewesen sein, die Anfang September im Berliner Regierungsviertel auf eine neu gestaltete Hausfassade blickten. Auf einem gut 20 Meter hohen, schwarz-gelben Plakat waren die stilisierten Gesichter von Angela Merkel, Karl-Theodor zu Guttenberg und Guido Westerwelle abgebildet. Darüber prangte der Schriftzug „Hungerlohnpartei.de“. Die dazugehörige Webseite listete Argumente für einen flächendeckenden Mindestlohn auf, Gegner eines Mindestlohns wurden als Mitglieder der fiktiven Hungerlohnpartei geoutet. Die von Platoon ausgetüftelte Verdi-Kampagne sorgte für einiges Aufsehen.

Kurz vor der Wahl wurde das Banner dann wieder abgehängt – um einem neuen Wandgemälde Platz zu machen. Graffiti-Ikone Victor Ash malte eine fünf Stockwerke hohe Menschenpyramide auf das Gewerkschaftshaus: ein Appell für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Über der Pyramide stand ein 20 Meter breiter Aufruf: „Stimmen für den Mindestlohn.“

Doch die kreativen Plakate bewirkten wenig, die Schlacht ums Wählerkreuz ging verloren. Politiker von CDU und FDP haben immer wieder bekundet, dass sie flächendeckende Mindestlöhne nicht einführen werden und sogar erwägen, den bereits eingeführten Mindestlohn für Briefträger wieder zu kippen. „Die SPD hat das alles vergeigt“, findet Frank. Die Wahl sei verlorengegangen, weil die Sozialdemokraten bewusst eine Koalition mit den Linken ausgeschlossen hätten. Viele Menschen seien deshalb gar nicht erst zur Wahl gegangen.

Eine echte Niederlage in seinem Kommunikationskrieg will Frank aber nicht einräumen. Auch wenn der Mindestlohn jetzt nicht komme, sei die Kampagne trotzdem ein Erfolg gewesen: „Wir sind vor drei Jahren mit einer Zustimmung von 67 Prozent in der Bevölkerung gestartet, inzwischen wollen 85 Prozent der Menschen den Mindestlohn. Wir haben das Thema gesetzt, es ist nie aus den Medien verschwunden, es war eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf“, sagt Frank. Jetzt müsse man eben dranbleiben und weitermachen. Auch mit neuen Konzepten.

Die Inspiration dafür zieht Frank nicht so sehr aus der sich hip gebenden Mitte Berlins, sondern vor allem aus seinem Laptop, auf dem ein kleiner Che-Guevara-Sticker klebt. 150 Blogs aus aller Welt surfe er jeden Tag ab, sagt er. Streetart, Mode, Kunst, alles, was ihn auf neue Ideen bringen könnte. „Genau das ist meine Arbeit. Informationen sammeln, filtern – und dann daraus etwas Neues machen.“ Er zeigt ein Netzvideo aus Schweden. Künstler verwandeln eine U-Bahn-Treppe in ein begehbares Riesenklavier. Sie bekleben die Stufen mit schwarzer und weißer Folie und hängen Boxen auf. Die ersten Passanten betreten die „Tasten“, Klaviermusik ertönt. Gegen Ende des Videos benutzt keiner mehr die danebenliegende Rolltreppe. Gesponsert wird die Aktion von Volkswagen.

Sie tragen „Hundemarken“

In den Berliner Platoon-Containern sitzen zehn Leute, der Generalstab sozusagen. Die Grafiker, Künstler und Eventmanager machen aus Ideen Konzepte. Die anschließende Umsetzung ist ausgelagert, sie wird vom Platoon-Netzwerk übernommen. Die Eintrittskarte in dieses unsichtbare Reich von 3.500 Menschen, die auf der ganzen Welt verteilt sind, trägt Frank an einer dünnen Kette um den Hals: „Eine Hundemarke, wie sie das US-Militär verwendet.“ Auf dem Blechplättchen ist die Platoon-Mitgliedsnummer gespeichert. Frank hat die Zwei.

So eine Marke bekommt jeder, der sich bei der Agentur rekrutieren lässt. Und durch die Glastür des ebenerdigen Containers kommt jeden Tag frisches Kreativpotenzial. 10 bis 15 Männer und Frauen nimmt Platoons „Recruiting Officer“ wöchentlich auf. Sie werden fotografiert, nach Fähigkeiten sortiert und in einer Datenbank erfasst. Wenn sie möchten, können sie sich noch die passende Armeekluft zulegen. Die stammt aus Armee-Restbeständen, die Frank zusammenkauft. Ein Pulli mit Platoon-Logo kostet stolze 90 Euro. Die Kollektion hängt stilecht in einer Art Schleusenkammer aus gebürstetem Stahl.

Frank klickt auf seinem Laptop die Neulinge im Netzwerk durch. Eine Modedesignerin aus Rotterdam, ein Grafiker aus London, ein Physiker aus Hamburg. Wofür werden alle diese losen Verbündeten benötigt? „Nehmen wir an, wir hier in Berlin kommen auf die Idee, für einen Kunden ein spezielles Brettspiel zu machen. Dann schicke ich eine Mail durchs Netzwerk und habe noch am selben Tag fünf professionelle Brettspiel-Entwickler zur Hand“, sagt Frank. Die konkurrieren dann um den einen Auftrag, den die Platoon-Zentrale vergibt. Das ist ein knallharter „Pitch“, eine Ausschreibung, wie sie jede andere Agentur auch macht. Da ist Frank dann kein Weltverbesserer, sondern Geschäftsmann.

Das gilt auch für die Kundenauswahl. Frank scheut sich nicht, mit Kosmetikherstellern oder Großbrauereien zusammenzuarbeiten. Platoon sei eine kommerziell arbeitende Agentur, man wolle und müsse Geld verdienen, betont er. Und wenn ein Auftraggeber nicht ganz politisch korrekt ist, hat Frank für Kritiker eine schwer zu widerlegende Rechtfertigung parat: „Es wäre ja langweilig, immer nur für die Guten zu arbeiten. Wenn wir für einen Großkonzern eine Kampagne entwickeln, dann können wir Einfluss nehmen – und vielleicht die Unternehmenskultur verändern.“ Vor den Karren der Atom-Lobby würde Platoon sich allerdings niemals spannen lassen.

Ein neues „Mensch-ärgere-Dich-nicht“-Spiel ist für die Gewerkschaftler von Verdi nicht geplant. Frank will stattdessen das Internet besser nutzen, vor allem in sozialen Netzwerken wie Mein-VZ und Facebook. „Verdi hat in Deutschland über zwei Millionen Mitglieder. Auf Facebook umgerechnet ist das eine Gruppe von 100.000 Mitgliedern.“ Diese Menschen über das Netz für Aktionen in ihren Heimatorten zu mobilisieren, das sei jetzt die Aufgabe. Bisherige Aktionen hätten gezeigt, dass Internet und Gewerkschaft durchaus zusammen passten.

Bereits vor fünf Jahren ließ Platoon Gewerkschaftsmitglieder bloggen. Berühmt wurde der Hungerlöhner, ein Fleischer aus Leipzig, der aus seinem tristen Alltag berichtete. Seit zwei Jahren läuft zudem Streik-TV, eine wöchentliche Sendung im Internetportal von Verdi, gemacht von Fernsehjournalisten. Auch mit Flashmobs, über das Netz organisierten Spontanaktionen, wird gearbeitet. Mitte September kamen mehrere hundert Aktivisten auf dem Schlossplatz in Berlin-Mitte zusammen, um an mitgebrachten Wahlurnen symbolisch für den Mindestlohn zu stimmen. Bei solchen Aktionen sind Leute von Platoon immer mit Film- und Fotokameras vor Ort. Sie drehen und knipsen, dann stellen sie das Material professionell aufbereitet ins Netz. Jeder originelle Clip, jedes aussagestarke Foto ist ein Mosaikstein, der zum großen Ganzen einer Kampagne beiträgt.

Kalkulierter Regelverstoß

Platoon setzt oft auf den kalkulierten Regelverstoß. Flashmobber sind schon verhaftet worden, und Politiker als Mitglieder einer „Hungerlohnpartei“ zu bezeichnen, grenzt für einige Menschen bereits an Beleidigung. Aber so weit zu gehen wie die Kommunikationsguerilleros der Yes Men, die Webseiten der Welthandelsorganisation fälschen und sich als Pressesprecher von Chemiekonzernen ausgeben, das könne sich eine kommerziell arbeitende Agentur nicht leisten, sagt Frank: „Das würde unserem Kunden nur auf die Füße fallen. Wenn er Glück hat, wird ihm nur schlechter Stil vorgeworfen. Aber so was kann auch ernste juristische Konsequenzen haben. Und dann rollen Köpfe.“

Die Zukunft der politischen Kommunikation liegt im Netz, davon ist Frank überzeugt. Für den harmlosen Internet-Wahlkampf der Parteien hat er aber nur ein müdes Lächeln übrig. Er steckt sich noch eine Zigarette an: „Wenn Angela Merkel ihre Praktikantin bloggen lässt, dann ist das einfach nicht authentisch.“ Die Etablierten begriffen das Netz nicht als Ort der Kommunikation, sondern als Ort, an dem sie lediglich ihre üblichen Inhalte abladen. Das werde von der Netzgemeinde nicht honoriert, die wolle mitreden. Auch hinsichtlich der Ästhetik der Webauftritte hat Grafikdesigner Frank einiges zu bemängeln. „Gefallen hat mir da nix. Selbst die Seite der Piratenpartei sah jämmerlich aus. Und die müssten es eigentlich besser wissen. Aber die haben ja jetzt Geld, da können die sich mal einen Relaunch gönnen.“

Über zu wenig Geld beklagt man sich bei Platoon nicht. Frank lächelt. Die Wirtschaftskrise sei bei ihnen noch nicht angekommen, die Agentur lehne immer noch mehr Aufträge ab, als sie annehme. Und Platoon expandiert: Seit April gibt es einen Ableger in Seoul. An die südkoreanische Zweigstelle ist eine Kunsthalle angeschlossen. Finanziert von einer Mäzenin, wird hier in 30 Containern Streetart gezeigt, unterstützt man einheimische Künstler mit Stipendien. Auch ein Platoon-Restaurant gibt es, dort isst die Szene Currywurst und trinkt deutsches Pils vom Fass.

Auch Frank will jetzt ein Bier. Über eine stählerne Außentreppe steigt er den Containerstapel hinunter und überquert einen dunklen Hinterhof. Hier finden ab und an Konzerte statt. Zweiraumwohnung waren schon da, und viele Bands, die kaum einer kennt. Er geht an einem abgedeckten Swimmingpool und einer verrammelten Bar vorbei in einen kleinen Schuppen. Hier trifft sich jeden Donnerstag das Netzwerk zum Feierabendbier. Im Platoon-Jargon nennt sich das „Advanced Drinking Culture“. Bei leisen Elektrobeats wird Frank sofort von einem Getränkepromoter angesprochen, der ihn von einem neuen Kornschnaps überzeugen will. Der Schnaps macht auf Luxus, die Flasche sieht aus wie ein Parfüm-Flakon. „Nicht authentisch“, sagt Frank sofort. Dann trinkt er einen. Und noch einen. Kämpfen macht durstig.

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