Was ein Jahr nicht alles verändern kann. Zum Jahresanfang 2005 betrieb die CSU, an der Spitze der damalige Chef der CSU-Landesgruppe Michael Glos, noch ganz gezielt die Diskussion um die fehlende Führungsstärke Angela Merkels. Wenn sich die Partei dagegen dieser Tage zur traditionellen Klausur in Wildbad Kreuth versammelt, ist von Kritik an der Schwesterpartei nicht mehr die Rede - regelrecht kleinlaut erlebt man die Christlich-Sozialen. Die selbsternannte konservative Speerspitze mit bundesweitem Geltungsanspruch scheint auf ihr Normalmaß als bayerische Regionalpartei geschrumpft.
Doch nicht genug der neuen Bescheidenheit: Nach George W. Bush und David Cameron, dem 39-jährigen Shooting-Star und neuen Vorsitzenden der britischen Tories, setzt nun auch Edmund Stoiber auf "mitfühlenden Konservatismus". Wie hieß es so schön in seiner jüngsten Neujahrsansprache: "Unsere Gesellschaft lebt mehr denn je vom Miteinander. ... In diesen Tagen empfinden wir mehr als sonst, wie wichtig das familiäre und menschliche Miteinander für jeden von uns ist." Und, möchte man fast hinzufügen, die Betonung liegt ersichtlich auf "jeder von uns" - womit Stoiber nicht zuletzt sich selbst meinen dürfte. Sein Plädoyer für mehr Mitgefühl entpuppt sich als eines in eigener Sache. Denn seit seinem unrühmlichen Abgang von der Berliner Bühne leidet Stoiber nach eigenem Bekunden "wie ein Hund".
Kein Wunder: Nicht genug, dass bei der Bundestagswahl erstmals seit Jahrzehnten die magische 50 Prozent-Marke für die CSU unterschritten wurde, was an sich schon dem GAU in Bayern gleichkommt. Mit seiner Fahnenflucht vor der politischen Verantwortung wurde Stoiber vom Beinahe-Superminister regelrecht zum Gespött der Republik. Die Vorsitzende der bayerischen Grünen, selbst alles andere als eine Großmacht im Freistaat, nannte Stoiber gar den "Richard Kimble von Wolfratshausen", weil er ständig auf der Flucht sei - von München nach Berlin und wieder zurück. Der bayerischen CSU-Fraktion musste der Ministerpräsident geschlagene fünf Stunden Rede und Antwort stehen, ein zuvor gänzlich undenkbarer Vorgang. Der frühere Justizminister, der von Stoiber aus dem Kabinett gedrängte Alfred Sauter, brachte die Stimmung auf den Punkt: "Edmund, du hast den Bayern den Stolz genommen und dem Freistaat seinen Nimbus." Zeitweilig waren laut einer Forsa-Umfrage 77 Prozent der Bayern der Meinung, Stoiber solle 2008 bei der Landtagswahl nicht mehr als Ministerpräsident kandidieren. 50 Prozent votierten sogar dafür, dass Stoiber sofort von seinem Amt zurücktritt. Die FAZ erklärte ihn prompt zum politischen Verlierer des Jahres.
Bayerisches Wunden-lecken
Vor diesem Hintergrund kann Stoibers Schwenk ins Mitfühlende kaum verwundern. Wunden lecken ist angesagt in Bayern. Wildbad Kreuth steht denn auch dieses Jahr unter dem Motto "Politik für sozialen Zusammenhalt". Nicht Attacke, sondern konstruktive Mitarbeit auf Bundesebene sei angesagt. Die CSU übe eine wichtige Scharnierfunktion aus und könne ausgleichender Pol in der großen Koalition sein. Zugleich, so der neue Landesgruppenchef Ramsauer weiter, müsse die Partei sicherstellen, dass ohne sie innerhalb der Union und der großen Koalition in Berlin "nichts läuft". Auf diese Weise versucht die CSU, neuerdings Kleinste der im Bundestag vertretenen Parteien, jenes verlorene bundespolitische Terrain wett zu machen, das mit der Ersetzung des strebsamen Aktenfressers Stoibers durch den biederen Müllermeister Glos im Amt des Wirtschaftsministers nicht unbedingt vergrößert wurde.
In Zukunft käme es darauf an, das hätten die Wahlen gelehrt, die Bürger emotionaler anzusprechen und "gefühlsbetontere" Wahlkämpfe zu führen. Fragt sich nur, wer der Mann oder die Frau für die emotionale Ansprache sein wird? Wer ist der mitfühlende bayerische Konservative der Zukunft, wenn im Frühjahr 2008 erst in den bayerischen Kommunen und im Herbst dann das Landesparlament gewählt wird?
Weniges spricht in emotionaler Hinsicht tatsächlich für Edmund Stoiber, der früher lieber mit seinem Spitznamen des "blonden Fallbeils" kokettierte, als durch besonderes Einfühlungsvermögen aufzufallen. Im Gegenteil: Statt Empathie zählte bisher eher das gepflegte Ressentiment zu seinen Stärken, wie es während des vergangenen Wahlkampfs vor allem die Ostdeutschen zu spüren bekamen. Sie wurden pauschal zu "Frustrierten" erklärt, die über den Wahlausgang nicht zu entscheiden hätten. Die ostdeutschen Wähler dankten diese Aberkennung des Wahlrechts mit klarer Stimmenthaltung zu Lasten der Union. Schließlich hatte Edmund Stoiber sie auch regelrecht dazu aufgefordert: "Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber" (O-Ton Stoiber).
Nach den Stoiberschen Wahlpleiten steht deshalb derzeit vor allem Innenminister Günther Beckstein hoch im Kurs; aber auch der mächtige Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion Joachim Herrmann und der vor allem in der Bevölkerung sehr beliebte Horst Seehofer, der schon lange vor dem Verlust der sozialen Balance warnt, können sich Hoffnung auf die Spitzenkandidatur machen. Zwei Jahre verbleiben Edmund Stoiber noch, um seine Charmeoffensive weiter zu forcieren. Vorsorglich kündigte er für diesen Januar bereits eine neue Patriotismusdebatte an. In der Globalisierung bekomme die Liebe zur Heimat wieder eine größere Bedeutung, sie gebe den Menschen Sicherheit und ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Auf einen kann Stoiber sich bei seinem Schwenk ins Emotionale besonders verlassen, nämlich seinen bisher vor allem wadenbeißenden Generalsekretär Markus Söder. Nach der Wahlpleite ebenfalls mächtig in die Kritik geraten, kündet Prophet Söder jetzt vom "Wohlfühlland Bayern", vom neuen "Wohlfühlkurs" der Partei und vom Emotionalen, das vor dem Technokratischen Vorrang haben müsse.
Bleibt abzuwarten, ob die verordnete Wellness-Kur tatsächlich verfängt. Erste Erfolge scheint sie jedenfalls zu haben: Wenn am nächsten Sonntag in Bayern Landtagswahl wäre, würde die CSU ihre absolute Mehrheit laut jüngsten Umfragen mit 56 Prozent jedenfalls schon wieder klar verteidigen. Kein Wunder: Auch in Bayern ist die Regierung eben nur so schwach, wie die Opposition stark ist. Und so wenig Opposition wie derzeit ist selbst für bayerische Verhältnisse äußerst selten.
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