harmlose Metadaten ?

BigData is watching Ein Universitätsteam untersuchte die Aussagekraft von Metadaten - der gläserene Bürger

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Der Chief Technology Officer der CIA, Ira Hunt referierte über die Ziele und die Leistungsfähigkeit seiner Organisation. "Mehr ist immer besser. Da man Punkte nicht verknüpfen kann, die man nicht hat, versuchen wir grundsätzlich alles zu sammeln, was wir sammeln können und es für immer zu behalten. Wir stehen sehr kurz davor, sämtliche von Menschen generierten Informationen verarbeiten zu können. Wir wollen ein Werkzeug, das erklärt, wie all diese Menschen in allen nur denkbaren Wegen in Verbindung stehen."

Drei Monate später sorgte die Enthüllung, dass die NSA permanent sogenannte Telefon-Metadaten amerikanischer Staatsbürger speichert, für Aufregung. Die Datenbank Mainway enthält, so wird geschätzt, die Verbindungsdaten von knapp zwei Billionen Gesprächen. In dieser Datenmasse sucht spezielle Software nach verdächtigen Mustern und Korrelationen.

In seiner ersten Presseerklärung nach den Geheimdienst-Leaks sagte US-Präsident Obama, dass es die NSA "nicht auf den Inhalt" der abgefangenen Telefongespräche abgesehen habe. Auch der Bundesrichter William Pauley tat mögliche Bedenken von Datenschützern als "Parade von Schreckensszenarien" ab.

Meta, also: alles halb so schlimm. Aufgezeichnet werden nur die beteiligten Nummern, die Länge und den Zeitpunkt der Gespräche. All die kleinen schmutzigen Geheimnisse, die der unbescholtene Bürger in seinem Leben so bespricht, seien für den Staat hingegen nicht interessant, hieß es.

Ein Team des Center for Internet and Society der Universität Stanford rund um den renommierten IT-Sicherheitsforscher Jonathan Mayer arbeitete seit vergangenem November an einer Studie um den Informationsgehalt von Metadaten.

http://news.stanford.edu/news/2014/march/nsa-phone-surveillance-031214.html

500 freiwillige Probanden luden ein App namens Metaphone auf ihr Smartphone. Es speicherte die Verbindungs-, Standort- und Kurznachrichtendaten, die auch auf den NSA-Servern landen. Gleichzeitig griff es auf den Facebook-Account der Studienteilnehmer zu.

Mayer und seine Kollegen haben nun ihre Ergebnisse veröffentlicht. In einer ersten Fingerübung identifizierte das Stanford-Team die Lebensgefährten der Studienteilnehmer. Dies fiel ihnen nicht weiter schwer, Paare telefonieren schließlich häufig, lange und auch zu späten Uhrzeiten miteinander. Die Religionszugehörigkeiten von 73 Prozent aller Teilnehmer wurde bestimmt. Alle Teilnehmer, egal, ob sie sich gegenseitig kannten oder nicht, standen über höchstens vier Kontakte miteinander in Verbindung. Eine nicht ganz triviale Tatsache, denn die NSA etwa darf laut US-Gesetz bei Überwachungen von "gefährlichen" Personen deren Kontakte bis zum dritten Grad mit einbeziehen.

Mehr als ein Viertel der gewählten Anschlüsse konnte allein durch eine automatisierte Suche in öffentlich zugänglichen Datenbanken wie dem Online-Branchenverzeichnis Yelp, Google Places oder schlicht und einfach Facebook mit dem dazugehörigen Namen versehen werden. Mit ein wenig menschlicher Arbeitskraft waren es nach einer Stunde Internet-Recherche knapp drei Viertel aller Nummern.

In einem letzten Schritt benutzten Mayer und seine Kollegen die frei zugängliche, aber kostenpflichtige Personensuchmaschine Intelius, und damit kletterte die Zahl der eindeutig identifizierten Anschlüsse auf 91 Prozent. "Wenn ein paar Akademiker so schnell so weit kommen, ist es nur schwer vorstellbar, dass die NSA irgendwelche Probleme haben könnte, die überwältigende Mehrheit der Nummern zu identifizieren", schreiben die Forscher in ihrem Abschlussbericht.

Mit diesem Wissen und nach einer genaueren Durchsicht der Verbindungen stießen die Forscher dann auf allerhand menschliche Verfehlungen. Nur anhand der Metadaten konnten sie auf Geschlechtskrankheiten, außereheliche Affären, Waffenbesitz, Drogenhandel schließen. In ihren Datenbeständen offenbarten sich in harten Fakten die schlimmsten Befürchtungen der Bürgerrechtler. Da war etwa ein Studienteilnehmer, der im Verlauf von drei Wochen erst bei einem Baumarkt, dann bei einem Gartencenter und zum Schluss noch bei einem Laden für Cannabiszubehör anrief. Ein anderer telefonierte erst mit einem Waffengeschäft, das auf das halb automatische Sturmgewehr AR-15 spezialisiert ist, und dann in ausufernden Gesprächen mit dem Kundendienst des Herstellers der Waffe.

Andere Anrufe gingen an Familienplanungsorganisationen, Scheidungsanwälte, an die Anonymen Alkoholiker, Gewerkschaften, Strip-Clubs, Parteizentralen oder Abtreibungskliniken. In manchen Fällen schienen die offenbarten Verbindungen und die dahinterliegenden menschlichen Schicksale derart intim zu sein, dass das Forscherteam ihnen nicht weiter nachgehen wollte und davon absah, die Teilnehmer für eine Bestätigung ihrer Vermutungen zu kontaktieren.

Man habe "nicht damit gerechnet", so die Forscher, für die eine oder die andere Seite der Argumentation großartige Beweise zu finden, schließlich sei die Gruppe der Probanden mit etwas mehr als 500 Nutzern vergleichsweise klein und die Überwachung auf fünf Monate begrenzt gewesen. Doch das Gegenteil war der Fall: Die vermeintlich anonymen Metadaten gaben Geheimnisse preis, die man wohl kaum einer staatlichen Datenbank anvertrauen will. Und man kann davon ausgehen, dass noch umso mehr zu erfahren ist, je länger der Beobachtungszeitraum und je größer die Zahl der Anschlüsse ist. Kein Wunder also, dass die NSA milliardenfach Verbindungsdaten über mindestens fünf Jahre hinweg speichert. "Wer die Nadel finden will, benötigt einen Heuhaufen", sagte einmal der scheidende NSA-Chef Keith Alexander.

http://www.sueddeutsche.de/digital/telefonueberwachung-durch-geheimdienste-die-luege-von-den-metadaten-1.1916548, leicht überarbeitet.

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https://www.freitag.de/autoren/alalue/big-brother-is-watching-collecting

Center for Internet and Society der Universität Stanford

IT-Sicherheitsforscher Jonathan Mayer

Projekt: Information aus Metadaten

Süddeutsche Zeitung

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Geschrieben von

alalue

In einer Demokratie darf jeder so blöd sein wie er kann

alalue

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