Vier Minarette für Kreuzberg

Islam In Berlin eröffnet eine neue Großmoschee. Die Gemeinde sucht den Dialog mit den Nicht-Muslimen - und die sind beim ersten Besuch überwältigt

Dicke Beats stampfen aus den Boxen. Die Musik ist so laut, dass der meteoritengroße Kronleuchter im Gebetssaal des Kreuzberger Maschari Center bedrohlich zittert. Sieben Männer in grauen Anzügen singen dem Takt hinterher: „Kommt her und tretet ein, mitten in unser Zentrum ´rein!“ Es klingt ein wenig nach Xavier Naidoo, bloß schiefer. In der ersten Zuschauerreihe verharren die islamischen Geistlichen regungslos in ihren weiten Gewändern. Da müssen sie jetzt durch. Denn zur Eröffnung der „Omar-Ibu-al-Khattab-Moschee“ will ihre Gemeinde vor allem eins: sich modern und aufgeklärt präsentieren.

Knapp acht Jahre ist es her, seit der Islamische Verein für wohltätige Zwecke (IVWP) erstmals sein Bauvorhaben vorstellte. Da hatte gerade der 11. September die Islamophobie befeuert, in der Berliner Bevölkerung regte sich Widerstand gegen die Großmoschee. Der IVWP suchte den Dialog mit den Bürgern, setzte sich an viele runde Tische im Bezirk - und sammelte fleißig Spenden. Ab 2006 wurde gebaut, jetzt ragt das siebengeschossige Eckhaus in den Kreuzberger Himmel. Es bietet Platz für 1.000 Gläubige, es ist die zweitgrößte Moschee Berlins. Männer und Frauen werden hier gemeinsam in einem dreigeschossigen Gebetssaal niederknien. Aber hinter der Glasfassade darf nicht nur gebetet werden. Muslime und Nicht-Muslime sollen sich näher kommen.

Birol Ucan hat nie aufgegeben

Beim Essen klappt das schon ganz gut. In einem weißen Veranstaltungssaal hat die Gemeinde ein Buffet aufgebaut. An großen Tischen machen sich deutsche Rentnerpärchen und türkische Großfamilien über Teigtaschen und Couscous-Salat her. Dazwischen sitzt Birol Ucan, 38, Sprecher und Vorstandsmitglied des IVWP. Der massige Mann lächelt in sich hinein. Er hat sein Ziel erreicht. „Da ist ein unbeschreibliches Gefühl der Freude, nach all den Jahren harter Arbeit“, sagt er. Warum er nie aufgegeben hat? „Im Islam ist es so: Wenn man gute Taten vollbringt, wird man im Jenseits dafür belohnt“. Zehn Millionen Euro Spenden soll sein Verein bei Privatpersonen eingesammelt haben, Staaten und politische Organisationen seien nicht unter den Wohltätern. Auch wenn im Paradies schon eine hohe Rente wartet - im Diesseits hat Ucan noch einiges vor: „Wir wollen hier Aufklärungsarbeit leisten, für den echten Islam. Die Terroristen, die in Hochhäuser fliegen, haben unseren Glauben für viele Menschen zu einer Terrorreligion gemacht. Aber das stimmt nicht.“ Deshalb sei man sehr um Dialog bemüht, gemeinsame Veranstaltungen mit dem Jobcenter und der Volkshochschule im Bezirk seien bereits geplant. Es werde Arabischkurse für Deutsche und Deutschkurse für Araber geben, verspricht Ucan. Außerdem sollen Imbisse und Boutiquen im Gebäude eröffnen, die Gäste sollen auch zum Shoppen und Kaffeetrinken kommen.

Am Eröffnungstag sind die Besucher eher mit Staunen beschäftigt. Auf Socken oder mit blauen Plastiktüten über den Schuhen schlurfen sie durch den wiesentiefen Teppich des Gebetsaals. Sie starren auf die ornamentalen Verzierungen an den Wänden, auf den Marmor, auf die hinterleuchteten Koranverse. Sie blicken hoch zu der Stuckdecke, an der sechs kleine Lüster den mittigen Riesenleuchter umkreisen wie Planeten die Sonne. Die vielen Kamerateams und Fotografen wissen gar nicht, was sie zuerst filmen oder knipsen sollen.

In der begehbaren Kuppel

Der 800 Quadratmeter große Raum schüchtert ein. In der Wirtschaftskrise wirkt er unverschämt prunkvoll. Hier gibt es keine Kargheit, es ist ein grün-weiß-goldener Gottespalast. „Umwerfend, dieses Kunsthandwerk. Absolut überwältigend“, sagt Margit Rubisch, 67. Die Rentnerin ist extra aus Berlin-Weißensee nach Kreuzberg gekommen. Von der Moschee-Eröffnung hat sie aus der Zeitung erfahren. Sie sei schon in Istanbul und im spanischen Granada in Moscheen gewesen, aber dieses Gotteshaus sei etwas Besonderes. „So ein toller Neubau. Das ist doch gut für die Muslime hier. Das macht sie sichtbar. Und wirbt für Verständnis“, sagt sie und wendet den Kopf wieder zur Decke.

Sichtbarkeit. Für die Muslime in den westlichen Industrieländern ist das Prinzip des Sehens und Gesehenwerdens zu einem zweischneidigen Schwert geworden. Vor ein paar Jahren noch wetterten populistische Politiker gegen die „Hinterhofmoscheen“. Gebetshäuser in Fabriketagen und Gewerbegebieten seien nicht transparent, man wisse doch gar nicht, welche Hassprediger oder Terrorzellen dort ihr Unwesen trieben. Heute wird quer durch Europa gegen Moschee-Neubauten, Kopftücher und Burkas polemisiert. Es ist ein Kampf der Worte gegen die Zeichen. Ein Kampf, den längst auch Parteien der politischen Mitte aufgenommen haben. Argumente gibt es wenige, aber viel Angst und Unwissenheit in der Bevölkerung, die sich instrumentalisieren lässt. Jetzt wird die Furcht in Verbote gegossen. In der Schweiz dürfen Minarette nicht mehr gebaut werden. In Frankreich und Belgien dürfen Frauen keine Burkas mehr tragen, in Deutschland bleibt das Kopftuch für Lehrerinnen tabu. Aber Berlin-Kreuzberg ist irgendwie ein Sonderfall.

Ein Quartett an Türmen sticht aus dem Dach des Maschari Centers hervor. Vier Minarette auf einmal, so viele wie in der ganzen Schweiz. Doch nach einem Verbot schreit hier niemand. Zwischen den gut fünf Meter hohen Türmchen thront eine begehbare Glaskuppel. Hier steht Bezirksbürgermeister Franz Schulz, 61, und genießt die Aussicht über „seinen“ Stadtteil. „Kreuzberg ist einfach toleranter. Die Angst vor dem Islam ist hier nicht so groß, wie in anderen Stadtteilen“, sagt der Grünen-Politiker. „Das ist ein langfristiger Prozess, der vor 50 Jahren mit den ersten Gastarbeitern begonnen hat. Das kommt nicht von heute auf morgen.“ Schulz redet leise, seine Stimme verliert sich im Bauch der Kuppel. Auch ihn beeindruckt der Bau. „Das ist die schönste Moschee Berlins. Ein wirklich großes Geschenk für den Bezirk“, sagt Schulz und blickt wieder über die Dächer. Auf einer gegenüberliegenden Häuserwand steht „Nazis unerwünscht!“ in Großbuchstaben. Daneben ein weiterer Slogan: „Love Art, hate Cops!“ Konfliktlinien verlaufen hier anders als im Rest der Republik.

Am Nachmittag ist auf dem Vorplatz der Moschee ein großes Straßenfest im Gange. An Ständen gibt es Döner und türkische Pizza, süßes Gebäck und Softdrinks. Bunte Kopftücher setzen Farbtupfer, keine der Frauen trägt Burka. Jungtürken mit dicken Halsketten stehen neben Kreuzberger Altlinken in langen Warteschlangen. Genau an dieser Stelle wurde bei den ersten Mai-Krawallen 1987 ein Supermarkt geplündert und abgefackelt. Seitdem brennen hier jedes Jahr am Tag der Arbeit Barrikaden, es fliegen Steine und Flaschen auf Polizisten. Kreuzberger Rituale. Das Maschari Center will keine Festung sein, die Türen sollen für alle offen stehen, immer, das hat der IVWP versprochen. Wenn das gelingt, werden die großen Fenster hier nie zerschlagen werden.

Gute Argumente sind das beste Geschenk

Legen Sie einen Gutschein vom digitalen Freitag ins Osternest – für 1, 2 oder 5 Monate.

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden