Salome Kalo weiß, wie es sich anfühlt, nicht genug zu essen zu haben. Spätestens seitdem der Tropensturm Pam über ihr Dorf fegte. 2015 traf der Zyklon mit 300 Kilometern pro Stunde Vanuatu. Ihr Haus am Ende des Ortes blieb stehen, viele andere fielen in sich zusammen wie Kartenhäuser. Als sie nach dem Sturm nach draußen ging, hatten die Bäume kein einziges Blatt mehr und die Felder waren verwüstet. „Die ganze Ernte war vernichtet“, so erzählt es Kalo, eine Frau mit starkem Rücken, in Badeshorts und Flipflops, fünf Jahre später.
Die Insel Pele, auf der sie lebt, könnte das Paradies sein: 600 Menschen wohnen auf der Insel, die von türkisblauem Meer umrahmt wird. Kokospalmen, die im Wind flattern, Papayabäume und Bananenstauden. Die Bewohner*innen haben den Großteil ihrer Häuser an die Küste gebaut. Das Meer, Postkartenkulisse für die einen, ist für die anderen gleichzeitig Existenzgrundlage und Bedrohung.
Glaubt man der Universität der Vereinten Nationen, gibt es kein Land, das mehr von Extremwettern bedroht ist als Vanuatu, ein Inselstaat verteilt auf 83 Inseln mitten im Pazifik. Abseits der Ballungsräume gibt es keine Straßen, keine Autos, nichts, was Treibhausgase ausstoßen könnte. Es ist eine paradoxe Logik: Das Land, das weltweit mit am wenigsten CO2 in die Atmosphäre ausstößt, ist das Land, das am meisten unter den Folgen des menschengemachten Klimawandels leidet. Zwei bis drei Tropenstürme wüten jedes Jahr über Vanuatu. Australische Wissenschaftler haben berechnet, dass sie immer stärker werden. Mitte April traf der Zyklon Harold den Inselstaat, tötete drei Menschen und hinterließ viele andere obdachlos. Die Zyklone, die über Vanuatu fegen, ziehen ganze Landmassen ins Meer. An dem Strandabschnitt, an dem die Bewohner*innen der Insel Pele ihre Vorfahren begraben, hat das Meer Grabsteine und Knochen freigelegt. Wenn es regnen soll, herrscht Dürre. Wenn Trockenzeit ist, regnet es über Tage in Strömen, berichtet Salome Kalo: „Wir sehen, dass das Wetter sich verändert.“ Sie schmiert ihrer vierjährigen Tochter Erdnussbutter auf ein Baguette. Lebensmittel, die sie in der Stadt kaufen muss, importiert aus Ländern, von denen Vanuatu abhängig ist. Sie erinnert sich, dass ihre Eltern niemals auf den Markt in die Hauptstadt gefahren sind. Es gab immer genug zu essen, sagt Kalo, ihre Beine wippen unter dem Plastikstuhl.
Es ist halb sieben Uhr morgens. In der Morgensonne reckt sich eine Katze. Barfuß tritt Salome Kalo vor ihr Haus. Ihr Blick tastet den Himmel ab: „Es könnte heute regnen“, sagt sie. Obwohl gerade Regenzeit ist, sei seit Tagen kein Tropfen vom Himmel gefallen. Die Lokalzeitung spricht von einer Dürre. Einen Fluss, eine Quelle oder einen See gibt es auf der Insel nicht. Die Bewohner*innen Peles „ernten“ den Regen in großen Fässern.
Sie könnte den Chief beerben
Mit ihrer Tochter an der Hand läuft sie zu ihrem Gemüsefeld. Es steht im schützenden Windschatten der Häuser. Früher waren die Felder auf den Hügeln und viel größer. Seit auf der Anhöhe aber die Stürme wüten, wachse dort nichts mehr, sagt die 41-Jährige. Kalo ist in ihrem Dorf die Beauftragte für Nahrungsmittelsicherheit. Sie reist von Insel zu Insel und unterrichtet Frauen und Jugendliche, wie man einen Permakultur-Garten anlegt, die neuen Jahreszeiten besser nutzt, wie man sich anpasst an dieses Klima, das sich verändert hat. Fragt man Kalo, warum es nur Frauen und Jugendliche sind, die sie unterrichtet, sagt sie: „Ernährung ist Frauensache.“ Das Anbauen, Ernten, Kochen und Zubereiten, aber vor allem eines: die Sorge, dass für alle genug zu essen da ist. Und warum Jugendliche? Weil das die große Herausforderung für die Zukunft sein wird.
Der Klimawandel teilt die Welt: zwischen Privileg und Nicht-Privileg, dem globalen Norden und dem globalen Süden. Zwischen Männer und Frauen. Frauen sind viel stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen, weil sie weniger politische Macht haben, weniger rechtlich gesicherte Besitzansprüche und Zugang zu Ressourcen, weil sie in einer Doppelverantwortung stecken zwischen Lohn- und Care-Arbeit. In Vanuatu sind fast zehn Prozent mehr Frauen als Männer für die Subsistenzwirtschaft zuständig, also für die Gärten und Felder, die den eigenen Verbrauch an Lebensmitteln sichern. Obwohl sie die Auswirkungen des Klimawandels schultern, haben Frauen weniger Mitspracherecht. In einem Bericht der NGO „Care“ gaben Frauen nach dem Sturm Pam an, sie hätten schon früh Sorgen bezüglich der Sturmwarnungen geäußert, aber ihre Bedenken seien ignoriert worden.
Salome Kalo wächst in einer strikten Männerwirtschaft auf, in der jedes Dorf ein Oberhaupt, einen Chief hat. Per Blutlinie gibt der Chief seinen Posten an den erstgeborenen Sohn ab, erklärt sie und fährt mit der Hand über die Plastiktischdecke. Im Nakamal – einer dorfzentralen Holzhütte, in der auch Cava, ein berauschender Wurzelsaft, getrunken wird – treffen die Männer die Entscheidungen. Auf nationaler Ebene ist es nicht anders: Im Parlament sitzen dreißig Abgeordnete, darunter keine einzige Frau. „Früher haben nur die Männer die Entscheidungen getroffen.“ Jetzt aber würde auch in Vanuatu das Patriarchat bröckeln, sagt Kalo. Sie ist die Frau des Chiefs. Würde ihr Mann sterben, träte sie als erste Frau seine Nachfolge an. Als Gegengewicht zu den Dorftreffen, an denen nur Männer teilnehmen, hat sie einen Frauenkreis einberufen. Jeden Montagmorgen treffen sich die Frauen in der Inselregion Piliura, um über ihre Anliegen zu sprechen. Das Thema der letzten Runde: die Schulgebühren, 20.000 Vatu pro Jahr, umgerechnet etwa 150 Euro. Es ist eine immense Summe für Frauen, die nur Subsistenzwirtschaft betreiben. Die Frauen haben sich auf ein Solidarsystem geeinigt: Gemeinsam wollen sie die Schulgebühren tragen. Wenn man so will, wenden Salome Kalo und die anderen Bewohner*innen so eine andere Folge des Klimawandels ab: dass Kinder nicht mehr in die Schule gehen können, weil die Landwirtschaft als Folge des Klimawandels nicht mehr genug Erträge bringt. Und noch eine sekundäre Folge des Klimawandels besprechen sie: Vor allem die Jüngeren würden migrieren, ins Ausland oder in die Hauptstadt Port Vila.
Statt zu fliehen, versucht sich Salome Kalo in ihrem Dorf an den Klimawandel anzupassen: Vor ihrem Haus steht ein Solartrockner. Sonnenlicht soll Obst und Gemüse zu rosinenähnlichen und haltbaren Lebensmitteln zusammenschrumpeln. Essen für harte Zeiten.
Experimente mit Permakultur
In ihrem Permakultur-Garten experimentiert sie mit neuen Sorten. Widerstandsfähiger sollen sie sein und durchmischter. „Wir erkennen die Veränderungen und wir passen uns an sie an“, sagt Kalo. So weit es geht. „Ich mache mir Sorgen. Wenn wir uns nicht anpassen können, könnte es sehr gefährlich für uns werden.“
Die Anpassung an den Klimawandel steht bei fast jeder UN-Klimakonferenz auf der Agenda. Aber auch hier werden die Entscheidungen mehrheitlich von Männern getroffen. Bei der UN-Klimakonferenz 2018 in Katowice waren nur 27 Prozent der Delegationsleiter*innen weiblich. Immerhin, ein Teilerfolg: Ungefähr zur gleichen Zeit wurde der Gender-Aktionsplan ins Leben gerufen, ein Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern bei Entscheidungen, die den Klimawandel betreffen. Fünfzehn Jahre lang hatten Frauenorganisationen dafür gekämpft.
Mehrere Tausend Kilometer von diesen Entscheidungsträger*innen entfernt sorgt sich Salome Kalo darum, wie es ihrer vierjährigen Tochter gehen wird, wenn sie in ihrem Alter sein wird. Wird die Klimadiplomatie dazu führen, dass nicht nur Länder wie Vanuatu, sondern auch Frauen nicht mehr benachteiligt werden? Wird es noch genügend zu essen geben? Werden die Bewohner*innen Piliuras fortgehen, auch ihre Tochter? „Für sie wird alles anders sein“, sagt sie. Aber wenn sie sich an den Klimawandel anpassen muss, kann sie das anderen beibringen. Ihre Tochter könnte weiterführen, was sie angestoßen hat.
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