Wertekapitalismus

Bändiger des Kapitalismus Die negativen Auswirkungen des Kapitalismus können zum Wohle aller umgeleitet werden. Dieses wird über die Implementierung von Werten als Produktionsfaktor möglich.

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  • Die negativen Auswirkungen des Kapitalismus können zum Wohle aller umgeleitet werden
  • Dieses wird über die Implementierung von Werten als Produktionsfaktor möglich
  • Es entsteht ein Wertekapitalismus [eine Wertemarktwirtschaft]
  • Dieser ist praktisch über einen Wertehüter umsetzbar

1. Einführung

Seit vielen Jahren gibt es mannigfaltige Überlegungen zur globalen ökonomischen Entwicklung. Geprägt wird diese von einem kapitalistischen Wirtschaftssystem, dessen Schwächen[1] vielfach unter Kritik steht, aber einerseits aufgrund seiner festen Verwurzlung[2] aber andererseits auch wegen seiner Erfolge,[3] alternativlos erscheint. Trotzdem erwächst aus der Saat des Kapitalismus auch manch unschöne Pflanze, die zudem zur wilden Wucherung neigt. Zweifellos versuchen manche Staaten dem entgegenzuwirken, wenn sie z.B. den klassischen Produktionskapitalismus mit Hilfe einer entsprechenden Gesetzgebung in übersichtlichere Bahnen lenken,[4] doch bereits beim Finanzkapitalismus, der in das Bewusstsein der Allgemeinheit erst wieder mit der Finanzkrise[5] drang, scheinen diese Mittel zu versagen und für den immer stärker werdenden Verhaltenskapitalismus[6] fehlt bislang jedes Rezept. In Gegensatz zu vielen Behauptungen geht der Kapitalismus – immer noch nicht - unter, sondern er verlagert sich[7] und neue Zweige entwachsen dem Hauptstamm,[8] die einen immer größeren Einfluss nehmen. Die Möglichkeiten der staatlichen oder institutionellen[9] Eingriffe scheinen daher entweder an eine Grenze gekommen zu sein oder die Anpassung an eine dynamische Zeit, die durch den Zeitenwandel getrieben wird,[10] erfolgt schlicht zu langsam, weil sie weitaus weniger aktiv agieren können als die Ökonomie.

Manch Kritiker mag nun, trotz der allgemeinen Erfahrungen mit sozialistischen Realumsetzungen, auf die Abschaffung des kapitalistischen Systems als Lösung pochen und doch ist dieses bei der vorhandenen Verankerung schlicht eine Illusion, die zwar in trauter und geselliger Salonrunde präsentiert, aber augenscheinlich niemals erfolgreich umgesetzt werden kann. Einerseits aus Mangel an realistischen Alternativen, andererseits, weil die breite Interessenlage derartiges niemals zulassen würde. Das bedeutet aber nicht, dass nicht pragmatische Reformen notwendig und möglich sind.[11] Der Weg die negativen Entwicklungen des Kapitalismus zu bekämpfen, ist daher nicht in wirklichkeitsfremden Utopien oder in der Hoffnung auf einen Nullpunkt zu sehen, sondern darin, die freie Marktwirtschaft mit ihren eigenen Mittel zu schlagen.

Warum nicht die Urgewalt und die Kraft des Kapitalismus, einem reißenden Strom gleich, umleiten? Warum nicht die vernichtende Flut, die alles mit sich nimmt, in ein segensreiches Wasser verwandeln, das für fruchtbare Böden sorgt? Um nichts weniger geht es bei der Idee des Wertekapitalismus. Eine Idee, die das freie Wirtschaften korrigieren, zügeln und zum Wohle aller Menschen umleiten möchte.

2. Grundgedanken

Dem Wertekapitalismus liegt die Idee zu Grunde, dass Werte im ökonomischen Leben eine solche Stellung einnehmen können, dass erfolgreiches Wirtschaften ohne sie deutlich erschwert wird. Oder einfacher ausgedrückt, sollen Werte zu einem unverzichtbaren Produktionsfaktor werden. [12] Das mag auf den ersten Blick wie eine Utopie klingen und doch sollen die Aussagen auf den kommenden Seiten präzisiert werden. Vorab sei angemerkt, dass der Wertekapitalismus sich in der Realität in verschiedenen Ausprägungen entwickeln könnte, die zudem situationsbedingt variieren müssen. Es handelt sich um eine pragmatische, anpassungsfähige Idee und nicht um ein ideologisches, starres Konstrukt, bei dem nur eine Reinform theoretisch funktionieren könnte.

Es ist an dieser Stelle auch zwischen einer grundsätzlichen und erweiterten Definition des Wertekapitalismus zu unterscheiden. Erste beschreibt die Anforderungen an eine wertbasierte Marktwirtschaft. Zweite die konkrete Ausprägung, d.h. es wird ein Weg beschrieben, wie in der aktuellen Situation mit den momentanen und künftigen Herausforderungen, ein solches Wirtschaftssystem installiert werden kann. Es bleibt aber fundamental für den Leser zu wissen, dass auch andere Realimplikationen denkbar wären.

3. Grundsätzliche Definition

Der Wertekapitalismus [die Wertemarktwirtschaft] ist ein Wirtschaftssystem, in dem Werte zu einem Produktionsfaktor werden.

Damit ergänzen Werte die volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren Arbeit, Boden, Kapital sowie Verhalten und stellen eine Grundlage für erfolgreiches Wirtschaften dar. Ohne diesen Produktionsfaktor wird die Gewinnmaximierung erschwert. Wichtig ist dabei zu verstehen, dass Werte in diesem Modell kein aufgedrängter Fremdfaktor sind, der im „normalen“ Rahmen des „natürlichen“ Kapitalismus keine Rolle spielen würde, sondern sie zum elementaren Teil des Produktionsprozesses werden:[13]

Werte - im Sinne des Wertekapitalismus - sind definierte Rechte, Standards und Pflichten im juristischen Sinne.

Es werden objektive, oft über Jahrzehnte herausgearbeitete Normen verwendet, die durch stetigen Diskurs gebildet und erweitert werden können.

Für Unternehmen rücken daher Standards in den Mittelpunkt wie z.B.:

  • Faire Entlohnung
  • Betriebliche Mitbestimmung
  • Positive Arbeitsbedingungen
  • Grundsätzliche Arbeitnehmerrechte
  • Umweltbewusstsein
  • Fürsorgepflichten für den Mitarbeiter
  • Transparenzpflichten

Staaten sollen durch den Wertekapitalismus beispielsweise zur Einhaltung folgender Werte und Verpflichtungen ermutigt werden:

  • Wahrung von Persönlichkeitsrechten, wie z.B.:
    • Recht auf Leben
    • Recht auf körperliche Unversehrtheit
    • Verbot der Folter
  • Garantie von Freiheitsrechten, wie z.B.:
  • Recht auf Freiheit
  • Recht auf Eigentum
  • Recht auf Sicherheit
  • Allgemeine Handlungsfreiheit
  • Keine staatlichen Eingriffe in die Privatsphäre
  • Meinungsfreiheit
  • Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
  • Reisefreiheit
  • Versammlungsfreiheit
  • Informationsfreiheit
  • Demokratische Teilhabe
  • Datenautonomie
  • Sicherstellung von justiziellen Rechten
  • Schutz der Natur und Lebensgrundlagen
  • Sicherstellung einer sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Infrastruktur

Die Liste ist nicht abschließend auch die Aufnahme anderer Standards wie z.B. Umweltschutz wären denkbar.[14] Jeder „Wert“ lässt sich daher klar bestimmen, nachverfolgen und juristisch als Vertragsklausel formulieren. Dieses ist auch die Grundvoraussetzung. Warum dieses relevant ist, soll in der Folge gezeigt werden.

4. Erweiterte Definition

Die erweiterte Definition des Wertekapitalismus, welche die grundsätzliche einschließt und gleichzeitig ihre Funktionen umreißt, ist folgendermaßen auszuführen:

  • Der Wertekapitalismus [die Wertemarktwirtschaft] ist ein Wirtschaftssystem, in dem Werte zu einem Produktionsfaktor werden.
  • Er ist eine Evolution und ein Korrektiv des kapitalistischen Systems und basiert auf Nutzenmaximierung durch wertbasiertes Handeln.
  • Er nutzt Marktmechanismen.
  • Ziel ist globaler Frieden, Freiheit und Wohlstand.
  • Er transformiert den Kapitalismus, in dem er Schlüsselindustrien der Zukunft demokratisiert und dann marktbasierend und wertgerecht, an die Marktlage anpasst.
  • Er übt keinen Zwang auf Marktteilnehmer aus, sondern leitet deren Wunsch nach Gewinn- und Nutzenmaximierung auf eine solche Art und Weise um, dass sich dem gewünschten Optimum dann am besten angenähert werden kann, wenn dieses wertebasierend und zum Wohle aller geschieht.

Diese Beschreibung mag auf den ersten Blick abstrakt klingen, soll aber in einer möglichen Umsetzungsform, die jedoch keine Absolutheit für sich beansprucht, deutlicher herauskristallisiert werden.

5. Praxisumsetzung

Die Einführung eines Wertekapitalismus ist auf verschiedene Art und Weisen denkbar. Eine pragmatische, an die Realitäten angepasste Variante soll an dieser Stelle vorgestellt werden. Sie könnte den Kapitalismus zügeln und in neue Bahnen lenken, ist aber nur eine Möglichkeit (Korrektivfunktion). Hierfür ist es einerseits von Nöten einen Wertefonds (Wertehüter),[15] durch freiheitlich-demokratisch-geordnete Staaten,[16] aufzustellen, andererseits mit diesem zentrale technologisch Felder, zu besetzen, d.h. in diese zu investieren[17] und die Konsequenzen der neuen Marktmacht auf alle weiteren Bereiche des ökonomischen Lebens ausstrahlen zu lassen (Brandfunktion). Was aber ist der Wertehüter?

Der Wertefonds (Wertehüter) ist eine demokratisch-legitimierte, im Eigentum der Staatsbürger stehende, politisch unabhängige, Einrichtung, die einerseits versucht eine dominante Rolle auf dem Feld der technologischen Schlüsselindustrien einzunehmen und andererseits anstrebt, über vertragliche Konstrukte, Werte - im Sinne des Wertekapitalismus - zu implementieren.

Der Wertehüter ist zugleich ein regulärer Marktteilnehmer und unterliegt den Gesetzen des Marktes.

Die zu besetzenden Felder sind:[18]

  • Moderne Informationstechnologie
  • Robotik und CNC-Maschinen
  • Luft- und Raumfahrtsysteme
  • Meerestechniksysteme und Hightech-Schiffe
  • Fortschrittliche Schienenverkehrssysteme
  • Energiesparende Autos und Autos mit alternativer Antriebstechnik
  • Energiesysteme
  • Landwirtschaftliche Maschinen
  • Neue Materialien
  • Biomedizin und Medizingeräte

Der Wertehüter, kapitalisiert durch die freiheitlich-demokratisch orientierten Teilnahmestaaten, versucht auf diesen Märkten nun starke Anteile zu gewinnen und ist auf dem Markt tätig (Marktfunktion).[19] Dementsprechend investiert der Fonds, der wie eine Aktiengesellschaft organsiert ist, wobei die Mitgliedstaaten die nicht-handelbaren Anteile halten und der Aufsichtsrat demokratisch legitimiert wird,[20] zielgerichtet in entsprechende Ressourcen (Investitionsfunktion).[21] Die so entstehenden technologischen Forschungs- und Entwicklungsprodukte[22] offeriert er als Lizenzen (Lizenzierungsfunktion).[23] Über diese Verträge werden Werte als Produktionsfaktor implementiert (Implementierungsfunktion), denn ohne die Akzeptanz der entsprechenden Vertragsklausel, ist eine Lizenzierung nicht möglich. Unternehmen oder auch Staaten werden daher die Werteklauseln aus Eigennutz akzeptieren, da ansonsten die Gewinnmaximierung gefährdet wäre.

Der Wertehüter zwingt daher keinem Staat oder Unternehmen etwas auf, sondern bietet neue Gelegenheiten zur Gewinnmaximierung. Es handelt sich daher um ein Anreizsystem, das durch die Schaffung eines neuen Produktionsfaktors den Kapitalismus in großen Teilen zügelt.

Die lizenzierenden Unternehmen sind normal am Markt tätig und unterliegen, wie auch der Wertefonds selbst, dem Wettbewerb. Durch den Rückgriff auf moderne Technologien und Lizenzen haben sie einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Werteverweigerern. Allerdings ist es tendenziell unwahrscheinlich, dass es derartige dauerhaft geben wird; die Unternehme werden sich weiter egoistisch, also wirtschaftlich verhalten und einen maximalen Nutzen für sich herbeiführen wollen. Nun haben sich die Erfolgsfaktoren verändert, denn jetzt ist Profitmaximierung am leichtesten durch das Einhalten von Werten (z.B. Arbeitsbedingungen, Löhne, Mitbestimmung) erreichbar.

Werte werden zu damit zu einem Produktionsfaktor wie Arbeit, Boden, Kapital und Verhalten. Daher werden sich Unternehmen freiwillig anpassen. Nicht aus moralischen Gründen, sondern aus Berechnung. Die Gier schafft damit das Gute. Nicht aus Überzeugung handeln sie, sondern aus Eigennutz. Die Kräfte des Marktes werden so in eine positive Richtung gelenkt. Die unsichtbare Hand der Erziehung wirkt, ohne jeden Zwang und ohne jede Reglementierung.

Analog sind die Nationen zu sehen, denn es gibt nun einen echten Anreiz, massive Reformen in Richtung einer freiheitlich-demokratischen Ordnung anzustreben (Demokratisierungsfunktion), denn sonst sind Embargos für bestimmte Technologiepatente denkbar.[24]

Mit diesem Geschäft nimmt der Wertehüter wiederum Mittel ein, die er einerseits reinvestiert und andererseits an die Geberländer ausschüttet (Finanzierungsfunktion). Die akkumulierten Gewinne dienen nun der Allgemeinheit und eröffnen mannigfaltige Möglichkeiten der Finanzierung des Staatswesens. Viele Elemente, die bislang an der Finanzierung scheitern, werden nun möglich.[25]

Der Wertehüter ist dabei zur maximalen Transparenz verpflichtet und demokratisch legitimiert (Transparenzfunktion- und Mitbestimmungsfunktion).

Was das Ganze die Menschen kosten wird? Nichts, denn der praktische Wertekapitalismus orientiert sich an Staaten und Unternehmen (Laissez-faire-Funktion). Er tastet weder die Kultur noch Identität an, kennt keinen Zwang, verlangt keine Abschaffung von Nationen oder nimmt Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung. Er setzt, im Gegensatz zu anderen Ideen, schlicht nicht am Menschen an.[26]

Das also sei die Grundidee. Im besten Fall haben wir daher eine blühende und bessere Erde, in der Wohlstand, Freiheit und Frieden herrschen. Im schlechtesten Fall entsteht ein Gegengewicht zur künftigen Macht autoritärer Systeme, die diesem ebenbürtig gegenübertritt. Die Macht über die Technologie wird aus den Händen der Unternehmen und Autokratien genommen und in die des Volkes gelegt (Schutzfunktion). Sie wird demokratisiert, der Kapitalismus gezügelt.

6. Fazit

Die Transformation des Kapitalismus mit Hilfe des Produktionsfaktors Werte zu einer Wertemarktwirtschaft könnte dringende Probleme des ökonomischen Systems lösen und darüber hinaus zu Freiheit, Wohlstand und Frieden beitragen. Die praktische Umsetzung über einen Wertehüter lässt sich dabei diskutieren.

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[1] Beispielsweise die Akkumulation von Kapital und Macht oder das Mitwirken am Entstehen von Ungleichheit.

[2] Diese Verwurzelung wird von gelegentlich von Kritikern des Kapitalismus ignoriert und stattdessen suggeriert, dass ein – wie auch immer propagierter - Versuch der „Abschaffung“ an einer kleinen Minderheit scheitern würde. Tatsächlich ist die Verankerung aber weitaus tiefgehender als häufig behauptet, würde auf massiven Widerstand treffen und findet auch keine Mehrheiten, was sich einerseits konkret in Wahlergebnissen, die am deutlichsten den Volkswillen abbilden, aber andererseits auch in Umfragen zeigt:

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/70793/umfrage/meinung-zum-kapitalismus-in-ausgewaehlten-laendern/

Das wiederum bedeutet aber nicht, wie auch die verlinkte Umfrage zeigt, dass keine Reformbereitschaft vorhanden wäre.

[3] Beispielsweise führten die marktwirtschaftlichen Reformen in China ab Ende der 70er Jahre zu einem massiven Rückgang der Armut. Ende des Jahres 2020 wurden die letzten Bezirke von der nationalen Armutsliste gestrichen. Zwar ist mit Meldungen der nationalen Nachrichtenagentur Xinhua vorsichtig umzugehen, allerdings ist die wirtschaftliche Entwicklung des Landes trotz allem unübersehbar.

Quelle: http://www.xinhuanet.com/english/2020-11/24/c_139538338.htm

[4] Typische Produkte solcher Eingriffe wären z.B. die soziale Marktwirtschaft, der Sozialstaat an sich, aber auch der „Nachtwächterstaat“ ist bereits ein notwendiger Akt staatlichen Handels.

[5] Gemeint ist die Banken- und Finanzkrise als Teil der Weltwirtschaftskrise ab dem Jahr 2007 und deren Folgen. Im Grunde genommen sind Ursachen und Folgen bislang nicht behoben, auch, wenn der mediale Fokus der Thematik den Rücken gekehrt hat.

[6] Unter Verhaltenskapitalismus versteht man eine Spielart des Kapitalismus, in der menschliches Verhalten zum zentralen Faktor für die Produktion und Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen wird.

Definition nach:

Herteux, Andreas. (2020). Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklungen im 21. Jahrhundert - Neue Erklärungsansätze zum Verständnis eines komplexen Zeitalters, Erich von Werner Verlag, Karbach, 4. Auflage, DOI 10.5281/zenodo.3932355, ISBN 978-3-948621-16-2

An dieser Stelle soll auch der Hinweis erfolgen, dass der Verhaltenskapitalismus während der Corona-Pandemie noch einmal deutlich an Macht gewonnen hat, d.h. große Verhaltenskapitalisten sind direkte Profiteure der Krise. Dafür ist Covid-19 allerdings nicht ursächlich, aber definitiv Brandbeschleuniger.

[7] Ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit in Europa, wie sie für die nächsten Jahre zu erwarten ist, ist kein Versagen des Kapitalismus, sondern schlicht eine schleichende Niederlage im marktwirtschaftlichen Wettbewerb, denn parallel ist eine positive Entwicklung im asiatischen, im Besondern in China, bereits absehbar. Die künftige Rangliste der Weltregionen wird daher auch China, USA und Indien/EU lauten.

[8] Ein Beispiel wäre der hier bereits genannte Verhaltenskapitalismus vgl. auch

Herteux, Andreas (2019), Erste Grundlagen des Verhaltenskapitalismus: Bestandsaufnahme einer neuen Spielart des Kapitalismus, Andreas Herteux, Erich von Werner Verlag, 11. Auflage, DOI 10.5281/zenodo.3469586, ISBN 9783981900651

[9] Z.B. durch die Zentralbanken oder Einrichtungen wie die Europäische Union.

[10] Unter einem Zeitenwandel versteht man einen zeitlichen Abschnitt, in dem sich dessen einzelne Elemente auf eine solche Art und Weise dynamisch gegen-seitig beeinflussen, dass diese eine Neuordnung der bisherigen (globalen) Machtverhältnisse bewirken können.

Diese Elemente sind:

  • Umgang mit dem technologischen Fortschritt (z. B. Digitalisierung, Verhaltenskapitalismus, Homo stimulus, Biotechnologie, KI, Optimierung des Menschen),
  • Aufstieg neuer Konkurrenten auf den Welt-märkten (z. B. asiatische Staaten),
  • Schwäche der westlichen Welt (z. B. durch Instabilität, schwindendes Vertrauen in bestehende Ordnungen, Verlust von Wettbewerbsfähigkeit oder durch den politischen Aufstieg Chinas),
  • Veränderung der Umweltbedingungen (z. B. durch Klimawandel, Pandemien, Ressourcenausbeutung oder Umweltzerstörung),
  • Fehlen von Perspektiven bei einem Teil der Menschheit (z. B. durch Überbevölkerung oder unbefriedigte Grund- und Sicherheitsbedürfnisse).

[11] Gerade in schwierigen, durch den Zeitenwandel geprägten, Zeiten, die von Krise zu Krise taumeln, dürfte das Bewusstsein und die Aufnahmebereitschaft für Gedanken der Veränderungen, besonders hoch sein.

[12] Grob: Ein Produktionsfaktor ist ein Element, das für die Produktion von materiellen oder immateriellen Gütern erforderlich ist.

[13] Es liegt daher kein staatlicher oder sonstiger externer Eingriff vor, sondern Werte werden ein Teil der DNA des Kapitalismus.

[14] Relevant bleibt allerdings die „Messbarkeit“. Werte des Zeitgeistes oder Modetrends sind das nicht. Der Wertekapitalismus ist für deren Durchsetzung die völlig falsche Ebene, denn er ist kein Mittel des Milieukampfs, oder des Ungefähren, sondern des Konkreten.

[15] Als Beispiel eines solches Fonds sei auf den norwegischen Staatsfonds verwiesen.

[16] Die freiheitlich-demokratische Ordnung ist eine Grundvoraussetzung für die Beteiligung. Wie könnte der Wertekapitalismus auch glaubwürdig Werte implementieren wollen, wenn die beteiligten Staaten an dieser Stelle Defizite aufweisen?

[17] Hier wäre ein kleiner Prozentsatz im einstelligen Bereich des BSP denkbar.

[18] Aufmerksame Beobachter werden hier eine – wenig erstaunliche – Parallele zu „Made in China 2025“ oder den Strategien der großen Technologiekonzernen sehen. Welche Felder sollten auch sonst besetzt werden, um einen entsprechenden Einfluss ausüben zu können?

[19] Dabei agiert er im Kern nicht anders als ein großer Technologiekonzern. Hier sei beispielsweise an Alphabet Inc. erinnert werden, die der Allgemeinheit wohl eher als Google bekannt ist. Google selbst wurde erst 1997 gegründet, nimmt aber inzwischen in den westlichen Ländern fast eine marktbeherrschende Stellung ein. Wenn dieses einem privaten Unternehmen „aus dem Nichts“ in kürzester Zeit gelingen kann, wie viel schneller, größer und stärker wäre wohl ein unabhängige sowie demokratisch legitimierte Einrichtung, die von den Staaten um ein Vielfaches kapitalisiert werden würde?

[20] Der Wertehüter ist demokratisch legitimiert, aber keine staatliche Einrichtung. Selbst die Aufsichtsratsmitglieder werden im Idealfall nicht von den Mitgliedstaaten bestimmt, sondern von den Völkern gewählt. Der Vorstand des Fonds agiert daher unternehmerisch und unabhängig. Der Wertehüter ist vom Grundverständnis ein dynamischer Konzern, agiert als solche und braucht im strategischen und operativen Bereich ein Maximum an Fachkompetenz, die er sich über den Markt verschafft.

[21] Der Wertehüter agiert hier wie ein Unternehmen und strebt darüber hinaus starke Kooperation mit staatlichen Einrichtungen wie z.B. Universitäten an.

[22] Unter dem Begriff werden Technologien auf den genannten Feldern zusammengefasst. Die konkrete Produktentwicklung sei dann aber dem Markt überlassen.

[23] Letztendlich ein Geschäftsgebaren, wie es allgemein üblich ist. Lediglich der Lizenzgeber ist nun ein anderer.

[24] Derartige Staaten sollen selbstverständlich langfristig an einen Zustand herangeführt werden, um selbst Anteilnehmer des Wertehüters zu werden. Sie aufzugeben, würde bedeuten, den Einfluss autoritärer Staaten zu stärken. Der Wertekapitalismus ist aber kein ideologisches, sondern ein pragmatisches Konzept und daher wird es, je nach Entwicklungsstand, mannigfaltige Programme geben, um den jeweiligen Staat schrittweise heranzuführen.

[25] Hier ist praktisch alles von Umweltschutzthemen, bis zur Sicherung des Sozialsystems aufführbar. Der Sozialstaat wäre damit nicht nur gerettet, sondern lässt sich sogar erweitern. Die Mittelverwendung ist aber nicht Sache des Wertehüters, sondern der Staaten. Faktisch findet die Akkumulation des Kapitals damit teilweise in den Kassen der Allgemeinheit und nicht mehr im privaten Bereich statt. Das grundsätzliche kapitalistische Prinzip ändert sich nicht, aber muss es das, wenn es dementsprechend umgeleitet wurde?

[26] Eine Aussage, die mit dieser Anmerkung noch mehrfach unterstrichen werden soll: Der Mensch ist im Wertekapitalismus kein Erziehungs- oder gar Manipulationsobjekt. Er setzt vielmehr bei den Marktkräften an.

Literaturverzeichnis

  • Herteux, Andreas. (2020). Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklungen im 21. Jahrhundert - Neue Erklärungsansätze zum Verständnis eines komplexen Zeitalters, Erich von Werner Verlag, Karbach, 4. Auflage, DOI 10.5281/zenodo.3932355, ISBN 978-3-948621-16-2
  • Herteux, Andreas (2019), Erste Grundlagen des Verhaltenskapitalismus: Bestandsaufnahme einer neuen Spielart des Kapitalismus, Erich von Werner Verlag, 11. Auflage, DOI 10.5281/zenodo.3469586, ISBN 9783981900651

Diese Beitrag von Andreas Herteux, dem Leiter der Erich von Werner Gesellschaft, wurde zuerst auf dem von der Europäischen Kommission finanzierten Wissenschaftsserver Zenodo (Herteux. (2021, April 11). Wertekapitalismus - Ein Konzept zur Weiterentwicklung des globalen ökonomischen Systems (Version 1.0). Zenodo. http://doi.org/10.5281/zenodo.4679784) veröffentlicht.

Glossar

Homo stimulus

Unter einem Homo stimulus versteht man eine derartig konditionierte Person, die an eine permanente Konfrontation mit hochfrequentierten, kurzen sowie künstlichen Reizen gewöhnt ist und sich ihnen kaum oder nur teilweise entziehen kann oder will. Im Gegenteil werden bestimmte Reize oft selbst eingefordert oder ein entsprechender Reizdialog angestoßen.

Identifikationsdissonanz

Die Theorie der modernen Identifikationsdissonanz, die voraussetzt, dass die Erosion der Lebenswirklichkeiten sich dynamisiert hat und die Möglichkeiten der Selbstentfaltung sich potenziert haben, besagt, dass es zunehmend Konflikte des Einzelnen bezüglich der eigenen Rolle als Teil eines Milieus und des persönlichen Individualisierungs- und Einbettungsprozesses geben kann und diese langfristig Einfluss auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und Strukturen nehmen werden.

Kollektiver Individualismus

Unter einem kollektiven Individualismus wird ein Individualismus verstanden, bei dem das Individuum so eingebettet wird, dass die individuelle Selbstentfaltung innerhalb eines nicht oder kaum sichtbaren Rahmens stattfinden kann. Der kollektive Individualismus ist zugleich die Bezeichnung einer Zeitperiode. Grundsätzlich sind zwei Varianten zu unterscheiden:

Vollständiger kollektiver Individualismus

Der vollständige kollektive Individualismus ist das Produkt eines totalen Individualisierungsprozesses, der nicht mehr durch Milieukämpfe sowie weitere Einschränkungen gehemmt wird. Er ist die Reinform bzw. das Ideal des kollektiven Individualismus und dürfte im 21. Jahrhundert nicht mehr erreicht werden.

Unvollständiger kollektiver Individualismus

Der unvollständige kollektive Individualismus ist ein kollektiver Individualismus, bei dem der Individualisierungs- und Einbettungsprozess gehemmt oder verlangsamt wird bzw. nicht vollständig abgeschlossen werden kann. Typische Faktoren dieser Hemmung wären z. B. Milieukämpfe oder die Identifikationsdissonanz. Es handelt sich daher um eine aktuelle Realitätsform. Der kollektive Individualismus des 21. Jahrhunderts wird ein unvollständiger sein.

Milieukampf

Milieukampf bedeutet, dass sich zwischen den Lebenswirklichkeiten (Milieus) einer Gesellschaft (oder mehrerer Gesellschaften) Konflikte ergeben, die aktiv oder passiv ausgetragen werden.

Milieukonflikt

Dem Milieukampf gehen stets Milieukonflikte voraus.

Milieukonflikte sind Konflikte, die dann begründet werden, wenn die Bedürfnisse der Milieubildenden teilweise oder gänzlich unerfüllt bleiben bzw. das Selbstverständnis der Lebenswirklichkeit attackiert wird.

Moderne Reizgesellschaft

Unter einer modernen Reizgesellschaft versteht man einen Zusammenschluss von Individuen, der in starker Frequenz beeinflussenden, in der Regel künstlich erzeugten Reizen ausgesetzt ist und sich diesen nur schwer oder nicht entziehen kann bzw. das zum Teil auch nicht möchte.

Verhaltenskapitalismus

Unter Verhaltenskapitalismus versteht man eine Spielart des Kapitalismus, in der menschliches Verhalten zum zentralen Faktor für die Produktion und Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen wird.

Wertehüter

Der Wertefonds (Wertehüter) ist eine demokratisch-legitimierte, im Eigentum der Staatsbürger stehende, politisch unabhängige, Einrichtung, die einerseits versucht eine dominante Rolle auf dem Feld der technologischen Schlüsselindustrien einzunehmen und andererseits anstrebt, über vertragliche Konstrukte Werte - im Sinne des Wertekapitalismus - zu implementieren.

Seine Funktionen sind:

Korrektivfunktion

Der Wertekapitalismus ist ein Korrektiv des Kapitalismus.

Brandfunktion

Der Wertekapitalismus besetzt bestimmte technologische Schlüsselfelder, über die er den Kapitalismus beeinflusst.

Implementierungsfunktion

Der Wertekapitalismus macht Werte zu einem volkswirtschaftlichen Produktionsfaktor.

Marktfunktion

Der Wertekapitalismus etabliert einen Wertehüter, der am Markt aktiv wird.

Lizenzierungsfunktion

Der Wertehüter vergibt Lizenzen und nutzt die Vertragsgestaltung zur Implementierung von Werten.

Investitionsfunktion

Die Geberlänger investieren einerseits in den Wertehüter. Dieser investiert wiederum in die Schlüsselindustrien.

Finanzierungsfunktion

Der Wertehüter finanziert mittel- und langfristig die Geberstaaten.

Mitbestimmungsfunktion

Der Wertefonds wird demokratisch durch die Staatsbürger legitimiert.

Schutzfunktion

Der Wertekapitalismus ist ein Bollwerk und Schutzschild gegen anti-demokratische und anti-freiheitliche Bestrebungen. Er schützt zudem die Technologie an sich vor der Monopolisierung durch einzelne Unternehmen oder Staaten.

Transparenzfunktion

Der Wertehüter ist eine demokratisch-legitimierte Einrichtung die zu besonderer Transparenz verpflichtet ist.

Laissez-faire-Funktion

Der Wertekapitalismus lässt dem Individuum seine freie Entfaltung und unterlässt jegliche Beeinflussungs- oder Erziehungsversuche.

Demokratisierungsfunktion

Der Wertekapitalismus strebt die Förderung, Errichtung und Verbreitung von freiheitlich-demokratischen Ordnungen an und ist so konzipiert, dieses auch

Identifikationsfunktion

Der Wertehüter ist ein treuer Freund des Staatsbürgers und bietet ein hohes Identifikationspotential, denn er ist unbestechlich, stark und stets auf der Seite des Rechtes.

Wertekapitalismus

Der Wertekapitalismus [die Wertemarktwirtschaft] ist ein Wirtschaftssystem, in dem Werte zu einem Produktionsfaktor werden.

Praktischer Wertekapitalismus (erweiterte Definition)Der Wertekapitalismus [die Wertemarktwirtschaft] ist eine Evolution und ein Korrektiv des kapitalistischen Systems und basiert auf Nutzenmaximierung durch wertbasiertes Handeln.Er nutzt Marktmechanismen.Ziel ist globaler Frieden, Freiheit und Wohlstand. Er transformiert den Kapitalismus, in dem er Schlüsselindustrien der Zukunft demokratisiert und dann marktbasierend und wertgerecht an die Marktlage anpasst.Er übt keinen Zwang auf Marktteilnehmer aus, sondern leitet deren Wunsch nach Gewinn- und Nutzenmaximierung auf eine solche Art und Weise um, dass sich dem gewünschten Optimum dann am besten angenähert werden kann, wenn dieses wertebasierend und zum Wohle aller geschieht.

Zeitenwandel

Unter einem Zeitenwandel versteht man einen zeitlichen Abschnitt, in dem sich dessen einzelne Elemente auf eine solche Art und Weise dynamisch gegenseitig beeinflussen, dass diese eine Neuordnung der bisherigen (globalen) Machtverhältnisse bewirken können.

Diese Elemente sind:

Umgang mit dem technologischen Fortschritt (z. B. Digitalisierung, Verhaltenskapitalismus, Homo stimulus, Biotechnologie, KI, Optimierung des Menschen), Aufstieg neuer Konkurrenten auf den Weltmärkten (z. B. asiatische Staaten), Schwäche der westlichen Welt (z. B. durch Instabilität, schwindendes Vertrauen in bestehende Ordnungen, Verlust von Wettbewerbsfähigkeit oder durch den politischen Aufstieg Chinas), Veränderung der Umweltbedingungen (z. B. durch Klimawandel, Pandemien, Ressourcenausbeutung oder Umweltzerstörung), Fehlen von Perspektiven bei einem Teil der Menschheit (z. B. durch Überbevölkerung oder unbefriedigte Grund- und Sicherheitsbedürfnisse).

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Geschrieben von

EvW

Andreas Herteux ist der Leiter der Erich von Werner Gesellschaft, einer unabhängigen Einrichtung, die sich mit den Themen der Zeit beschäftigt.

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