Der Homo Stimulus

Eine neue Menschwerdung Der Homo stimulus: Die Schaffung eines neuen Menschen - geprägt von Reizgesellschaft und Verhaltenskapitalismus - im Zeitalter des kollektiven Individualismus

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  • Die Konfrontation der Bevölkerung mit künstlich erzeugten Stimuli hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv erhöht
  • Die technologische Entwicklung ermöglicht mittlerweile eine Reizsetzung in alle Bereiche des persönlichen Lebens
  • Es erfolgte eine Gewöhnung an schnelle und kurze Stimuli
  • Diese werden nicht nur passiv konsumiert, sondern aktiv eingefordert und gestaltet
  • Die moderne Reizgesellschaft ist entstanden
  • Diese Reizgesellschaft hat daher einen neuen Menschen konditioniert: den Homo stimulus
  • Die Reizgesellschaft hat, in Kombination mit dem Verhaltenskapitalismus, das Zeitalter des kollektiven Individualismus eingeleitet

Zu Beginn soll eine These stehen: Die Welt verändert sich im rasenden Tempo. Doch nicht nur sie ist es, die neue Bahnen einschlägt, sondern auch der Mensch selbst. Es entstand der Homo stimulus, der Reizmensch, dessen Anteil an der Gesamtbevölkerung stetig zunimmt und der in künftigen Generationen eine Mehrheit stellen wird.

Eine evolutionäre Entwicklung? Eine Anpassung? Ein Produkt externer Beeinflussung? Es kommt auf die Betrachtungsweise an, doch die folgenden Seiten möchten keine Grundlagen der Sozialwissenschaften wiederholen, hierfür gibt es zweifellos bessere Versuche, sondern vielmehr eine Entwicklung der Konditionierung auf schnell-frequentierte Reize und deren Endprodukt, den Homo stimulus, betrachten sowie diese zur Diskussion stellen. Es bleibt eine These, die dem Verständnis einer neuen Wirklichkeit dienen soll. Eine erste, die schon deswegen notwendig ist, weil die Veränderungen unübersehbar sind und daher unbedingt neuer Erklärungsansätze bedürfen.

Der neue Mensch, geprägt durch die Reizgesellschaft, hat den Erfolg des Verhaltenskapitalismus[1] erst ermöglicht und stellt ein wesentliches Merkmal des Zeitalters des kollektiven Individualismus dar.

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Die Welt der Gegenwart und Zukunft wäre ohne den Homo stimulus undenkbar und deswegen ist es von Nöten, dieser Konditionierung, die noch nie in einem solchen Rahmen geschehen ist, zu benennen und so eine allgemein verständliche Verstehens- und Diskussionsgrundlage zu schaffen. Es ist die Fortsetzung jener ewigen Aufgabe, die uns eine jede neue Zeit aufbürdet und zugleich die Gefahr in sich birgt, für die Erklärung der Gegenwart auf obsolete Modelle der Vergangenheit zurückzugreifen. Doch mag es auch der ewig gleiche Fluss der Menschlichkeit sein, in den wir uns begeben, so führt er doch, wie schon Heraklit vor tausenden Jahren bemerkte, doch niemals die gleichen Wasser.

Bevor der neue Mensch jedoch eine tiefergehende Widmung erfahren soll, scheint es vorab ratsam zu sein, darzulegen, was diese Schrift unter einem Reiz, also einem sogenannten Stimulus und der Reizgesellschaft, aus welcher der Homo stimulus erwachsen ist, genau versteht. Dabei soll allerdings keine Entfernung vom wissenschaftlichen Standard erfolgen, bestenfalls eine Verkürzung:

Als Reiz bezeichnet man einen Stimulus, der ein Verhalten durch die Einwirkung auf ein Sinnesorgan auslöst oder verändert. Der Anregung folgt eine Reaktion. Diese Reaktion kann durch vergangene Reize beeinflusst werden.

Soweit zumindest die psychologische Definition, wie sie in fast allen akzeptieren Werken zu finden ist. Die Unterscheidung zwischen reaktivem (erst Reiz, denn Reaktion) und operantem Verhalten (erst Reaktion, dann Reiz), soll im Moment nur bedingt interessieren, denn diese Punkte sind für These und Zielsetzung schlicht zweitrangig.

Das grundsätzliche Prinzip ist nicht schwierig zu verstehen und soll an dieser Stelle auch für Menschen, die sich nur in der Nebensache mit derartigen Themengebieten beschäftigen kurz dargestellt werden:

Das grelle Sonnenlicht lässt die Augen schließen. Ein angenehmer Essensgeruch erinnert nicht nur an den eigenen Hunger, sondern auch daran, wann das Gericht zuletzt gegessen wurde. Der Mensch ist daher stetig Stimuli ausgesetzt, die er beinahe durchgehend und auf unterschiedlichste Art und Weise, bewusst und unbewusst, wahrnimmt. Diese Sicht ist vereinfachend, aber dennoch lässt sich die Aussage treffen, dass eine Welt ohne Stimuli nur schwierig denkbar wäre.

Doch lebt er damit nicht schon von Anbeginn der Zeiten in einer Reizgesellschaft? Diesem Urteil könnte man unterliegen, wenn man die Begrifflichkeit sehr weitfasst, und doch ist die Definition der modernen Reizgesellschaft, wie sie diese Schrift versteht, weitaus spezifischer, eingegrenzter und letztendlich die Bezeichnung für eine historische Entwicklung, die sich auf einen ganz bestimmten zeitlichen Ablauf bezieht.

Unter einer Reizgesellschaft versteht man ganz allgemein einen Zusammenschluss von Individuen, der in starker Frequenz beeinflussenden, in der Regel künstlich erzeugten, Reizen ausgesetzt ist und sich diesen nur schwer oder nicht entziehen kann bzw. zum Teil auch nicht möchten.

Es erfolgt daher eine Abgrenzung zwischen klassischen Anregungen und einer hochfrequentierten Reizung, die ihren Ursprung in der kommerzialisierten oder/und der politisierten technologischen Entwicklung besitzt, durch deren Fortschritt intensiviert wird und so, zusammen mit dem Verhaltenskapitalismus,[2] in der westlichen Welt das Zeitalter des kollektiven Individualismus[3] eingeleitet hat.

Das mag im Moment noch abstrakt klingen, soll aber an späterer Stelle an der konkreten Entwicklung noch verdeutlich werden. Bis zu diesem Punkt muss aber die Definition an sich vertieft werden.

Voraussetzung für die Etablierung einer Reizgesellschaft ist die Möglichkeit das Individuum in großer Häufigkeit mit den Reizen zu konfrontieren.

Diese Voraussetzung der Reizgesellschaft ist elementar, denn an dieser Stelle findet sich eine klare Abgrenzung zu einem allgemeinen Verständnis der Reizung. Die Entwicklung der Reizgesellschaft und damit am Ende auch der Homines stimuli ist nicht von der technologischen Entwicklung zu trennen, die wiederum eng mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren Nutzung durch Politik (z.B. politisches Marketing), Gesellschaft (z.B. Entwicklung der gesellschaftlichen Milieus) und vor allem der Wirtschaft (z.B. Entwicklung zur Konsumgesellschaft und später des Verhaltenskapitalismus) verknüpft ist. Vielmehr handelt es sich um ein untrennbares Zusammenwirken der Kräfte, die aber noch eine übersichtliche Darstellung erfahren wird.

Die Reizsetzung in modernen Zeiten erfolgt zumeist durch kurze, schnelle und sich wiederholende Reize.

Diese Feststellung ist eine wichtige, da hier schleichend eine Veränderung der Art der Wahrnehmung eingeleitet wurde, denn die Stimuli besitzen eine andere Natur als noch vor einigen Jahrzehnten.

Viele der heute sehr oft genutzten sozialen Medien, Kommunikationsmittel oder Dienste,[4] bieten schnelle Information und Unterhaltung, die keinen Wert auf eine längerfristige Beschäftigung mit ihnen legt und auch nie so gedacht waren.[5] Es bleibt auch unerheblich, ob zuerst die Reize vorhanden waren, oder der Wunsch nach ihnen. Die Frage ist nicht zielführend, denn es war vielmehr ein miteinander tanzen, das schneller und schneller wurde. Ein sich gegenseitiges steigern und fordern. Es soll das Ergebnis zählen.

Das Gehirn wird daher auf eine bestimmte Art und Weise konditioniert, die vielleicht für Menschen, die sich diesem Prozess, von jungen Jahren an, noch nicht ausgesetzt haben, gar nicht nachvollzogen werden kann und doch ist das Ergebnis aus der eigenen Empirie heraus auch für sie nicht übersehbar: Sei es an den Kommunikationsmitteln (z.B. Smartphone) Dritter oder schlicht nur an den schnelleren Schnitten von Filmen und deren Vergleich mit älteren Leinwandprodukten. Ob hier auch ein Abhängigkeitsverhältnis von kurzen und schnellen Reizen entstehen kann, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Es werden später entsprechende Studien verlinkt werden, die dieses nahelegen. Für den Moment soll allerdings auf ein weiteres zentrales Merkmal der modernen Reizgesellschaft hingewiesen weirden:

Die Reizaussetzung erfolgt oft freiwillig

Während gerade kommerzielle Reize (z.B. TV-Werbung) in früheren Tagen oft als lästig empfunden wurden, erfolgt die heutige Auseinandersetzung mit ihnen nicht nur auf Basis des freien Willens, sondern wird sogar aktiv gefordert. Es ist daher zu kurz gegriffen, von einem „Bombardement“ zu sprechen, denn es handelt sich um einen Prozess, bei der beide Seiten die Rolle des Senders und Empfängers einnehmen.[6]

So ist das Smartphone stetiger Begleiter und das ständige Überprüfen von Posts, Nachrichten und Meldungen für so manche Person beinahe sekündlicher Standard.[7] Die Grenze zwischen kommerziellen und privaten Reizen vermischt immer mehr und daher öffnet sich die Tür in die intimste Sphäre des Menschen, die für frühere „Reizmethoden“ in der Regel verschlossen blieb. Diese Grenze ist nun offen. Die Unterscheidung zwischen interner/externen Motivation oder zwischen angeforderten und erhaltenen Reizen wird immer unbedeutender sowie schwieriger zu unterscheiden.

Ein gewichtiger Unterschied, der irgendwann eine neue Spielart des Kapitalismus, den Verhaltenskapitalismus,[8] entstehen ließ, dessen Modell die beschriebenen Mechanismen in der Tiefe erklärt. Doch soweit soll es an dieser Stelle gar nicht erst gehen, bleiben wir bei den, in der Regel künstlich gesetzten, Stimuli, die ursprünglich einem Zweck dienen. Das legte aber bereits die Nutzung des Wortes „Konditionierung“ nahe, bei dem oft Assoziationsketten wie „Behaviorismus“, „Framing“ oder „Priming“ entstehen und doch wären diesen Ketten nicht ausreichend, um die Entwicklung einer neuen Zeit zu beschreiben. Richtig bleibt jedoch:

Das Ziel der künstlichen Reizsetzung ist die Beeinflussung des Verhaltens

Diese Erkenntnis ist keine und schon gar nicht neu. Ob der Wahrnehmende mit dem Reiz zu einem Kauf, zu einem Klick, nur zum Ansehen oder zu einer Verhaltensmodifikation bewegt werden soll, spielt dabei keine Rolle. Gleichfalls gilt, wie schon immer:

Nicht jedes Milieu oder Individuum reagiert gleich stark auf den gleichen Reiz. Niemand ist jedoch vollständig immun.

Dass nicht jedes Milieu oder Individuen auf die gleiche Art und Weise auf den gleichen Reiz reagiert ist verständlich, haben diese doch unterschiedlichste Ansichten, Wertvorstellung und Interessen. Auch das ist keine neue Erkenntnis, sonst wäre z.B. eine umfangreiche Segmentierung im Marketing nicht notwendig. Und doch ist erneut auf den Unterschied hinzuweisen:

Es geht in dieser Schrift nicht darum, ob bestimmte Stimuli ihr Ziel erreichen, sondern darum, dass eine Konditionierung und eine Wahrnehmungsverschiebung in Richtung kurzer, hochfrequentierter Reize erfolgt bzw. gar von den Homines stimuli vorangetrieben wird. Es geht um die globalen Konsequenzen. Es geht um eine Welt, in welcher die Sinnesorgane mit Unmengen an Reizen und das mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit konfrontiert werden. Es geht um eine Realität, in der es bereits einen erheblichen Gewöhnungsprozess gibt. Es geht darum, wie sich der Mensch dadurch in seinem Verhalten und in seiner Betrachtung der eigenen Wirklichkeit nachhaltig verändert. Die Methodik und Struktur verändern, nicht der einzelne Reiz. Der Mensch wird konditioniert und neu geprägt.

Viele Reize verfehlen ihr Ziel vollkommen und/oder gehen im Meer der Stimuli unter. Trotzdem beeinflussen sie die Art und Weise der Wahrnehmung derjenigen, die dauerhaft den Reizen ausgesetzt sind.

Es wäre daher eine Missdeutung, die Begriffe „Reizgesellschaft“ und „Homo stimulus“ ausschließlich mit einer geschickteren Manipulation, sei es aus wirtschaftlichen oder politischen Zwecken, in Verbindung zu bringen. Da wäre eine erschreckende Fahrlässigkeit, denn tatsächlich steht eine Wahrnehmungsverschiebung, eine neue Menschwerdung im Mittelpunkt, denn mag die Stimulierung auch ursprünglich einen kommerziell-politischen Hintergrund gehabt haben, heute sind die früheren Reizempfänger oft, wenn nicht sogar in der Regel, auch Sender und gehen in einen Reizdialog, man denke nur an jene Millionen die Zerstreuung bei Instagram, Youtube und Co. suchen, über.

Dieser Prozess scheint bei Teilen der Milieus bereits abgeschlossen zu sein, bei anderen sich noch in einem Anfangsstadium zu befinden, über das er vielleicht in manchen Fällen nicht hinausgehen wird.

Langfristig verändert die Reizaussetzung die Denkweise, die Wahrnehmung, die Entscheidungsprozesse und die Kommunikation der Reizempfänger.

Es entsteht der Homo stimulus, der Reizmensch.

Diese Veränderungen der Wahrnehmung hat langfristige Konsequenzen für das Verhältnis des Bewusstseins mit seiner Umgebung. Das legen zumindest zahlreiche Studien nahe.[9] Die Theorie der Reizgesellschaft und des Homo stimulus zieht daraus nur die notwendigen Schlüsse für eine neue Zeit.

Der Mensch wird in Teilen neu programmiert. Durch geschickte Manipulatoren? Nein, durch sich selbst, denn er nimmt die moderne Reizgesellschaft in vielen, wenngleich nicht allen, Fällen an und leistet seinen Beitrag.

Dass die Tiefe der Konditionierung milieubedingt und auch individuell unterschiedlich ausfällt, wurde bereits bemerkt. Nur ein Teil der Menschheit hat daher die „evolutionäre“ Entwicklung zum Homo stimulus bereits hinter sich. Künftige Generationen werden allerdings in einem Zeitalter des kollektiven Individualismus heranwachsen und damit praktisch von Geburt an mit Reizen konfrontiert werden. Sie werden sich, wollen sie die Vorzüge einer hochtechnologischen Welt der Konditionierung genießen, auch kaum mehr entziehen können.

Anmerkungen:

[1] Vgl. Erste Grundlagen des Verhaltenskapitalismus: Bestandsaufnahme einer neuen Spielart des Kapitalismus, von Andreas Herteux, erschienen im Erich von Werner Verlag, 2019, ISBN 978-3981900651, DOI 10.5281/zenodo.3469587

[2] Erste Grundlagen des Verhaltenskapitalismus: Bestandsaufnahme einer neuen Spielart des Kapitalismus, von Andreas Herteux, erschienen im Erich von Werner Verlag, 2019, ISBN 978-3981900651, DOI 10.5281/zenodo.3469587

[3] Herteux, Andreas, Das Zeitalter des kollektiven Individualismus, z.B. https://www.freitag.de/autoren/aherteux

[4] Man denke her an Dienste wie WhatApp, Snapchat, Youtube oder Instagram.

[5] Beispielsweise kurze unterhaltende und informierende Videos, die Präsentation von großen Mengen an Posts, bei denen das Gehirn in Bruchteilen von Sekunden interessante herausfiltert und oder die Gewöhnung an das ständige Piepsen des Smartphones. Damit wird ein Gewöhnungsprozess implementiert, der sich in einer Veränderung der Wahrnehmung manifestiert.

[6] Es spielt dabei keine Rolle, ob diese Interaktion nur durch Menschen oder aber auch durch eine Maschine/KI betrieben wird. Hier ist auf die Abschöpfung im Sinne des Modells des Verhaltenskapitalismus zu verweisen.

[7] Selbstverständlich übertreiben wir an dieser Stelle ein wenig, allerdings ist auch die Mensch-Smartphone-Symbiose eine wahrnehmbare Realität.

[8] First Foundations of Behavioral Capitalism: A New Variety of Capitalism Gains Power and Influence, Andreas Herteux, Erich von Werner Verlag, 2019, ISBN 978-3981900675, DOI 10.5281/zenodo.3469568

[9] Hier handelt es sich nicht um Mutmaßungen. Inzwischen gibt es starke Indizien, welche die These bestärken:

Vielleicht wäre es aber sinnvoller anzumerken, dass sie nicht sinkt, sondern auf kurze und schnelle Reize konditioniert wird.

  • Teile des Gehirns werden, laut Beobachtungen, bei intensiver Smartphone Nutzung für Daumen-Reize messbar aktiver und sensibler. Ein positiver Effekt. Generell dürfte die manuelle Geschicklichkeit außerhalb der üblichen Berufe eher zugelegt haben. Das ist aber wiederum nur eine These.
  • Manche Studie legt nahe, dass intensive Nutzung von digitalen Medien, die für eine Vielzahl der Reize Verantwortung tragen, Ängste, Aufmerksamkeitsstörungen, Bewegungsmangel oder Depressionen verstärken oder Wahrnehmungsprobleme erst schaffen. Ein Beispiel aus Großbritannien:

(https://www.rsph.org.uk/uploads/assets/uploaded/62be270a-a55f-4719-ad668c2ec7a74c2a.pdf)

Die Liste lässt sich lange fortsetzen, allerdings steht es außer Frage, dass die Untersuchungen mehr in die Richtung gehen, eine schädigende Wirkung der Reize nachzuweisen, denn eine förderliche. Gerne werden dann auch vorläufige Thesen, wie, dass Bildmedien die Großhirnrinde von Kindern schrumpfen lassen würden, als Tatsache hingestellt. Die Studien lassen diesen Schluss aber nur bedingt zu und weitere Ursachen offen. (Beispiele: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/adb.12570 oder alternativ

https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0195549). Da es sich um ein neues Phänomen handelt, liegen natürlich noch keine divers interpretierbaren Langzeitstudien vor und selbst dann wird man in Zukunft vor dem Problem der Vergleichsgruppen stehen.

Wichtig für uns bleibt an die Stelle lediglich, dass die intensivierte Reizüberflutung Folgen hat. Der Mensch wird durch die Reize neu programmiert, und konditioniert. Ob das nun positiv oder negativ zu werten ist, soll uns im Moment nicht interessieren, denn dieses ist in einer vernetzten Welt mit mannigfaltigen Einflussfaktoren nicht so einfach zu entscheiden, wie es manche gerne würden. Vielleicht benötigt die Welt des kollektiven Individualismus weitausweniger der alten, dafür umso mehr der Reizmenschen? Trotzdem bleibt festzuhalten, dass sich um einen beidseitigen, also sowohl von Seiten des Senders, als auch des Empfängers, Gewöhnungs- und Anpassungsprozess handelt.

Dieser Artikel von Andreas Herteux und der Erich von Werner Gesellschaft ist ein Auschnitt aus den Veröffentlichungen, die unter den DOI-Nummern 10.5281/zenodo.3556810 (englische Version) und 10.5281/zenodo.3556808 (deutsch) abrufbar sind. Sie fanden gleichfalls Publikation auf dem Blog des Autors als auch in internationalen Medien in englischer Sprache.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

EvW

Andreas Herteux ist der Leiter der Erich von Werner Gesellschaft, einer unabhängigen Einrichtung, die sich mit den Themen der Zeit beschäftigt.

EvW

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