Analog

Bewältigung Eine Tagung im Potsdamer Einstein-Forum mühte sich am Thema Terror

In Zeiten grassierender Unsicherheit und fehlender Orientierung haben historische Analogien Konjunktur. Kein Datum der jüngsten Vergangenheit hat diese Methode derart forciert wie der 11. September 2001 und das Problem des internationalen Terrors. So war auch die große, hochkarätig besetzte Konferenz des Potsdamer Einstein-Forums und des Hamburger Instituts für Sozialforschung "Terror - International Law and the Bounds of Democracy" in der letzten Woche weniger durch den Versuch gekennzeichnet, den neuen Terrorismus auf seinen Begriff zu bringen, als dadurch, die neue Unübersichtlichkeit historisch zu parallelisieren.

Die weitausholende Suchbewegung rekurriert seit geraumer Zeit auf Carl Schmitt als den Diagnostiker des Endes jenes 350 Jahre alten Jus Publicum Europaeum, das der christlich geprägten Welt den Staat als den großen Befrieder des religiösen Bürgerkrieges bescherte. Der neben Herfried Münkler wohl prominenteste Vertreter dieses Ansatzes, Dan Diner, legte bei der Tagung folgerichtig die Entstehung von Staatlichkeit und Völker-, genauer: Staatenrecht seinen Überlegungen zum gegenwärtigen Ordnungsverlust zu Grunde. 1989 markiert für ihn das Ende des klassischen Nationalstaates. Damit habe die Epoche der Neutralisierung des Religiösen durch den Staat ihr endgültiges Ende gefunden; im Gefolge der Globalisierung treten nun altbekannte religiös aufgeladene Freund-Feind-Konstellation im neuen terroristischen Gewande wieder auf.

Diesem alt-europäischen Standpunkt klarer Trennung von Staat und Religion widersprach in energischer Weise Mahmood Mamdani. Vom afrikanischen Standpunkt aus machte er die Gegenrechnung auf. Zum Schüsseldatum seiner Darlegungen avancierte mit 1975 das Jahr des Rückzugs der US-Amerikaner aus Vietnam sowie des Endes der portugiesischen Kolonialmacht in Afrika. Im Zuge der Emanzipation der Dritten Welt sowie der Systemkonkurrenz gegenüber der im Vormarsch befindlichen Sowjetunion hätten von da an gerade die USA entschieden auf die Macht der Religion gesetzt, am eindeutigsten mit Reagans Kampf gegen das "Reich des Bösen". Die klare Unterscheidung von staatlicher Ordnung auf der einen und gegen diese gerichteten religiösen Terror sei von daher rein fiktiv und werde durch mannigfaltige Formen des Staatsterrors permanent unterlaufen.

Völlig anders stellte sich dagegen die historische Gegenwart für Avishai Margalit dar. Er sieht die arabische Welt in einer revolutionären Situation, vergleichbar jener Mittel- und Osteuropas Anfang des 19. Jahrhunderts. Während Khomeini noch den Typus Stalin verkörpert habe, entspräche Bin Laden weit eher der Figur Trotzkis. Mit der permanenten Propaganda der Tat versuche er den Flächenbrand in den arabischen Ländern zu entfachen. Al Qaida agiere insofern schlicht als revolutionäre Avantgarde, die, derzeit vor allem im Irak, die Probe aufs Exempel, sprich: den Test auf die revolutionäre Lage durchführe. Aufgabe des Westens müsse es sein, analog der russischen Revolution eine Kerensky vergleichbare, moderierende Figur zu installieren.

Der Stargast der Tagung, Richard Rorty, wendete in seiner polemisch-lakonischen Rede den Blick zurück gen Westen, auf Amerika, um - quasi spiegelverkehrt - zur gleichen Diagnose zu kommen. Im permanenten "Krieg gegen den Terror" erkannte Rorty Ansätze einer permanenten Revolution, die letztlich zu einer Form des neofeudalen Despotismus führen werde. Ihn provozierte die jüngste Entwicklung in den USA gar zu einem Vergleich mit dem Dritten Reich: Wie Hitler den Reichstagsbrand zum Kampf gegen seine politischen Gegner genutzt habe, brächten derzeit die Hüter der US-Homeland-Security ihre Patriot Acts gegen die Opposition in Stellung. Eine mehr als gewagte These.

So verwies denn nicht zuletzt der Rortysche Wille zur Analogie in besonders eklatanter Weise auf die Mängel dieser Methode, so anregend sie auch sein mag. Mit ihrem unbedingten Wunsch nach Gegenwartsbewältigung beschädigt die Analogie allzu oft die Analyse der singulären Erscheinungen des Terrorphänomens. Einmal mehr belehrte deshalb auch diese Konferenz über das einzig taugliche Gegenmittel zur weitschweifigen Spekulation, das da lautet Arbeit am Fall, sprich: die empirisch gesättigte Einzelfallstudie.


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