"Uns werden jegliche Bürgerrechte verwehrt"

Kriegsdienst Wer in Ägypten den Dienst an der Waffe verweigert, bekommt es mit staatlicher Repression zu tun, berichtet der Pazifist Mohaned Soliman. Er ist nach Deutschland geflohen
Stillgestanden!
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Foto: Khaled Desouki / AFP / Getty Images

Der Freitag: Herr Soliman, Sie haben den Kriegsdienst verweigert. In Ägypten ist das ein Verbrechen.

Mohaned Soliman: Nein, es ist ein universelles Menschenrecht. Laut Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist es mein gutes Recht, nach meinem Gewissen meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Das wirkliche Verbrechen ist, Soldaten der Gefahren des Kriegszustandes auszusetzen.

Trotzdem gilt Kriegsdienstverweigerung in Ägypten als Straftat. Mit welchen Konsequenzen müssen Pazifisten in Ihrem Heimatland rechnen?

Der Kriegsdienst ist in Ägypten verpflichtend, ihn zu verweigern bedeutet den gesellschaftlichen Tod. Den meisten Verweigerern werden jegliche Bürgerrechte verwehrt. Ich bekam keine Dokumente mehr, konnte nicht mehr studieren oder arbeiten. Ohne Reisepass konnte ich das Land nicht mehr verlassen. Jeder Kriegsdienstverweigerer ist ständig in Gefahr, auf der Straße von der Armee oder der Polizei aufgegriffen zu werden. Man hat ständig Angst. Kommt es zum Prozess, gibt es nur wenig juristische Hilfe. Es gibt kaum einen Anwalt, der das derzeitige Militärrecht auszulegen weiß.

Mohaned Soliman, 28, ist Pazifist und Mitstreiter der Organisation "No to Compulsory Military Service Movement". 2012 erklärte er seine Kriegsdienstverweigerung

Wie ist die Situation für Nubier, der Minderheit, der Sie angehören?

Noch schlimmer. Die ägyptische Regierung hält uns ohnehin schon für unpatriotisch. Das Misstrauen gegenüber unserer Ethnie ist sehr groß. Nubier dürfen auch keine Offiziere werden, aber werden trotzdem eingezogen, dabei sind wir ein friedvolles Volk.

Wie ist der Militärdienst in Ägypten?

Er dauert ein bis drei Jahre. Das Leben in den Militärcamps ist hart. Besonders ehemalige politische Aktivisten leiden unter Repressionen. Eine Gesetzesänderung erlaubt keine Nachrichten in den Lagern, es gibt kaum Informationsfluss, darunter leiden vor allem die Familien der Soldaten. Viele Soldaten sind direkt im Kriegsgebiet stationiert, als Sklaven, sie erhalten weniger als umgerechnet 30 Euro pro Monat. Seitdem das Militär an der Macht ist, also seit 2011, wurden mehr Soldaten denn je eingezogen. Die Offiziere möchten den Arabischen Frühling klein kriegen und die Jugend für die Rebellion bestrafen.

Was war Ihr Grund, den Kriegsdienst zu verweigern?

Ich bin Pazifist. Der Kriegsdienst steht im Konflikt mit meinen Werten. Ich weigere mich, eine Waffe in der Hand zu halten. Die Wehrpflicht verwehrt den Menschen ihr natürliches Recht auf körperliche Freiheit, die Wahl-, Meinungs-, Glaubens- und Bewegungsfreiheit. Ich will nicht als Werkzeug zur Unterdrückung benutzt werden. Meine Gründe habe ich vor vier Jahren dem Militär vorgetragen.

Da forderten Sie auch einen Zivildienst als Alternative?

Genau, aber leider erfolglos. Keiner meiner Briefe oder Emails wurde jemals beantwortet. Es mangelte an Unterstützung, von jeglicher Seite.

Also entschlossen Sie sich zu fliehen?

Letzten Sommer verließ ich Ägypten auf illegalem Weg, ohne Pass konnte ich ja nicht ausreisen. Über das Mittelmeer kam ich nach Italien, wo meine Fingerabdrücke aufgenommen wurden. Hier erfuhr ich, dass Italien ein bilaterales Abkommen mit Ägypten hatte, das es ermöglichst, jeden Flüchtling wieder zurück in seine Heimat abzuschieben. Ich musste weiter und gelangte nach Deutschland, wo ich im März dieses Jahres einen Asylantrag stellte. Die deutschen Behörden fanden heraus, dass meine Fingerabdrücke schon in der Datenbank waren. Nach der Dublin-III-Verordnung könnte mich Deutschland damit nach Italien abschieben und Italien wiederum nach Ägypten. Jetzt hängt alles in der Schwebe. Wenn keine Nachricht aus Italien kommt, bedeutet das, Deutschland hat die Entscheidungshoheit, zu sagen, ob ich bleiben kann oder abgeschoben werde.

Kriegsdienstverweigerung gilt in Deutschland aber nicht als Asylgrund?

Das kommt drauf an. Wenn die Verweigerung in Verbindung steht mit einer politischen Aktivität und staatlicher Repressionen aufgrund von Demonstrationen und Protesten, können die Nachteile der Kriegsdienstverweigerung als politische Verfolgung eingestuft werden. Dann hätte ich Chance auf Asyl. Bislang geht es in meinem Fall aber nur um die Verantwortungsfrage, Italien oder Deutschland.

Was würde passieren, sollten Sie nach Ägypten abgeschoben werden?

Ich käme vor ein Militärgericht. Wahrscheinlich würde ich eine mehrjährige Haftstrafe in einem Militärgefängnis bekommen. Seit 2013 ist es extrem schwierig, juristische Hilfe zu bekommen, selbst von Menschenrechtsorganisationen.

Aber es gibt auch eine Gegenbewegung?

Ja, und diese Bewegung ist noch relativ jung. Im Jahr 2010 begann Maikel Nabil gegen den Militärdienst aufzurufen, er war der erste Kriegsdienstverweigerer.

Er ist auch der Begründer der Organisation "No to Compulsory Military Service Movement", der auch Sie angehören. Was macht die Organisation?

Wir sind eine antimilitaristische, pazifistische Bewegung, die eine Kultur der Gewaltfreiheit und des Friedens in Ägypten verbreiten möchte. Es geht darum, die Zwangsrekrutierung abzuschaffen, sowie das Militärsystem im Allgemeinen zu hinterfragen. Wir wenden uns an die Zivilgesellschaft und wollen die öffentliche Meinung prägen, zum Beispiel durch Medienarbeit, Kooperation und Bildung. Mit der Organisation schaffen wir eine Vereinigung von ehemaligen Kriegsdienstverweigerern, um uns gegenseitig zu unterstützen, mit Erfahrungen, Übersetzungen, juristischer Hilfe, etc.

Wie kann die Zivilgesellschaft in Ägypten gestärkt werden?

Das größte Problem ist derzeit ein Defizit an Unterstützung, von der Regierung, aber auch von ägyptischen Menschenrechtsorganisationen und Einrichtungen. Wir brauchen eine juristisches System, das uns vor der Willkür der Militärgerichte schützt oder eine Organisation, die für uns einsteht. Wir sind auf die internationale Gemeinschaft angewiesen. Länder wie Deutschland sollten Druck auf die ägyptische Regierung ausüben, damit diese die Bürgerrechte gewährleistet.

Das Gespräch führte Ann Esswein

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