Die Gesellschaft im 21. Jahrhundert

Verstehen Um das 21. Jahrhundert gestalten zu können, ist es von Nöten es zu verstehen. Hierfür liegt nun eine umfassende Theorie vor.

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  • Die Menschheit ist in ein neues Zeitalter eingetreten: das des kollektiven Individualismus
  • Die neue Ära wurde durch den Zeitenwandel eingeleitet bzw. wird durch ihn dynamisiert
  • Diese Dynamik macht die Entwicklung schwierig steuer-, vorherseh- oder kontrollierbar
  • Das Zeitalter kennzeichnet sich durch einen stetigen Zerfall der globalen Gesellschaften in einzelne Milieus
  • Diese Milieus kennzeichnen sich durch unterschiedliche Weltansichten, Werte und Verhaltensmuster und geraten zwangsläufig miteinander in Konflikt (Milieukampf)
  • Parallel gibt es eine unaufhaltsame Individualisierungstendenz, die u.a. durch den Verhaltenskapitalismus, die moderne Reizgesellschaft und den Homo stimulus vorangetrieben werden
  • Diese Individualisierungstendenz führt zur Einbettung des Einzelnen in seiner eigenen Welt
  • Zwischen der Rolle als Individuum und der als Teil eines Milieus kann eine sogenannte Identifikationsdissonanz entstehen

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In der Geschichte der Menschheit gab es zahlreiche Wendepunkte und Eintritte in neue Epochen und Zeitalter. Oft waren die Übergänge dabei schleichend, wurden nicht als solche wahrgenommen und erst in der Nachbetrachtung als neue Ära erkannt. Genau das – und dieses sei die Kernthese dieses Beitrages - geschieht im Moment wieder. Die Menschheit steht vor dem Eintritt in ein neues Zeitalter: das des kollektiven Individualismus, der das 21. Jahrhundert prägen wird.

Was ist der kollektive Individualismus?

Doch, was ist unter diesem Begriff zu verstehen? Unter einem kollektiven Individualismus wird ein Individualismus verstanden, bei dem das Individuum so eingebettet wird, dass die individuelle Selbstentfaltung innerhalb eines nicht oder kaum sichtbaren Rahmens stattfinden kann.[1] Parallel dazu ist er die Bezeichnung einer Zeitperiode. Um sich dieser Definition anzunähern, ist es notwendig sowohl die gesellschaftliche Entwicklung als auch die Tendenz zur Individualisierung näher zu betrachten und doch soll der Blick vorab etwas weiter schweifen.

Was sind die Wurzeln des kollektiven Individualismus?

Der kollektive Individualismus ist letztendlich das Produkt einer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und technologischen Weiterentwicklung. Diese erfolgte in den letzten Jahren nicht als ein kontinuierlicher und gradliniger Prozess, sondern sprunghaft. Der Vorgang kann griffig unter dem Begriff des Zeitenwandels zusammengefasst werden. Unter einem solchen versteht man einen zeitlichen Abschnitt, in dem sich dessen einzelne Elemente auf eine solche Art und Weise dynamisch gegenseitig beeinflussen, dass diese eine Neuordnung der bisherigen (globalen) Machtverhältnisse bewirken können.

Diese Elemente sind:

  • Umgang mit dem technologischen Fortschritt (z. B. Digitalisierung, Verhaltenskapitalismus, Homo stimulus, Biotechnologie, KI, Optimierung des Menschen)
  • Aufstieg neuer Konkurrenten auf den Weltmärkten (z. B. asiatische Staaten)
  • Schwäche der westlichen Welt (z. B. durch Instabilität, schwindendes Vertrauen in bestehende Ordnungen, Verlust von Wettbewerbsfähigkeit oder durch den politischen Aufstieg Chinas)
  • Veränderung der Umweltbedingungen (z. B. durch Klimawandel, Pandemien, Ressourcenausbeutung oder Umweltzerstörung)
  • Fehlen von Perspektiven bei einem Teil der Menschheit (z. B. durch Überbevölkerung oder unbefriedigte Grund- und Sicherheitsbedürfnisse)[2]

Ob es nun notwendig ist, alle Punkte in einem Begriff zu bündeln, mag dahingestellt sein. Es erscheint aber sinnvoll, um sich der Komplexität der Veränderungsprozesse anzunähern und um ihm eine griffige, populär nutzbare, Form zu geben. Gleich wie; jede dieser Entwicklungen übt massiven Druck auf die bestehenden Strukturen aus.

Erosion der sozialen Milieus

Stellt man die gesellschaftliche Entwicklung in den Fokus, so fällt auf, dass es eine messbare Erosion der sozialen Milieus gibt. Oder einfacher ausgedrückt: die Gesellschaften zerfallen in immer kleinere Lebenswirklichkeiten. Ein Phänomen, das sich weltweit, sowohl in den Industriestaaten als auch in den Entwicklungsländern, oft nach vergleichbaren Mustern, messen lässt und damit ein gewichtiges Indiz für die Wirkung des Zeitenwandels darstellt.[3]

Soziale Milieus definieren sich am Ende dadurch, dass diejenigen, die ihnen angehören spezifische Weltansichten, Verhaltensmuster, Normen, Werte oder Vorstellungen von einem guten Leben teilen. Wenn es nun mehr und mehr Lebenswirklichkeiten gibt, erscheint die Annahme, dass es zwischen verschiedenen Milieus ein erhöhtes Konfliktpotential gibt, eine legitime.

Milieukämpfe- und Konflikte

Die daraus resultierenden Auseinandersetzungen lassen sich unter dem Begriff des Milieukampfes zusammenfassen.[4] Das bedeutet, dass sich zwischen den Lebenswirklichkeiten (Milieus) einer Gesellschaft (oder mehrerer Gesellschaften) Konflikte ergeben, die aktiv oder passiv ausgetragen werden. Dem Milieukampf gehen dabei stets Milieukonflikte voraus. Milieukonflikte sind dabei Konflikte, die dann begründet werden, wenn die Bedürfnisse der Milieubildenden teilweise oder gänzlich unerfüllt bleiben bzw. das Selbstverständnis der Lebenswirklichkeit attackiert wird. Das gefährliche an diesen Milieukonflikten und Kämpfen ist dabei, dass sie sich, letztendlich auch abhängig davon, welche Möglichkeiten der Artikulation und welchen Einfluss eine Lebensmöglichkeit hat, aufladen und sich dann – scheinbar irrational – entladen können. Wie sonst wäre die Wahl eines Präsidenten Trump, der sich genau diese Mechanismen zu Nutze gemacht hat, möglich gewesen? Die Theorie des Milieukampfes behauptet dabei nicht, eine umfassende Erklärung für moderne gesellschaftliche Konflikte zu sein, könnte aber als ergänzendes Deutungs- und Einordnungsmuster dienlich sein sowie diskutiert werden.

Gesellschaftliche und individuelle Ebene

Damit jedoch wäre die Definition des kollektiven Individualismus noch nicht erklärt, denn die gesellschaftliche Ebene hat in diesem lediglich die Funktion der Hemmung der Vollendung des Individualisierungsprozesses, dessen Existenz unstrittig sein dürfte, und es ist daher von Nöten die Individualebene näher zu betrachten.

Diese individuelle Ebene wird, neben einer kontinuierlichen Entwicklung, ebenfalls mit der Dynamisierung durch den Zeitenwandel konfrontiert. Dabei sollen zwei einzelne Prozesse herausgegriffen werden: der Verhaltenskapitalismus und die Entstehung des Homo stimulus bzw. der modernen Reizgesellschaft. Beide bedingen sich gegenseitig und sind nicht voneinander zu trennen.

Verhaltenskapitalismus

Unter Verhaltenskapitalismus versteht man eine Spielart des Kapitalismus, in der menschliches Verhalten zum zentralen Faktor für die Produktion und Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen wird.[5]

Der Schlüssel zum Verständnis dieser neuen Form des Kapitalismus ist die Betrachtung von menschlichem Verhalten als nutzbaren Rohstoff. Aus diesem lassen sich, soweit er in ausreichendem Maße gewonnen werden kann, einerseits die Bedürfnisse der Menschen, aber auch Prognosen zum künftigen Agieren ableiten. Auf Basis dieses Rohstoffes können daher Produkte und Dienstleistungen erzeugt werden, die den Bedürfnissen bzw. dem künftigen Verhalten entsprechen. Daher wundert es kaum, mit welcher Geschwindigkeit große Technologiekonzerne, wie z. B. Amazon, Facebook oder Google, entstanden und begannen, Daten zu sammeln, Verhalten nach kapitalistischen Methoden zu nutzen und den Menschen Stück für Stück einzubetten. Algorithmen und Automation machten das möglich, wozu Menschen früherer Jahrzehnte gar nicht fähig gewesen wären und nur so konnte der Rohstoff zum Produktionsfaktor werden.

Trotzdem wäre es fatal, diesen Prozess als einseitig zu betrachten, denn am Ende will das Individuum diese Einbettung auch, denn es dient der Ermittlung und Erfüllung der eigenen Bedürfnisse und wird daher in der Regel von den Nutzern aktiv und passiv eingefordert. Es macht daher keinen Sinn, den Einbettungsprozess als Manipulationsmechanismus zu deuten, auch wenn er dafür missbraucht werden könnte.

Die Definition des kollektiven Individualismus besagt, dass das Individuum so eingebettet wird, dass die individuelle Selbstentfaltung innerhalb eines nicht oder kaum sichtbaren Rahmens stattfinden kann. Genau dieses Kriterium erfüllt der Verhaltenskapitalismus: Die Selbsterfüllung wird möglich, allerdings gelenkt von nicht-sichtbaren Algorithmen.

Zweifellos nimmt der Verhaltenskapitalismus daher eine wichtige Rolle in einem neuen Zeitalter ein und doch wäre die Betrachtung unvollständig, wenn nicht auch die moderne Reizgesellschaft und der Homo stimulus betrachtet werden würden, die diesen Erfolg erst ermöglicht haben.

Moderne Reizgesellschaft und Homo stimulus

Unter einer modernen Reizgesellschaft versteht man einen Zusammenschluss von Individuen, der in starker Frequenz beeinflussenden, in der Regel künstlich erzeugten Reizen ausgesetzt ist und sich diesen nur schwer oder nicht entziehen kann bzw. das zum Teil auch nicht möchte.

Unter einem Homo stimulus versteht man eine derartig konditionierte Person, die an eine permanente Konfrontation mit hochfrequentierten, kurzen sowie künstlichen Reizen gewöhnt ist und sich ihnen kaum oder nur teilweise entziehen kann oder will. Im Gegenteil werden bestimmte Reize oft selbst eingefordert oder ein entsprechender Reizdialog angestoßen.[6]

Was abstrakt klingt, lässt sich mit einem Blick auf die massiv steigenden Nutzungszahlen von Online-Portalen, die genau jene Reize bieten, verfestigen.[7]

Ohne diese jahrzehntelange Entwicklung und Konditionierung wäre der Erfolg des Verhaltenskapitalismus, der auf besagte Reize setzt, nicht denkbar gewesen.

Zusammenfassend ist der Homo stimulus, der Reizmensch, einer, der zur totalen Individualisierung drängt und doch wird dieser Trend im Moment noch durch die gesellschaftliche Entwicklung ausgebremst, da nicht alle Bedürfnisse in dieser neuen Welt befriedigt werden können. Hier kann von einer Identifikationsdissonanz gesprochen werden.

Moderne Identifikationsdissonanz

Die Theorie der modernen Identifikationsdissonanz, die voraussetzt, dass die Erosion der Lebenswirklichkeiten sich dynamisiert hat und die Möglichkeiten der Selbstentfaltung sich potenziert haben, besagt, dass es zunehmend Konflikte des Einzelnen bezüglich der eigenen Rolle als Teil eines Milieus und des persönlichen Individualisierungs- und Einbettungsprozesses geben kann und diese langfristig Einfluss auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und Strukturen nehmen werden. [8]

Vollständiger und unvollständiger kollektiver Individualismus

Aufgrund dieses Konfliktes wird der kollektive Individualismus auch in den vollständigen und in den unvollständigen kollektiven Individualismus unterteilt:[9]

Der vollständige kollektive Individualismus ist das Produkt eines totalen Individualisierungsprozesses, der nicht mehr durch Milieukämpfe sowie weitere Einschränkungen gehemmt wird. Er ist die Reinform, bzw. das Ideal des kollektiven Individualismus und dürfte im 21. Jahrhundert nicht mehr erreicht werden.

Der unvollständige kollektive Individualismus ist ein kollektiver Individualismus, bei dem der Individualisierungs- und Einbettungsprozess gehemmt oder verlangsamt, wird bzw. nicht vollständig abgeschlossen werden kann. Typische Faktoren dieser Hemmung wären z.B. Milieukämpfe oder die Identifikationsdissonanz. Es handelt sich daher um eine aktuelle Realitätsform. Der kollektive Individualismus des 21. Jahrhunderts wird ein unvollständiger sein.

Dieser Beitrag von Andreas Herteux wird in diversen nationalen und internationalen Medien erscheinen. Er ist unter der DOI 10.5281/zenodo.3901373 auch in den einschlägigen wissenschaftlichen Portalen abrufbar. International ist er unter "International Journal of Social Science & Economic Research: SOCIETY IN THE 21st CENTURY: THE THEORY OF THE AGE OF COLLECTIVE INDIVIDUALISM. Int. j. of Social Science and Economic Research, 5(6), 1466-1475, 09.07.2020 in englischer Sprache abrufbar.

Eine umfassendere Darstellung des Themenkomplexes findet sich unter der DOI 10.5281/zenodo.3932359, die Auszüge aus dem Werk "Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklungen im 21. Jahrhundert" vorstellt. Besagtes Werk ist am 01.08.2020 im Erich von Werner Verlag erschienen.

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Referenzen

Fußnoten

[1] Herteux, A. 2020, Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklungen im 21. Jahrhundert: Neue Erklärungsansätze zum Verständnis eines komplexen Zeitalters, Erich von Werner Verlag, 01.08.2020, ISBN 978-3948621162

[2] Herteux, Andreas, Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklungen im 21. Jahrhundert: Neue Erklärungsansätze zum Verständnis eines komplexen Zeitalters, Erich von Werner Verlag, 01.08.2020, ISBN 978-3948621162

[3] vgl. Barth, Betram und weitere – Praxis der Sinus-Milieus® – Gegenwart und Zukunft eines modernen Gesellschafts- und Zielgruppenmodells, Springer-Verlag“, 24.10.2017, 978-3-658-19335-5

[4] [4] Herteux, Andreas, Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklungen im 21. Jahrhundert: Neue Erklärungsansätze zum Verständnis eines komplexen Zeitalters, Erich von Werner Verlag, 01.08.2020, ISBN 978-3948621162

[5] Herteux, A. (2019) – Erste Grundlagen des Verhaltenskapitalismus: Bestandsaufnahme einer neuen Spielart des Kapitalismus, Auflage, Erich von Werner Verlag, 2019, ISBN 978-3981900651, DOI 10.5281/zenodo.3469587

Herteux, A. (2019). Behavioral Capitalism – A New Variety of Capitalism Gains Power and Influence. Journal of Applied Business and Eco-nomics, 21(9). https://doi.org/10.33423/jabe.v21i9.2688Herte

Herteux, Andreas – International Journal of Social Science and Economic Research (IJSSER): BEHAVIOURAL CAPITALISM AND SURVEILLANCE CAPITALISM – A COMPARISON OF TWO INTERPRETATIONS OF A DEVELOPMENT OF CAPITALISM, Volume 12/2019, Page 7253-7268, published 12/2019, ISSN: 2455-8834

[6] Herteux, A., Homo stimulus: Grundlagen menschlicher Anpassung und Weiterentwicklung im Zeitalter des kollektiven Individualismus,. Erich von Werner Verlag, 12. Februar 2020, ISBN-13: 978-3948621124, DOI 10.5281/zenodo.3666616

Herteux, A (2019) – International Journal of Social Science and Economic Research (IJSSER): THE HOMO STIMULUS: THE CREATION OF A NEW HUMAN BEING - SHAPED BY THE STIMULUS SOCIETY AND BEHAVIORAL CAPITALISM – IN THE AGE OF COLLECTIVE INDIVIDUALISM. Int. j. of Social Science and Economic Research, 5(1), 207-226. Retrieved from ijs-ser.org/more2020.php?id=14

[7] In der Minute erfolgte bereits 2017:

  • 3,8 Millionen Google-Suchanfragen
  • 000 Instagram-Foto-Uploads
  • 4,1 Millionen YouTube-Klicks
  • 000 Snapchat-Shares
  • 000 Tweets auf Twitter

[8] Herteux, Andreas, Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklungen im 21. Jahrhundert: Neue Erklärungsansätze zum Verständnis eines komplexen Zeitalters, Erich von Werner Verlag, 01.08.2020, ISBN 978-3948621162

[9] Herteux, Andreas, Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklungen im 21. Jahrhundert: Neue Erklärungsansätze zum Verständnis eines komplexen Zeitalters, Erich von Werner Verlag, 01.08.2020, ISBN 978-3948621162

Glossar

Dieses Glossar fasst die zentralen Begriffe der vorliegenden Monografie noch einmal zusammen. Gleichzeitig nimmt es Definitionen auf, die für das vorliegende Werk nur eine begrenzte Relevanz haben, für die weitere Diskussion und Vertiefung, im Sinne einer Gesamtschau gesellschaftlicher Entwicklungen, aber eine wichtige Rolle spielen können.

Homo stimulus

Unter einem Homo stimulus versteht man eine derartig konditionierte Person, die an eine permanente Konfrontation mit hochfrequentierten, kurzen sowie künstlichen Reizen gewöhnt ist und sich ihnen kaum oder nur teilweise entziehen kann oder will. Im Gegenteil werden bestimmte Reize oft selbst eingefordert oder ein entsprechender Reizdialog angestoßen.

Identifikationsdissonanz

Die Theorie der modernen Identifikationsdissonanz, die voraussetzt, dass die Erosion der Lebenswirklichkeiten sich dynamisiert hat und die Möglichkeiten der Selbstentfaltung sich potenziert haben, besagt, dass es zunehmend Konflikte des Einzelnen bezüglich der eigenen Rolle als Teil eines Milieus und des persönlichen Individualisierungs- und Einbettungsprozesses geben kann und diese langfristig Einfluss auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und Strukturen nehmen werden

Kollektiver Individualismus

Unter einem kollektiven Individualismus wird ein Individualismus verstanden, bei dem das Individuum so eingebettet wird, dass die individuelle Selbstentfaltung innerhalb eines nicht oder kaum sichtbaren Rahmens stattfinden kann. Der kollektive Individualismus ist zugleich die Bezeichnung einer Zeitperiode. Grundsätzlich sind zwei Varianten zu unterscheiden:

Vollständiger kollektiver Individualismus

Der vollständige kollektive Individualismus ist das Produkt eines totalen Individualisierungsprozesses, der nicht mehr durch Milieukämpfe sowie weitere Einschränkungen gehemmt wird. Er ist die Reinform, bzw. das Ideal des kollektiven Individualismus und dürfte im 21. Jahrhundert nicht mehr erreicht werden.

Unvollständiger kollektiver Individualismus

Der unvollständige kollektive Individualismus ist ein kollektiver Individualismus, bei dem der Individualisierungs- und Einbettungsprozess gehemmt oder verlangsamt, wird bzw. nicht vollständig abgeschlossen werden kann. Typische Faktoren dieser Hemmung wären z.B. Milieukämpfe oder die Identifikationsdissonanz. Es handelt sich daher um eine aktuelle Realitätsform. Der kollektive Individualismus des 21. Jahrhunderts wird ein unvollständiger sein.

Milieukampf

Milieukampf bedeutet, dass sich zwischen den Lebenswirklichkeiten (Milieus) einer Gesellschaft (oder mehrerer Gesellschaften) Konflikte ergeben, die aktiv oder passiv ausgetragen werden.

Milieukonflikt

Dem Milieukampf gehen stets Milieukonflikte voraus.

Milieukonflikte sind Konflikte, die dann begründet werden, wenn die Bedürfnisse der Milieubildenden teilweise oder gänzlich unerfüllt bleiben bzw. das Selbstverständnis der Lebenswirklichkeit attackiert wird.

Moderne Reizgesellschaft

Unter einer modernen Reizgesellschaft versteht man einen Zusammenschluss von Individuen, der in starker Frequenz beeinflussenden, in der Regel künstlich erzeugten Reizen ausgesetzt ist und sich diesen nur schwer oder nicht entziehen kann bzw. das zum Teil auch nicht möchte.

Verhaltenskapitalismus

Unter Verhaltenskapitalismus versteht man eine Spielart des Kapitalismus, in der menschliches Verhalten zum zentralen Faktor für die Produktion und Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen wird.

Wertekapitalismus

Der Wertekapitalismus [die Wertemarktwirtschaft] ist eine Wirtschaftsordnung, in der Werte zu einem Produktionsfaktor werden.

Zeitenwandel

Unter einem Zeitenwandel versteht man einen zeitlichen Abschnitt, in dem sich dessen einzelne Elemente auf eine solche Art und Weise dynamisch gegenseitig beeinflussen, dass diese eine Neuordnung der bisherigen (globalen) Machtverhältnisse bewirken können.

Diese Elemente sind:

Umgang mit dem technologischen Fortschritt (z. B. Digitalisierung, Verhaltenskapitalismus, Homo stimulus, Biotechnologie, KI, Optimierung des Menschen) Aufstieg neuer Konkurrenten auf den Weltmärkten (z. B. asiatische Staaten) Schwäche der westlichen Welt (z. B. durch Instabilität, schwindendes Vertrauen in bestehende Ordnungen, Verlust von Wettbewerbsfähigkeit oder durch den politischen Aufstieg Chinas) Veränderung der Umweltbedingungen (z. B. durch Klimawandel, Pandemien, Ressourcenausbeutung oder Umweltzerstörung) Fehlen von Perspektiven bei einem Teil der Menschheit (z. B. durch Überbevölkerung oder unbefriedigte Grund- und Sicherheitsbedürfnisse)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

EvW

Andreas Herteux ist der Leiter der Erich von Werner Gesellschaft, einer unabhängigen Einrichtung, die sich mit den Themen der Zeit beschäftigt.

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