Feuerrote Seidensocke

Solidarität Seit Mai kämpft Dieter Lehmkuhl medienwirksam für eine Reichensteuer. Der Millionär möchte eine solidarische Gesellschaft – und mit gutem Gewissen sein Leben genießen können

Dieter Lehmkuhl hat feuerrote Socken an. Sie leuchten grell an seinen Füßen, immer wieder schwenken die Fernsehkameras auf sie zurück. Die Socken sind wie ein Fußballtrikot: Sie zeigen, für welche Mannschaft Lehmkuhl an diesem Sonntagabend spielen wird. Die Talkmasterin Anne Will hat Lehmkuhl, 66, Psychiater und Millionär, in ihre Sendung eingeladen, damit er den guten Reichen gibt. Den wohlhabenden Alt-Achtundsechziger, der für die Rechte der Schwachen kämpft. Doch Lehmkuhl ist kein Mann verbaler Blutgrätschen. Er redet leise und überlegt, er benutzt Worte wie „Evidenz“ und „Ideologie“. Immer wieder fallen ihm seine Gegner ins Wort. Der FDP-Politiker Martin Lindner und der Medienwissenschaftler Norbert Bolz verbeißen sich in den Mann mit dem weißen Stoppelbart. Als wollten sie ihn abstrafen. Dafür, dass er sich selber an den Geldbeutel will. Denn Lehmkuhl hat eine Bewegung mitgegründet, die Reiche stärker besteuern will.

„Ich war einfach nur erschrocken über die Argumentation der beiden Herren“, sagt Lehmkuhl. Zehn Tage sind seit dem Sprung ins Haifischbecken vergangen. Lehm­kuhl leckt noch seine Wunden. „Ich habe der Redakteurin vorher noch gesagt: Ich bin nicht so der robuste Typ, der sich das Wort erkämpft. Frau Will muss für eine Diskussionskultur sorgen. Wo ich unter der Gürtellinie angegriffen wurde, hätte sie mir Gelegenheit geben müssen, das richtigzustellen. Das geschah aber nicht.“ Lehmkuhl sitzt im hellen Wohnzimmer seines Jugendstilhauses im Norden Berlins. Viel Holz, viele Pflanzen. Er trägt Hausschuhe, eine Cordhose und ein weites Flannelhemd. Er sieht aus wie ein Lehrer. Lehmkuhl lehnt sich zurück und sagt: „Als ich bei Anne Will rauskam, dachte ich nur: Unsere Gesellschaft ist tief gespalten.“

100 Milliarden von 2 Millionen

Die Schlucht, die Lautsprecher wie Bolz und Lindner von ihm trennt, kann und will Lehm­kuhl nicht überbrücken. Er will die Kluft zwischen Arm und Reich schließen. Wie? Indem Menschen, die mehr haben, auch mehr geben. Selbst wenn sie nicht wollen. Lehmkuhl ist Mitgründer der Initiative „Vermögende für eine Vermögensabgabe“. Die 45 wohlhabenden Mitglieder fordern einen radikalen Eingriff in das deutsche Steuersystem: Alle Deutschen, die mehr als eine halbe Million Euro an Vermögen besitzen, sollen auf den überschüssigen Betrag zwei Jahre lang eine fünfprozentige Abgabe zahlen. Wenn jemand vier Millionen sein Eigen nennt, müsste er in zwei Jahren also 350.000 Euro als Vermögensabgabe an den Staat zahlen. „Rund 2,2 Millionen Menschen in diesem Land wären davon betroffen,“ sagt Lehmkuhl. „Das würde gut 100 Milliarden Euro in die Haushaltskasse spülen.“

Lehmkuhl will keine Haushaltslöcher stopfen. Und den taumelnden Bankern will er auch nicht auf die Beine helfen. „Die Abgabe muss zweckgebunden sein – für den ökologischen Umbau der Gesellschaft, für Bildung, für soziale Transferleistungen und ein faires Gesundheitssystem.“ Es blitzt in seinen braunen Augen, seine Hände formen die Worte nach. „Dann muss die Vermögenssteuer wiedereingeführt werden, die von der Regierung Kohl 1997 abgeschafft wurde.“

Lehmkuhls Forderungen sind nicht neu. Sie finden sich – mal schärfer, mal milder formuliert – in Parteiprogrammen und Positionspapieren des linken politischen Spektrums wieder: Bei den Grünen, bei den Linken, bei Gewerkschaftern und bei Attac-Aktivisten. Am vergangenen Wochenende hat die SPD auf ihrem Parteitag in Dresden die Wiedereinführung der Vermögenssteuer als Fernziel beschlossen. Großen Teilen der Bevölkerung ist eine Reichensteuer durchaus sympathisch, in einer jüngsten Forsa-Umfrage befürworteten 43 Prozent deren Comeback. Der neue SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel gilt als jemand, der dem Volk aufs Maul schaut. Ihm dürften die Zahlen bekannt sein.

Doch wenn jemand wie Lehmkuhl den Reichen ans Geld will, ist das ein besonderer Leckerbissen für die Medienmeute. Denn Lehmkuhl ist selbst „betroffen“, wie er sagt. Er meint damit reich. Sein Vermögen arbeitet nicht nur für ihn, es nagt auch an ihm. Lehmkuhl empfindet Sozialneid – sich selbst gegenüber. Das ist ungewöhnlich in einem Land, in dem hinter zugezogenen Gardinen auf das neue Auto des Nachbarn geschielt wird. Lehmkuhls Fensterfront im Berliner Norden hat nicht mal Vorhänge.

Über Geld redet man nicht

Lehmkuhl hat geerbt, wie die meisten Mitstreiter seiner Initiative. Und er hat sich geoutet: „Ich bin unverdient zu meinem Reichtum gekommen, es ist ja kein persönlicher Verdienst. Und durch die geringe Steuerlast werde ich ohne mein Zutun noch reicher.“ Seit 2000 haben sich die Einkünfte aus seinem Vermögen verdoppelt, sagt er. „Deshalb will ich etwas zurückgeben, für gute Zwecke.“ In verschiedenen Stiftungen ist er engagiert, aber das reicht ihm nicht. Er will eine bessere Gesellschaft.

In Lehmkuhls Familie hat Geld nie eine große Rolle gespielt. Es war immer da, aber es war nicht sichtbar. „Ich bin groß geworden mit dem Spruch: Über Geld redet man nicht.“ Lehmkuhl wuchs in Dortmund auf, sein Vater war Walzwerker, Ingenieur in der Stahlindustrie. Die Mutter war Kinderkrankenschwester, später arbeitete sie bei einem Herzspezialisten. Der Großvater besaß eine Privatbrauerei, die er schließlich gewinnbringend verkaufte – der Ursprung des familiären Reichtums.

Den jungen Dieter zog es in die Medizin, 1962 begann er sein Studium in Marburg. Er roch den Muff unter den Talaren, die Reste des „Tausendjährigen Reiches“. Viele seiner Mitstudenten waren in schlagenden Verbindungen. „Trinken, Fechten, Farben tragen – das lag mir nicht. Einer sagte mal zu mir: Herr Lehmkuhl, sie sind zu feige, sich zur Elite zu bekennen.“ Lehmkuhl driftete langsam nach links.

1965 ging er nach Berlin, an die Freie Universität. Er engagierte sich in der Studentenbewegung und erlebte, wie sie sich radikalisierte. Beim Schahbesuch Anfang Juni 1967 befestigte Lehmkuhl ein Transparent an seinem Kleinwagen: „Der Schah ist ein Mörder.“ Der Autokorso wurde gestoppt, die Polizei zog Mitstudenten von Lehmkuhl aus dem Verkehr. Als der Demonstrant Benno Ohnesorg von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras nahe der Oper erschossen wird, ist Lehmkuhl gerade auf dem Weg dorthin. In den Terrorjahren der RAF distanzierte sich Lehmkuhl entschieden von der extremen Linken. Er wollte sich weder organisieren lassen noch hielt er viel von dogmatischen Haltungen. „Der Zweck heiligt die Mittel? Nein, das war nie meine Einstellung.“

Auch als Reicher hat er sich ein besonderes Verhältnis zu Geldinstituten bewahrt: „Die Finanzkrise hat doch deren fatale Rolle überaus deutlich gemacht. Wenn es das Bewusstsein der Menschen verändert, dann könnte es schon Sinn machen, einen Stein in die Fensterscheibe einer Bank zu werfen.“ Er hält inne, als wäre ihm die eigene Aussage nicht ganz geheuer. Dann lacht er und sagt: „Aber ich bin vermutlich viel zu feige dafür.“

In den Siebzigern wird Lehmkuhl Psychi­ater. Er arbeitet erst in der Klinik, dann an wissenschaftlichen Instituten der Freien Universität. Ab den Achtzigern leitet er den sozialpsychiatrischen Dienst in Berlin-Reinickendorf. In all den Jahren kommen Menschen zu ihm, die an Geldsorgen und Leistungsdruck zu zerbrechen drohen. „Ich erinnere mich an eine Frau, die ihrem geschiedenen Mann viel Geld bezahlte. Dafür durfte sie ab und zu die Kinder sehen. Sie verschuldete sich hoffnungslos. Als sie wegen der Mietschulden die Wohnung verlieren sollte, wollte sie sich umbringen – sie sah keinen anderen Ausweg mehr.“ Der Druck, immer mehr zu verdienen und immer mehr zu arbeiten, habe in den vergangenen 20 Jahren stark zugenommen, glaubt Lehmkuhl. „Das ist doch fatal: Wir haben eine so hohe Arbeitslosigkeit, die allein hat gravierende psychische Folgen. Aber diejenigen, die Arbeit haben, machen sich auch kaputt.“ Konkurrenzdenken und Individualisierung gingen zu Lasten der Solidarität. Der Tanz ums goldene Kalb sei zur Staatsdoktrin geworden.

„Es gibt auch an mir diese Seite des Raffens und Behaltens. Ja, auch ich kann knauserig sein“, sagt Lehmkuhl. Gerne gehe er mit seiner Frau essen, aber kaum in teure Restaurants. Er verreise gerne, aber in Fünf-Sterne-Hotels fühle er sich fehl am Platz. „Die sind mir zu steril.“ Er fährt lieber nach Schweden, in das Ferienhäuschen eines Freundes. „Aber wissen Sie, hier in der Gegend gibt es diesen wunderbaren Italiener. Der macht eine fantastische Dorade mit Knoblauch. Dafür gebe ich gerne Geld aus. Mit Luxus und Status hat das aber wenig zu tun.“

Auch darum geht es Lehmkuhl und seinen Mitstreitern: Sie wollen weiter in Ruhe ihren Fisch essen. Mit gutem Gewissen. „Wir möchten alle nicht in geschlossenen Ghettos wohnen, wir möchten uns auf die Straße trauen. Wir möchten keine brennenden Vorstädte, weil Jugendliche keine Perspektive haben. Und wir möchten auch nicht, dass Armut überall sichtbar ist.“

Im Frühjahr 2009 schreitet Lehmkuhl zur Tat. Die Initiative „Vermögende für eine Vermögensabgabe“ wird gegründet und schaltet eine ganzseitige Anzeige in der Wochenzeitung Die Zeit. Begleitend findet eine Pressekonferenz in Berlin statt. Die Internetseite der Initiative geht online. Lehmkuhl wird schnell zum Gesicht der Kampagne, er ist der Vorzeige-Reiche. Die Medien stürzen sich auf ihn, von der Welt bis zur Financial Times, vom Tagesspiegel bis zur Frankfurter Rundschau wird über ihn geschrieben. Die Taz dreht kurz vor der Bundestagswahl einen Videoclip mit Lehmkuhl, in dem dieser für die Vermögensabgabe wirbt.

Er bekommt körbeweise Post

Auch nach dem Urnengang bleibt die Initiative am Ball, bei den schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen wird vor der Tür demonstriert. 100 Milliarden Euro Spielgeld hat Lehmkuhl mit ein paar Mitstreitern in Schubkarren rangekarrt, sie werfen die Scheine in ein virtuelles Haushaltsloch. Das ist sehr medienwirksam, wieder ist viel Presse da. Und dann kam Anne Will.

Was das alles gebracht hat? Lehmkuhl nippt an seinem Glas Leitungswasser. Seine Augen suchen kurz in der Luft, dann sagt er: „Vielleicht eine Kelle Wasser auf den heißen Stein.“ Er wird nachdenklich. „Momentan wissen wir nicht sicher, ob und wie es weitergeht. Wir sind ja im engeren Kreis nur vier, fünf Leute, die das alles auf die Beine gestellt haben.“ Anfang Dezember werde es ein Treffen mit dem ganzen Unterstützerkreis geben, alle 45 seien eingeladen. Es gäbe Ideen, die Initiative zu einem Netzwerk verantwortungsbewusster Reicher zu verbreitern. Oder das Geld der Mitglieder einzusammeln und in einem Treuhandfonds für Projekte bereitzustellen. Aber noch sei das Zukunftsmusik.

Lehmkuhl selber will nicht mehr der öffentliche Reiche sein. „Ich habe diese Rolle nie wirklich gewollt. Man muss wohl schon eine narzisstische Ader haben, sonst wäre man nicht bereit, so etwas zu tun. Aber ich war schon immer lieber in der zweiten Reihe.“ Lehmkuhl hat einen hohen Preis für sein Engagement bezahlt, er ist jetzt ein Prominenter. Er bekam körbeweise Briefe und viele Mails. Ungewollte Post, voll mit Spendenwünschen, Projektkonzepten und persönlichen Schicksalen. „Einmal hat hier ein Mann geklingelt. Er sagte, er habe Schulden. Er wisse keinen Ausweg. Man konnte das schon als eine unterschwellige Suiziddrohung interpretieren.“ Lehmkuhl redete mit ihm, beruhigte den Mann, dann schickte er ihn weg.

In Zukunft will Lehmkuhl sich wieder um sein medizinisches Engagement kümmern, er ist in der pharmakritischen Bewegung aktiv und bei einer Ärztegruppe, die sich für die Verhinderung des Atomkriegs einsetzt. Aber er hofft, dass es mit der Initiative für eine Vermögensabgabe irgendwie weiter gehen wird. Es brauche allerdings einen anderen Engagierten, einen anderen Bewegten, denn: „Ohne Herzblut geht es nicht.“ Einen, der dann auch mal die roten Socken anzieht. Lehmkuhls Socken sind übrigens aus dem Berliner Edelkaufhaus KaDeWe. Sie sind aus Seide, gemischt mit Wolle.

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