In Warschau klirrten die Champagner-Gläser. „Wir haben gewonnen“, wird die jüngste Entscheidung von Mario Mauro bejubelt, seine Kandidatur für den Posten des EU-Parlamentspräsidenten zurückzuziehen. Der Italiener habe, hieß es, nicht genug Unterstützung von der größten Fraktion im Parlament, der Europäischen Volkspartei (EVP) – trotz der Kampagne von Silvio Berlusconi. Nun schlägt die Stunde des Jerzy Buzek, dem die Unterstützung der EVP bereits sicher ist ebenso wie Zustimmung aus Deutschland und Frankreich. Weil die Stimmen der EVP-Fraktion für einen Sieg Buzeks nicht ganz reichen, einigte man sich mit den Sozialisten, die nun auch für den Polen votieren. Allerdings bleibt Buzek nur für zweieinhalb Jahre Vorsitzender und wird danach ersetzt durch Martin Schulz (SPD).
Vorfeiern in Polen
Für viele in Warschau ist das Comeback des Ex-Premiers eine Überraschung. Parteifreunde und Gegner sahen ihn längst am Ende seiner politischen Karriere angekommen. Einst war er der erste Protestant nach der Wende von 1989/90, der in Polen Regierungschef wurde. Als er diesen Posten wieder verlor, weinte ihm das Gros der Bevölkerung keine Tränen nach. Heute lieben ihn die Polen wieder und in der EU steht ihm eine Mission bevor, die in Polen ihresgleichen sucht. „Nach Papst Johannes Paul II. wird Buzek der zweite Pole sein, der in Europa derart exponiert ist“, bejubeln ihn die Medien.
Der Sprung nach Brüssel wird nicht die erste Wende im Leben des 69-jährigen promovierten Chemikers aus Schlesien sein. Er gilt als ein Mann der Ruhe, der häufig lächelt und sich selten aufregt. Bei den Europa-Wahlen am 7. Juni überholte er mit seinem Stimmanteil alle anderen Bewerber und lag mit fast 400.000 Stimmen deutlich vor anderen prominenten Kandidaten, darunter die ehemalige EU-Kommissarin Danuta Hübner und der populäre ehemaligen Justizminister Zbigniew Ziobro.
Zeiten mit Solidarnosc
Als Jerzy Buzek 1997 zum ersten Mal als Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten in der Regierung von Solidarnosc erwähnt wurde, griffen Journalisten verwirrt zum Telefon. Kaum jemand wusste, wer Jerzy Buzek war. In der nationalen Politik hatte sein Name kaum Bekanntheit beanspruchen können, trotz seiner relativ langen Erfahrung als Politiker. 1980 bereits hatte sich Buzek bereit der Gewerkschaft Solidarnosc angeschlossen – er schrieb für die Untergrundpresse und begleitet die Führer der Solidarnosc bei öffentlichen Auftritten und Verhandlungen. Allerdings stand er stets im Schatten Lech Walesas und anderer und galt als Experte – das empfahl ihn 1997 für die Regierung in Warschau.
Marian Krzaklewski, der damalige Solidarnosc-Vorsitzende, wollte nicht riskieren, als Premierminister durch unpopuläre Entscheidungen seine Beliebtheit zu verlieren. Buzek sollte als Schutzschild fungieren. Doch ausgerechnet seine Ruhe und Ausgeglichenheit sollten ihm schon damals von Vorteil sein. Als sich Solidarnosc und Krzaklewski blamierten und bei den Wahlen von 2001 aus dem Parlament flogen, errang Buzek selbst noch überraschend viele Stimmen, trennte sich aber von Solidarnosc und bald auch von der Politik. Für kurze Zeit war er Chemie-Professor, dann versuchte er 2004 den Sprung ins EU-Parlament – er tat das mit Erfolg und wurde 2009 wiedergewählt.
In Strasbourg und Brüssel war er von Anfang an einer der bekanntesten Abgeordneten. Zum Teil deswegen, weil er dort in der vergangenen Legislaturperiode einer von vier ehemaligen Ministerpräsidenten war. Diese Prominenz half ihm vermutlich, sich vom Rest abzuheben. Buzek beließ es nicht dabei: Er kämpfte für das Wissenschaftsprogramm, immerhin den drittgrößten Posten im EU-Haushalt, und bestand damit einen Eignungstest, der ihm jetzt bei der Entscheidung über den künftigen Parlamentsvorsitz von Vorteile ist.
„Es ist symbolträchtig und sehr wichtig, dass 20 Jahre nach der Wende ein Vertreter der neuen EU-Mitgliedsländer diese Stelle übernimmt“, sagte Pawel Gras, der polnische Regierungssprecher in Warschau. Doch nicht alle sehen es so. Während die sozialdemokratische Opposition in Polen die Freude offiziell teilt, sucht die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nach nach dem Haar in der Suppe. Man werde zwar bei der Abstimmung im Parlament Buzek unterstützen, sagt Jacek Kurski, EU-Abgeordnete der PiS, doch könne man nicht darüber hinweg sehen, dass Polen damit die Chance verliere, viel wichtigere Posten zu besetzen, etwa den eines EU-Kommissars für Wirtschaft oder Außenpolitik. Der bringe sehr viel mehr Einfluss als der eher repräsentative Parlamentsvorsitz, so Kurski.
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