Stadt statt Schloss

Wohnraum Während im zukünftigen Berliner Stadtschloss der "Tag der Immobilienwirtschaft" zelebriert wird, laden Demonstranten zu einer ungewöhnlichen Umzugsparty

Eigentlich passen Berliner Stadtpolitik und das Berliner Schloss gut zusammen, sagt Christian Neumann und blickt auf die monströse Baustelle hinter ihm: „Alles nur Fassade und dahinter nichts als leerer Raum.“ Der Sprecher vom Bündnis „Berlin für Alle“ wartet in dem abgezäunten Bereich auf die Lautsprecher. In einer halben Stunde wird er sich auf eine Bühne aus Couchen niederlassen, um auf Augenhöhe mit allen Demonstrierenden und vor der Kulisse des Prunkbaus das wohnungspolitisches Konzept des Bündnis vorzustellen. Das Berliner Schloss ist bei der Kundgebung „Recht auf Stadt statt Schloss“ gleichzeitig Feind- sowie Sinnbild verfehlter Stadtpolitik.

Während in der Bauruine des 590-Millionen-Euro-Projekts der „Tag der Immobilienwirtschaft“ zelebriert wird, sammeln sich mehr und mehr Personen vor dem drei Meter hohen Bauzaun zu einer Gegenparty. Mit Umzugskisten, Sesseln und Sofas versammeln sich die rund 200 Demonstranten vor der Kulisse des Schlosses. Rockmusik hallt aus einem Wagen, der mit erhobenen Stinkefingern verziert ist. Die Musik mischt sich mit den Protestrufen der Demonstranten. Studenten, die gerade von der Uni kommen, haben es sich mit bunten Partyhüten auf der Straße gemütlich gemacht. Schützend steht eine Wand aus Polizisten vor dem Eingang des zukünftigen Schlosses. Manchen von ihnen weht Konfetti aus dem Haar, das die Protestler zuvor verstreut hatten.

„Wir feiern eine Umzugsparty“, erklärt Simon von der linken Unigruppe Laiz und schwingt ein menschengroßes Plakat. Im Vorfeld der Kundgebung hatten Aktivisten eine provokante Annonce auf WG-Gesucht gepostet: „3er WG mit 29.000 qm in Mitte sucht 627 Mitbewohner_innen“. Das Aktionsbündnis bedient sich der Satire, um Aufmerksamkeit zu schaffen. Eigentlich gibt es laut Simon aber gar nichts zu feiern. „Menschen nächtigen in der Ringbahn während das Schloss hunderte von Leuten beherbergen könnte“, sagt er.

Das Motto ist „Berlin für Alle“. Darunter verbergen sich ganz unterschiedliche Forderungen. In den Ansprachen geht es von der Gettoisierung von Flüchtlingsunterkünften, über fehlenden Wohnraum und Sozialwohnungen bis zur Kritik am ethnologischen Museum und städtischer Sparpolitik auf Kosten der Ärmsten. Die Kritikpunkte sind so divers wie das Protestpublikum. Während der Kundgebung wird ein ständiger Tenor an Kapitalismuskritik hörbar.

Die Forderungen basieren auf dem zurückgezogenen Mietenvolksentscheid, es geht vor allem um die Neuausrichtung des sozialen Wohnraum in Berlin. Weil der Senat Anfang des Jahres zum Teil den Forderungen der Bürgerinitiative entgegenkam, kam es nicht zum geplanten Volksentscheid. Doch für viele sind zentrale Forderungen der Mietenreform noch lange nicht erfüllt: Noch immer führt eine spekulative Immobilienwirtschaft zu erhöhten Mietkosten, so die Kritik der Aktivisten. Auch die im Juni eingeführte Mietpreisbremse erwies sich als ineffektiv, die rasante Mietentwicklung in Berlin zu stoppen.

David von der Arbeitsgruppe Uni für Alle fragt, wie es sein kann, dass 590 Millionen Euro für die Rekonstruktion des Stadtschloss ausgegeben werden, während Geflüchtete in Massenunterkünfte außerhalb des Innenstadtrings befördert werden. „Elendsviertel“ nennt sie David und unterstreicht: „Ich will nicht, dass meine Stadt so aussieht.“

Auf der Facebookseite der Veranstaltung überlegen Aktivisten, wie sie die Kosten für das Stadtschloss anderweitig verwenden würden. „Mit diesen Summen könnten man rund 300 Friedl finanzieren“, sagt David hinter einem Chor an Protestrufen. Das „Friedl“, von dem er spricht, ist ein soziales Wohnprojekt in Berlin-Neukölln. Wegen steigender Mieten soll das Haus jetzt zwangsversteigert werden. Von den Kosten, die das Bauprojekt Stadtschloss beansprucht, könnte man das soziale Zentrum nicht nur retten, sondern noch 300 weitere eröffnen. Für die Aktivisten fungieren soziale Wohnprojekte wie das „Friedl“ als Konterbeispiel, das gegen die Goliathsfigur Stadtschloss antritt.

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