Schonend verändern

Bildung Philosophie ohne Griechisch geht nicht, meint Jürgen Busche. Bezüglich des Fortwirkens der Tradition in unserem Denken hat er recht. Aber er unterschätzt die Philosophie.

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Baustelle Akropolis?
Baustelle Akropolis?

Bild: Angelos Tzortzinis/AFP/Getty Images

Wird die Auffassung vorausgesetzt, die Philosophie erschöpfe sich in einer fortwährenden Erforschung und Neuinterpretation ihrer Tradition, kann unmöglich folgerichtig geschlossen werden, ein Symptom sei aufschlussreicher als die es betreffende Expertise. Allenfalls die Prämisse, dass für dieses Symptom eine Theoriebildung ausgeschlossen sei, würde diesen Schluss erlauben. Jedoch wäre hierbei Wittgensteins Rat zu befolgen, darüber zu schweigen, worüber nicht gesprochen werden kann. Wird jedoch, was wohl anzunehmen ist, wenn man dennoch das Wort ergreift, die Möglichkeit der Expertise anerkannt und gleichzeitig das Symptom als aufschlussreicher erachtet "als ganze Regale von Expertisen", kann dies offenbar nur an bislang fehlender Theoriebildung liegen, wenn nicht der Vorwurf unzureichender Recherche erhoben werden soll.

Das Symptom, von Busche diagnostiziert, ist hier die mangelnde Expertise der akademischen Philosophie bezüglich ihrer Verwurzelung im Höhepunkt der antiken griechischen Philosophie. "Philosophie ohne Griechisch geht nicht", befindet er. Der dieser Aussage inhärente Eurozentrismus wäre Grund genug, sie als völlig unphilosophisch zu demaskieren. Aber selbst wenn wir uns hier dahingehend einschränken, nur über die europäische Philosophietradition zu reden: Dass wir nichts sind ohne unsere Herkunft, ist auch auf die Geistesgeschichte bezogen so trivial, wie die Tatsache, dass wir ohne die durch Jahrtausende fortschreitende Iteration von Zeugungen, die mit der Vereinigung unserer Eltern schließlich zu uns führte, nicht existieren würden.

Die Forderung, an das Heutige unbedingt den Maßstab der Antike anzulegen, ist ein Rückfall in die Argumentationsmuster der Klassik. Zweifelsfrei ist das Studium der alten Griechen in Originalsprache in hohem Maße erstrebenswert und bereichernd. Es als unbedingte Voraussetzung einer gehaltvollen Philosophie zu proklamieren, gleicht jedoch einem Versuch, das ganze Fach zu dem zu machen, was es gerade nicht sein soll, zu einer dogmatischen Religion. Und der Rat, bei mangelnder Kenntnis Platons und Aristoteles die Finger von der Philosophie zu lassen ist wie einem Waisen den Suizid zu empfehlen, weil er seine Eltern nicht kennt. Ein Rat, der seine eigene triviale Voraussetzung, dass unsere Kultur ohne ihr historisches Erbe nichts wäre, nicht konsequent ausdeutet. Er verkennt nämlich, dass auch ohne die Kenntnis des Erbes selbiges durch (den) hermeneutische(n) Zirkel in uns wirksam ist.

An Expertise hierüber fehlt es in der Philosophie nicht. Aber hier soll nicht anmaßend ein "Wenn man keine Ahnung hat: Einfach mal die Fresse halten!" zurückgespiegelt werden. Vielmehr soll der Diskurs um eine gehaltvolle Weiterführung der Philosophie aufgegriffen werden. Das geforderte Verschonen kann keineswegs als ein Belassen des status quo verstanden werden, da selbst jede Interpretation schon eine Veränderung desselben ist – das Dilemma eines jeden Konservatismus. Darüber hinaus ist es eine Verkennung der Tatsachen, aufgrund einer Rückführbarkeit neuer Gedanken auf alte zu behaupten, alles Relevante sei schon gesagt und müsse nur im heutigen Licht interpretiert werden. Wir begreifen uns als Menschen auch als selbstständige Subjekte und nicht lediglich als Neuauflage unserer Vorfahren.

Deshalb ist der ewige Verweis auf die alten Griechen aufgrund ihres Gehalts zwar berechtigt, aber ebenso unzureichend. Denn das Studium der Philosophie ist für die, die es ernst nehmen, keineswegs sorglos sondern ein ständiger Kampf gegen das eigene Unwissen dessen bekannter Umfang mit jeder erworbenen Expertise zunimmt. Auch das war freilich schon bei Sokrates so. Darauf zu beharren reicht aber nicht. Hilfreich wären konstruktive Vorschläge, wie zwischen den sich beständig erneuernden Herausforderungen der gesellschaftlichen Entwicklung und dem gleichzeitig fortwährend anwachsenden Umfang der philosophischen Tradition eine eigene fruchtbare Position gefunden werden soll. Sie wird wohl zwischen Marx Impetus der Veränderung und Marquards Zügelung des Verschonens liegen.

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