Stefan Raab verlässt das Fernsehen. Das klingt nicht nur wie die Beendigung einer Partnerschaft, sondern ist es auch. „Mit Stefan Raab geht eine TV-Ära zu Ende“ sagte ProSieben-Senderchef Wolfgang Link. Während Ersteres eher eine symptomatische Beobachtung ist, behält er mit dem Letzteren womöglich recht: eine TV-Ära geht zu Ende.
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Doch was zeichnet diese TV-Ära eigentlich aus?
Von Beginn an produzierte das Fernsehen Glamour für den häuslichen Alltag. Es brachte Schein in das alltägliche Dasein und wurde zum Fenster in eine Welt, in der alles möglich zu sein schien. In der es Stars gab, die man bewundern und beneiden konnte. Das alles aus einer gewissen Distanz, ungesehen und unbewusst.
Als das Fernsehen in den 1930er Jahren in Serie ging - damals kostete ein Gerät etwa 3000 Reichsmark und war sehr klein - sollte es ein Medium der Erheiterung und Unterhaltung sein. „Wir senden Frohsinn - Wir spenden Freude“ nannte sich die erste wöchentlich ausgestrahlte Sendung 1941. Eine Live-Sendung, die aus dem Kuppelsaal des Berliner Reichsportfeldes übertragen wurde.
Nach dem zweiten Weltkrieg veranlasst die Amerikanische Militärregierung die Errichtung dezentraler Rundfunkorganisationen, 1950 wird die ARD gegründet und bereits 1953 stellte Werner Pleister fest: „Deutschland wird Fernsehland.“
Das Fernsehen ermöglichte es, überall dabei zu sein: bei den Olympischen Spielen, dem amerikanischen Apollo-11-Unternehmen oder bei „Wetten, dass…“ und der „Wok-WM“. Als das Internet noch nicht in alle Haushalte eingezogen war, hatte man insbesondere das Live-Prinzip als genuin ästhetisches Merkmal des Fernsehens angesehen. Schon in den 50er Jahren schilderte der Publizist Gerhard Eckart die dem Live-Prinzip zugrunde liegende mediale Unabhängigkeit von Rundfunk und Film. Bis in die Gegenwart wuchs die Bedeutung von aufgezeichneten Fernsehsendungen zusehend an. Und doch: die Live-Sendung war immer etwas Besonderes. Denn nur die Live-Sendung konnte „magische Momente“ erzeugen. Die im Grunde nur deshalb magisch waren, weil sie ein authentisches Gefühl der Teilhabe an dem Glamour der Fernsehwelt oder einem bedeutenden Ereignis produzierten. Doch die Magie wurde auch dadurch erzeugt, dass die Live-Sendung in ihrem Wesen ein dem Kunstwerk ähnliches Original war. Denn sie waren nicht deshalb auratisch, weil sie Authentizität ausstrahlten, sondern aufwendige Inszenierungen präsentierten.
Seit seiner Entstehung steht das Fernsehen unter kulturpessimistischer Kritik: anfänglich von Theodor W. Adorno, Gunther Anders und Hans Magnus Enzensberger. In den 90ern spitzte Neil Postman die Kritik zu und formulierte seine äußerst publikumswirksame These „Wir amüsieren uns zu Tode“. Viele dieser Kritiken liefen auf die Formel „Fernsehen verblödet“ hinaus und verdichteten sich zeitgleich zu der Vorstellung, es handle sich dabei sogar um ein abgekartetes Spiel seitens der Politik oder der Wirtschaft.
Als Marcel Reich-Ranicki den deutschen Fernsehpreis 2008 ablehnte, konnte man dies als kulturpessimistische Überreaktion interpretieren, oder ihm einfach beipflichten. Doch aus heutiger Sicht, in der das Internet ein nahezu natürlicher - weil unabwendbarer - Lebensraum sowohl für Kulturpessimisten als auch für Kulturoptimisten ist, rückt das Fernsehen in ein merkwürdiges Licht. Was kann der Fernseher noch, angesichts seiner medialen Konkurrenten: Computer, Tablet und Co.?
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Das Prinzip Live hält gegenwärtig auch im Digitalen Einzug. Besonders deutlich wird dies an der neuen App „Periscope“, die gerade einen Durchbruch erlebt. Mit Periscope kann man Live-Sendungen sehen und abonnieren. Nur entstehen diese nicht in einem Studio. Sie sind auch nicht initiiert von einer Sendefirma oder Fernsehanstalt. Periscope zeigt Videos von privaten Personen, Fremden oder Freunden. Sie sind Kommunikationsmedium eines sozialen Netzwerkes, vergleichbar mit Twitter. Nur das bei Twitter meistens Worte versendet werden.
„Die Ereignisse kommen zu uns, nicht wir zu ihnen“ schrieb Gunther Anders 1956 über das Fernsehen. Heute kommen wir zu den Ereignissen, suchen sie regelrecht, um etwas zu finden, über das sich live auf Twitter oder Periscope berichten lässt. Tatort wird vor allem deshalb angesehen, weil in den Social Media darüber gesprochen wird und man mitreden, mitdiskutieren möchte.
Gegenwärtig ist der Kulturpessimismus fad geworden. Wir leben nicht mehr in einer Zeit allgemeiner Resignation, die sich in dem passiven (Fernseh-)Konsum spiegelt. Aber auch nicht mehr in einer Zeit, in der man den Ernst des Lebens auf die Schippe nimmt. Wir wollen keinen Spaß mehr, in den man höchstens Ernst hineininterpretieren kann. Wir wollen keinen Stefan Raab mehr, auch wenn wir ihn vor wenigen Jahren noch liebten. Denn wir haben das Gefühl, dass der Ernst nicht mehr weggelacht werden kann.
Natürlich ist es auch kein biederer Ernst, der da in unsere neuen Befindlichkeiten Einzug hält, sondern einer mit humorvollen Unterton. So, wie bei dem YouTube-Star LeFloid. Er begeistert, weil er gesellschaftliche und politische Ereignisse wieder ernst nimmt und in eigentümlicher Weise performativ umsetzt. LeFloid kommt uns authentischer vor als jede Live-Sendung im Fernsehen, auch wenn er das nicht ist.
Obwohl Stefan Raab sehr klassische Fernsehfomate für sich adaptierte, man denke an die vielen Live-Shows, hat er doch auch immer versucht, durch neue Formate das Fernsehen lebendig zu halten und es mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Denn nichts hat er so gerne vorgeführt, wie das Fernsehen selbst. Ein Fernsehen, das immer öfter die besten TV-Momente ausstrahlt, weil ihm nichts mehr einfällt, oder weil es um sein Schicksal weiß.
Vor fünf Jahren hat Bill Gates prophezeit, dass in fünf Jahren das Fernsehen tot sein wird und wir darüber lachen werden. Das ist heute. Das Fernsehen ist zwar noch nicht ganz tot, aber vielleicht geht es mit seinen Akteuren. Thomas Gottschalk, Günther Jauch und Stefan Raab haben bereits den ersten Schritt gemacht.
Kommentare 10
Interessante Abhandlung über das antizipierte Ende des Fernsehens.
Allerdings sehe ich es nicht wirklich kommen, dass das TV überholt ist, es hat seinen festen Platz, ergänzt durch die Optionen des Internets.
Dass Stefan Raab nun seinen Abschied bekannt gegeben hat, sehe ich eher als persönliche Entscheidung, vielleicht sogar sehr klug, sich nicht über Gebühr zu verheizen oder verheizen zu lassen.
Eine Ära geht zu Ende? Ach, ich glaube, es fangen täglich neue Ären an und an Nachwuchs mangelt es eigentlich auch nicht - im TV-Betrieb.
Gerade wollte ich einen neuen großen Flachbildfernseher kaufen. Vielleicht lohnt sich das nicht mehr. :-)
Ich frage mich aber, ob es nicht doch ein Bedürfnis nach Ritualen gibt, eine Art von Fernsehgemeinde jenseits der face-book-Debatten.
Außerdem - man kann durchaus konventionell Fernsehen gucken ohne ein einziges mal Stefan Raab zu begegnen.
Das Bedürfnis nach Ritualen existiert, da gebe ich Ihnen recht. Aber sie können - seien sie auch noch so fest integriert - Verschiebungen erfahren. Ich sehe das sogar schon in der Generation meiner Eltern: dass man sich zwar noch um den Fernseher gruppiert - aus alter Gewohnheit sozusagen - aber bereits ein Tablet oder einen Laptop auf dem Schoß liegen hat, mit dem man nebenbei andere Dinge macht: chatten oder shoppen. In meiner eigenen Generation verbringt man den Abend selten mit Fernsehen, sondern man sieht sich YouTube-Videos oder Filme auf dem Computer an.
Das sind natürlich nur meine Beobachtungen und ist in jedem Milieu und in jeder Szene sehr unterschiedlich.
Auch die Fernsehprogramme haben sich sehr geändert, denke ich. Sie benötigen nicht mehr so viel Aufmerksamkeit, sind schon darauf angelegt, dass man nebenbei etwas anderes erledigen kann.
Sie sprechen von einer "Art von Fernsehgemeinde", was ich sehr interessant finde. Denn in dieser Formulierung liegt die Frage verborgen: Was tut man eigentlich am Abend, wenn nicht fernsehen? Sonst hat man sich immer gefragt: Was hat man denn eigentlich früher am Abend getan, als es noch keinen Fernseher gab? Dann geht man die Medien durch: man hat Radio gehört, Bücher gelesen, Spiele gespielt...
Diese Fragestellungen setzen so ein starres Gefüge von dem Konzept "Familie" und dem Tagesablauf voraus. Längst gibt es neue Familienkonzepte, viel individuellere. Vielleicht verlagern sich Rituale von einem "was" auf ein "wie".
Nicht, was man tut - fernsehen - sondern wie man es tut - gemeinschafltich.
Vielleicht machen Familien ja bald nach dem Abendessen ihre eigenen kleinen Live-Sendungen. Für Freunde oder Interessierte. Vorstellbar ist das schon. Natürlich nicht ab morgen.
. Ich sehe das sogar schon in der Generation meiner Eltern: dass man sich zwar noch um den Fernseher gruppiert - aus alter Gewohnheit sozusagen - aber bereits ein Tablet oder einen Laptop auf dem Schoß liegen hat, mit dem man nebenbei andere Dinge macht: chatten oder shoppen. In meiner eigenen Generation verbringt man den Abend selten mit Fernsehen, sondern man sieht sich YouTube-Videos oder Filme auf dem Computer an.
Ja, das mache ich auch so. Trotzdem finde ich einen großen Fernseher irgendwie noch komfortabler und der ist natürlich nicht mobil.
Sie sprechen von einer "Art von Fernsehgemeinde", was ich sehr interessant finde. Denn in dieser Formulierung liegt die Frage verborgen: Was tut man eigentlich am Abend, wenn nicht fernsehen?
Hm, das war missverständlich. Als Fernsehgemeinde meinte ich die Zuschauer alle, die eine Sendung einschalten, ansehen oder - stimmt auch - über facebook kommentieren. Also z. B. die "Tatortgemende". Dass sich familiäre Modelle und Konstellationen ändern - natürlich.
Sicher beendet Stefan Raab seine Karriere aus eigenem Interesse. Dennoch ist er ein Zeichen dafür, wie alt das Fernsehen geworden ist und wie sehr es an Aufmerksamkeit verloren hat.
Junge Talente gibt es auch, man denke an Jan Böhmermann. Es ist ja eine Ironie des Schicksals, dass gerade Böhmermann "TV Total" diesen perfiden Streich gespielt hat. (http://www.stern.de/kultur/tv/gefaelschter-beitrag-bei--tv-total--jan-boehmermann-macht-stefan-raab-zum-gespoett-3393152.html)
Ist Raab einfach eingeschnappt? Oder stimmt es, was die Süddeutsche schreibt: dass sich ProSieben kein neues Studio leisten konnte? "Zudem dürfte auch die blätternde Kulisse im TV total-Studio eine Rolle gespielt haben" http://www.sueddeutsche.de/medien/tv-moderator-raab-hoert-einfach-auf-sagt-er-1.2526740-2
Ich bring hier mal Zahlen, also Fakten, ein:
"Die durchschnittliche Sehdauer lag im Jahr 2014 laut Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) wie schon im Vorjahr bei 221 Minuten pro Tag. Fünfzehn Jahre zuvor sahen die Deutschen täglich 185 Minuten fern."
Wurde das qualitativ oder quantitativ erforscht?
Was soll diese Frage in diesem Zusammenhang bedeuten? In der Sehdauer sehe ich eine quantitative Größe. Dazu noch ein etwas ausführlicheres Zitat:
"Fernsehen zählt zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen in Deutschland. Die durchschnittliche Fernsehdauer pro Tag belief sich 2014 wie schon im Vorjahr auf 221 Minuten. Dennoch spielt das TV-Gerät nach wie vor eine wichtige Rolle für die Freizeit der Deutschen. Im Jahr 2000 war der Fernsehkonsum laut Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) mit 190 Minuten deutlich geringer."
Okay, das mit dem "Altwerden" stimmt natürlich. Der junge Stefan Raab, den ich als flippigen MTV-Gelegenheits-VJ in den 90ern kannte, ist einem "etablierten" Erfolgsformat gewichen.
Tatsächlich halte ich ihn für intelligent und integer genug, zu spüren, also von innen her zu entscheiden, wann seine Zeit gekommen ist.
Dass Böhmermann mit mehr jugendlicher Frische, Verve und noch mehr Frechheit angetreten ist und ihn aus seinem Sessel geschubst hat, stimmt wahrscheinlich nur zu einem kleinen Teil.
Ganz ehrlich, ich glaube, Stefan Raab kann anderen was gönnen und sogar über sich selbst lachen.
Dass jemand vom TV-Betrieb mal die Schnauze voll hat, kann ich mir ebenfalls vorstellen ;-)
Jegliches hat seine Zeit...
Und Sie sagen es ganz richtig: die Seh- und Lebensgewohnheiten der Jüngeren haben sich im Lauf der letzten 20 Jahre radikal geändert, wodurch das "althergebrachte" TV-Format evtl. einen (etwas) geringeren Stellenwert erhält. Da die Leute aber andererseits immer älter werden...
Vielleicht wird es auch einfach immer "uncooler". Gerade habe ich zufällig dieses Interview mit Böhmermann gesehen (OK, Bahn mobil...): https://youtu.be/qmqeYZQmnG4
Aber es ist doch ganz interessant, dass die Reaktion eines TV-Machers auf das Fernsehen erst einmal negativ ausfällt: "Ne, ich gucke doch kein Fernsehen, meistens guck ich Internet." Er hat verstanden, dass man das mitllerweile so sagt, obwohl man natürlich noch Fernsehen guckt. Nur ist es nicht mehr so in Mode.