Das Fischen im rechten Fahrwasser

Migration Die FDP möchte sich gerne als Partei der Liberalen und Konservativen etablieren und scheut dabei nicht davor zurück, die Sprechweise von Faschisten zu übernehmen.

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“Wir sollten als Demokraten aufhören, denen [der AfD] das Spektrum zu überlassen” sagt FDP-Fraktionschef Christian Dürr in der Markus Lanz-Sendung vom 1. Dezember 2022. Die FDP versucht gerade wieder mal, die Wähler:innen der Parteien rechts von ihr abzuholen. Doch wie will sie das machen?

Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag drei Änderungspakete rund um das Thema Migration verabredet: zur Asylgesetzgebung, zur Fachkräfteeinwanderung und zur Staatsbürgerschaft. Wirtschaftsminister Habeck wirbt aktuell um den Zuzug von eben jenen Fachkräften nach Deutschland, weil diese an allen Ecken und Enden fehlen und sich dieser Trend durch den demographischen Wandel in Zukunft noch verstärken wird. Dies hat erst kürzlich der Soziologe Stefan Schulz in seinem Buch “Die Altenrepublik” veranschaulicht.
Innenministerin Faeser möchte gern den Weg zur Einbürgerung von acht auf fünf Jahre verkürzen. Gleichzeitig gibt es das Vorhaben, für Geduldete ein sogenanntes Chancen-Aufenthaltsrecht zu schaffen.

Diese Themen werden in der öffentlichen Debatte leider zu sehr in einen Topf geworfen. Gerade vonseiten der Unionsparteien und der FDP werden diese in öffentlichen Äußerungen immer wieder so miteinander vermischt, dass der Eindruck entsteht, es handle sich dabei um genau das gleiche politische Vorhaben, wenn nur eins der o.g. angesprochen wird. Dabei hat die FDP selbst in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 sowohl Ansprüche zur Verkürzung der Dauer zur Erlangung der Staatsbürgerschaft als auch eine vereinfachte Zuwanderung von Fachkräften gefordert. Im Koalitionsvertrag der “Ampel”-Regierung findet sich jene genauso (S. 94: "Eine Einbürgerung soll in der Regel nach fünf Jahren möglich sein, bei besonderen Integrationsleistungen nach drei Jahren.").
Doch nun verknüpft die FDP es - genauso wie die Union - in der öffentlichen Debatte v.a. auch mit Fragen des Asylrechts, wenn deren Generalsekretär Bijan Djir-Sarai daran erinnert, dass es “bislang keinerlei Fortschritte bei der Rückführung und Bekämpfung der illegalen Migration” gegeben habe. Das klingt nicht ganz so krass wie die militaristische Sprache von CDU-Chef Merz, wenn er eine “Rückführungsoffensive” fordert, die gerade im Angesicht des laufenden russischen Angriffskriegs in der Ukraine für Stirnrunzeln sorgen sollte, aber die Vermischung und thematische Kopplung der Themen Migration und Asylrecht geschehen hier spielerisch leicht. Mal abgesehen davon, dass in dieser Sprache die menschlichen Subjekte zu einfachen Objekten einer “Offensive” reduziert werden. Tatsächlich hat sich die Regierung sogar darauf geeinigt, dies umzusetzen - allerdings findet sich dazu im Koalitionsvertrag nichts im Kapitel über Einwanderung, da hier anscheinend eine klare Trennung der Themen vorgenommen wurde. Doch die FDP hält sich weder an ihr Wahlprogramm noch an den Koalitionsvertrag. Dies geschieht nicht zum ersten Mal, wie in den letzten Monaten zur Genüge zu sehen war.

Kulturkampf von rechts

Doch warum handelt die FDP so? Muss man sie vielleicht mit ins Boot nehmen, wenn Linken-Chef Schirdewan den Unionsparteien vorwirft, einen “Kulturkampf von rechts” zu führen? Greift das zu weit? Möchte die FDP rechte Wähler:innen für sich gewinnen? Schließlich scheint es sich beim Zielpublikum nicht nur um diejenigen zu handeln, die der AfD zurückliegend ihre Stimme gegeben haben, wenn sich CDU und CSU gleichermaßen verhalten und äußern. Dass so ein Vorgehen nichts neues ist, wissen wir nicht erst seit Söders “Asyltourismus”-Anfall oder gleichwertigen Äußerungen von CSU, AfD und NPD (!). Kommen wir damit also zu Christian Dürrs Auftritt bei Markus Lanz vom 01.12.2022. Er übernimmt hier direkt die Sprache von eben genannten Parteien, wenn er von einer “Einwanderung in die Sozialsysteme” spricht, welche er ablehnt. Dass er damit eigentlich meint, dass er das Einwanderungsrecht verändern möchte, damit viele eben nicht über Asylanträge in den sozialen Sicherungssystemen landen, ergänzt er anschließend. Doch die Dogwhistle ist damit bereits geblasen. Sein Parteikollege, der Justizminister Marco Buschmann, ist da ein wenig galanter, wenn diese Formulierung nur implizit äußert - doch auch hier ist der Weg nicht mehr weit.

Wie eingangs erwähnt, behauptet er, dass er damit der AfD nicht das “Spektrum” überlassen möchte. Doch weder die ebenfalls bei Lanz sitzender Ulrike Herrmann wollte, noch jemand sonst sollte ihm diese Aussage so abkaufen, wie er sie gemeint haben will. Denn in gewissem Sinne stimmt sie natürlich: die FDP möchte der AfD die Stimmen streitig machen - genauso wie der CDU. Immer wieder versucht sich die FDP in der “Ampel”-Regierung als Opposition innerhalb der Regierung. Das scheint bei ihr Tradition zu haben - schließlich waren die Liberalen in den letzten Legislaturperioden stets nur in der oppositionellen Rolle zu finden. Gerade Parteichef Christian Lindner schien es sich bereits 2017 zur Aufgabe gemacht zu haben, Wähler:innen von ganz rechts in sein blaugelbes Boot zu holen. Diese Strategie scheiterte nicht nur nach den fehlgeschlagenen Jamaika-Verhandlungen, sondern auch während des Beginns der Corona-Pandemie 2020, als sich die Partei mal wieder ein Beispiel an AfD-Sprech und -Politik nahm. In diesem Moment behauptete ntv-Autor Benjamin Konietzny sogar, die FDP habe die Grünen als neuen Hauptgegner in ihrer politischen Strategie ausgemacht. Wenn man sich die Lage der Dinge mal anschaut, ist diese Interpretation auch gar nicht so weit hergeholt - auch wenn sie zusammen Teil der Regierungskoalition sind. Nicht zuletzt häuften sich regierungsinterne Streitigkeiten so sehr an, dass Bundeskanzler Scholz sogar von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen musste - das allerletzte Mittel, welches seine Vorgängerin Merkel nicht ein einziges Mal genutzt hatte. Man mag sich nach der letzten Bundestagswahl zusammen als neue politische Kraft inszeniert haben, doch scheinen die Grünen da den Liberalen gehörig auf den Leim gegangen zu sein. Denn das Interesse der FDP scheint doch weit entfernt von den Zielen der Grünen zu liegen. Sie scheint sich gegen einen wie auch immer gearteten “links-grünen”-Mainstream positionieren zu wollen.

Eine konservative und liberale Partei für Deutschland

Erst mal wirkt das natürlich eher unlogisch: die o.g. Pläne der Regierung werden nicht nur vom Deutschen Gewerkschaftsbund und der Bundesagentur für Arbeit befürwortet, sondern auch von der Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, sowie dem Bundesverband mittelständische Wirtschaft - eine einigermaßen breite Front für die Änderung der Migrationsgesetzgebung. Doch darum geht es der FDP eben auch nicht: eigentlich ist sie ja auch dafür, wie oben gezeigt wurde. Aber das ist nicht alles: sie möchte sich auch als die liberale und konservative Partei in Deutschland etablieren. Damit benötigt sie Stimmen von Union und AfD - koste es, was es wolle. Die Lobby für Migrant:innen und gerade Geflüchtete ist sowieso nicht sehr groß, zumindest, wenn es hart auf hart kommt, schlicht, weil sie in den meisten Fällen einfach gar kein Wahlrecht haben. Und warum sollte man sich dann auch um deren Anliegen kümmern? Da schadet es der FDP auch nicht, wenn man - zumindest unterschwellig - sich an deren Abwertung beteiligt. Dabei müsste die FDP doch wissen, dass sie von der Öffentlichkeit gescholten wird, wenn es auch nur so wirkt, als würde sie in AfD-Nähe stehen, wenn sie z.B. ihren Spitzenkandidaten in Thüringen mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten wählen lässt und dies zunächst mal gar nicht schlimm findet.

In der Lanz-Sendung vom 01.12. will Christian Dürr dies gar nicht einsehen, als Herrmann ihn mehrfach darauf hinweist, dass er einerseits AfD-Sprech verwendet und dies andererseits aber gar nicht nötig hätte, weil er es doch wohl gar nicht so meinen würde. Er sei ja ein Berufspolitiker und wisse, was er sage. Damit müsse man also davon ausgehen, dass diese Aussagen in dieser Art und Weise absichtlich getroffen würden.
Während der Corona-Pandemie warnte der jetzige Justizminister Buschmann vor einer “Radikalisierung der Mitte” - doch genau das bewirkt die FDP mit ihrer verkürzten, kontextlosen Vermischung der politischen Reformen - mit dem Ziel der Anbiederung an konservatives bis rechtsradikales Milieu. Denn natürlich wollen sie nicht wirklich das Gleiche wie die ganz rechten Parteien und Gruppierungen - doch es stört sich auch nicht, dass man das denken könnte. Überschriften werden häufiger als fadenscheinige Kontexte geklickt und gelesen - genauso wie kurze Statements, die sich gegen die vermeintliche “Einwanderung in Sozialsysteme” wehrt - obwohl hier der Staat verantwortlich ist und die Schuld nicht bei zu Objekten degradierten, fiktiven “Ausländern” zu suchen ist. Doch ersteres verfängt sich - nicht letzteres.

Gekränkte Liberale

Diese Radikalisierung einer Mittelschicht, die sich eigentlich durch die Wählerschaft aller Parteien erstreckt, haben zuletzt Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger in ihrem sensationellen Buch “Gekränkte Freiheit - Aspekte des libertären Autoritarismus” u.a. anhand der Coronaproteste aufgezeigt. Diese Kränkung, die dort analysiert wird, findet sich auch in der auf die Corona-Politik bezogenen Äußerungen seitens Lindners wieder, welcher von “Regieanweisungen aus der Regierung” und Maulkörben fabuliert. Eine Kränkung, die von den spin doctoren der politischen Parteien sehr gerne genutzt werden möchte, um mittels einer populistischen Vereinfachung von komplexen Sachverhalten Stimmung zu machen und Stimmen zu gewinnen.

Diese Strategie findet sich immer wieder in öffentlichen Debatten - ob die Akeur:innen nun selbst daran glauben oder nicht, sei mal dahingestellt. Nicht zuletzt werden diese diskursiven Strategien im Kontext einer angeblichen “Cancel Culture” in Adrian Daubs Neuerscheinung “Cancel Culture Transfer - Wie eine moralische Panik die Welt erfasst” analysiert. Dort konstatiert Daub eine moral panic, welche die Rezipient:innen einer (meist herbeigeredeten) Debatte erfasst, in der Zusammenhänge v.a. sehr stark aufgebauscht und kontextuell sehr lose verhandelt werden. Im Kontext einer hier stattfindenden “Migrationsdebatte” kann man einen ähnlichen Mechanismus erkennen, man könnte sogar konstatieren: die FDP möchte die Knöpfe einer moralischen Panik drücken, um sie dann ganz professionell sofort wieder einfangen zu können. Denn genauso möchte sich die selbsternannte freiheitliche Partei geben und auch verstanden wissen: als die professionellen Problemlöser:innen. Dass sie dabei ständig Veränderungen und, nun ja, Fortschritt blockieren, scheint dieser Selbsterzählung irgendwie gar nicht zu widersprechen, weil dies sich anscheinend nur dort verfängt, wo sowieso keine FDP-Stimmen zu holen sind.

Die FDP nutzt einfache medienwirksame Mechanismen, um Popularität rechts der Mitte zu erhalten, um diese irgendwann in Wähler:innenstimmen umzuwanden.
Denn natürlich ist die Gesinnung von FDP und AfD oder gar NPD nicht dieselbe. Aber der FDP scheint es einfach immer wieder egal zu sein, wenn sie im Fahrwasser von Faschisten fischt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Alexander Engelen

I resist what I cannot change / But I wanna find what can't be found

Alexander Engelen

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