Die Angst vor den Landtagswahlen geht um in der großen Koalition - obwohl ihr Ausgang scheinbar schon feststeht. Alles spricht dafür, dass Ministerpräsident Beck in Rheinland-Pfalz wiedergewählt wird, ebenso wie Günther Oettinger in Baden-Württemberg. Nur in Sachsen-Anhalt könnte sich etwas ändern, könnte Jens Bullerjahn die Regierungsbeteiligung für die SPD erreichen. Der großen Koalition in Berlin käme das nicht einmal ungelegen. Die SPD fürchtet nichts mehr als eine weitere Stabilisierung ihres Umfragetiefs. Und sogar die Bundes-Union zittert für den Partner. "Wahlkampf mit angezogener Handbremse" hieß deshalb die Devise. Denn nach den ersten Monaten der großen Koalition hat sich bereits eines gezeigt: Die SPD ist der sensible Part der Verbindung; die mögliche Bruchstelle verläuft links der Mitte. Die Sozialdemokraten werden schon deshalb sehr genau beobachten, wie sich ihre direkte Konkurrenz auf der Linken schlägt.
Die Schonfrist der ersten hundert Tage der "Koalition der Herzen" (FAZ) ist jedenfalls vorbei. Schon mehren sich die Stimmen, die der "Halben Kanzlerin" (SZ) Aussitzen im Stile Kohls vorwerfen. Tatsächlich kommen die eigentlichen Bewährungsproben jetzt erst. Innerhalb des Zeitfensters der nächsten gut eineinhalb Jahre muss die große Koalition ihre Reformvorhaben in die Tat umsetzen, bevor mit den Landtagswahlen 2008 das Schaulaufen für die Bundestagswahl beginnt.
Die Agenda der nächsten Monate steht bereits: Zunächst muss die als "Mutter aller Reformen" propagierte Föderalismusreform tatsächlich unter Dach und Fach gebracht werden. Zeitgleich sollen im Hintergrund Fortschritte bei der Gesundheitsreform erzielt werden. Und schließlich winkt in der näheren Ferne bereits die eigentliche Bewährungsprobe, die Durchsetzung der Mehrwertsteuererhöhung Ende dieses Jahres. Spätestens dann wird die Koalition in ganz schweres Fahrwasser geraten. Vor allem die SPD mit Finanzminister Steinbrück kann hier nur verlieren. Sollte die Wirtschaft Ende des Jahres schwächeln, wird der Vorwurf ertönen, man regiere das Land durch zusätzliche Erdrosselung der Binnenkonjunktur weiter in die Krise. Zieht die Wirtschaft dagegen tatsächlich an, wird es heißen, man erwürge das zarte Pflänzchen Aufschwung. Man kann sich vorstellen, wie sehr der Protest im Laufe des Jahres an Lautstärke zunehmen wird. Dann dürfte das momentane Rauschen im Blätterwald zum Orkan werden - zumal eine geschlossene Oppositionsfront das Vorhaben ablehnt, vom Wähler ganz zu schweigen.
Die SPD hat jetzt schon regelrechte Panik davor, was in diesem Jahr noch alles auf sie zukommt. Denn die drei Prozent der Merkel-Müntefering-Steuer treffen primär ihre Klientel und nicht die der Union, zumal gerade die SPD am Maßstab der Gerechtigkeit gemessen wird. Dabei schadet der großen Koalition nichts mehr als der anhaltende Niedergang eines der beiden Partner. Denn in dem Maße, in dem die SPD als Partei weiter schwächelt, muss sie sich zu Lasten der Union und damit der großen Koalition profilieren. Im Falle der Föderalismusreform zeigt sich dieses Muster bereits, zumal auch hier die evidenten Ungerechtigkeiten, zum Beispiel im Bildungsbereich, vor allem auf Kosten der SPD-Klientel gehen. Hier liegt das Grunddilemma dieser Koalition: Forcierte Zumutungen werden stets vornehmlich der SPD angerechnet werden, ökonomische Zuwächse dagegen der Union. So sehr also die SPD im oft bemühten "Maschinenraum" (Platzeck) sich und ihre Wählerschaft quält, die Sonne strahlt weiter aufs unionierte Oberdeck.
Was die Koalition jedoch am wenigsten vertragen kann, ist der Clash der Parteien. Für das von Merkel-Müntefering präferierte geräuschlose Regieren braucht es eine niedrige Betriebstemperatur. Das wird bereits der nationale Energiegipfel am 3. April zeigen, der vor allem ein Ausklammerungsgipfel werden dürfte. Um den schwelenden Streit zwischen Umweltminister Gabriel und Wirtschaftsminister Glos nicht weiter anzuheizen, soll die Atomkraft von den Verhandlungen ausgenommen werden. Gleiches, so heißt es neuerdings, solle auch für die Zukunft des Steinkohlebergbaus gelten. Am Ende wird beim Energiegipfel wie bei Merkels neuer "Innovationsoffensive" vor allem symbolische Politik herauskommen.
Insgesamt verlangt die heikle Koalitionsarithmetik eine permanente Politik des Gebens und Nehmens. Symptomatisch dafür ist der gegenwärtige Stand der Gesundheitsreform. Nach den derzeit kursierenden Modellen aus dem Ministerium von Ulla Schmidt soll die Krankenversicherung künftig aus einer Mischung von "Mini-Pauschale" in Höhe von durchschnittlich 15 Euro und einkommensabhängigen Beiträgen finanziert werden. Damit wären Elemente des Unionskonzepts der Kopfpauschale und des SPD-Modells der Bürgerversicherung enthalten. Weiteres "Do ut des" dürfte im Bereich der Arbeitsmarktpolitik stattfinden: Gibst du mir einen größeren Niedriglohnsektor, bekommst du deinen Mindestlohn. Eines steht damit schon heute fest: "Politik aus einem Guss" sieht anders aus, die inhärenten Widersprüche werden spätestens bei der konkreten Umsetzung aufbrechen.
Dennoch sollte man sich von der notwendigen Kompromisshaftigkeit dieser Politik nicht vorschnell einlullen lassen. Diese Koalition hat, wenn auch mit kleinen Schritten, noch "großes" zusammen vor. Und so wie sich die Partner derzeit gerieren, endet ihre Liaison keineswegs zwangsläufig 2009. Im Gegenteil: Die zwei Parteien bleiben existenziell aufeinander angewiesen. Denn nur wenn einer der beiden sich sehr klar über 40 Prozent absetzt, wofür gegenwärtig wenig spricht, wird eine andere Zweier-Koalition möglich. Andernfalls dürfte es schon mangels realistischer Ablösungsperspektive, sei es Jamaika oder Rot-Rot-Grün, auch 2009 wieder heißen: große Koalition - there is no alternative.
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