In der Abseitsfalle

Rhetorik Die Angstmache vor der Linkspartei ist falsch und geht auch an der Sache vorbei. Denn Rot-Rot-Grün im Bund wird es noch lange nicht geben
Ausgabe 46/2014
Noch hat Bodo Ramelow den Platz des Ministerpräsidenten nicht eingenommen
Noch hat Bodo Ramelow den Platz des Ministerpräsidenten nicht eingenommen

Foto: Jens Schlüter/Getty Images

Die Dramaturgie dieses politischen Herbstes könnte spannender nicht sein. Erst das Patt in Thüringen und damit die Chance für die Linkspartei, erstmalig einen Ministerpräsidenten zu stellen; und dann der 25. Jahrestag des Mauerfalls. Prompt folgte die Fundamentalkritik an der Linkspartei, von Gaucks Philippika bis zu Biermanns Hassgesang im Parlament. Doch während der Bundespräsident – immerhin – nur „Teile der Partei“ der SED-Nähe zeiht, verurteilt der selbstverliebte Biermann die gesamte „Drachenbrut“ – und trifft mit seiner Beschimpfung von Politikern wie Petra Pau oder Roland Claus in den vorderen Reihen der Bundestagsfraktion doch genau die Falschen. Denn kaum jemand hat sich stärker mit der SED-Geschichte auseinandergesetzt als gerade die ostdeutschen Reformer. Sahra Wagenknecht dagegen hatte die Bundestagssitzung gleich präventiv geschwänzt.

Deshalb muss es an dieser Stelle erneut gesagt werden: Es geht in Thüringen nicht um eine Machtübernahme in der Bundesrepublik, sondern um ordentliches Regieren unter einem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, einem christlichen Gewerkschafter aus dem Westen und Kontrahenten des bundespolitisch dominierenden Fundi-Flügels. Und wenn Gauck derzeit stets von der neuen „Kultur der Verantwortung“ spricht: Worin sonst sollte diese bestehen als darin, dass eine von knapp 30 Prozent gewählte Partei bereit ist, Regierungsverantwortung zu übernehmen? Doch die eskalierende Rhetorik ist über Thüringen längst hinaus. Erfurt, so wird insinuiert, soll nur der Anfang sein – bei der geplanten Übernahme des ganzen Landes durch die Linkspartei. Doch all jene, die sich tatsächlich Angst machen lassen, können beruhigt sein. Die Fronten wurden in diesem Jahr für unabsehbare Zeit geklärt – und zwar gegen Rot-Rot-Grün im Bund.

Am Anfang stand die Zerrüttung der Opposition. Der Kriegstreiber-Vorwurf in der Ukraine-Krise von linken Fundis gegenüber grünen Realos zerstörte faktisch jede Vertrauensgrundlage. Und am Ende steht Biermann. Denn seiner Demütigung der Linkspartei folgte das eigentliche Politikum: SPD-Chef Sigmar Gabriel überrumpelte mit seiner herzlichen Gratulation für den eitlen Barden die ahnungslose Kanzlerin und markierte mit breiter Brust den Sieger der Geschichte – gegen die Linkspartei.

Allerdings taugt diese Machtdemonstration nur für einen winzigen historischen Moment. Zwar ist Gabriel am 13. November genau fünf Jahre lang SPD-Chef; in zehn Tagen wird er Gerhard Schröder überholt haben und der am längsten amtierende Vorsitzende seit Willy Brandt sein. Doch viel spricht dafür, dass er auch einer der machtlosesten bleiben wird – und zwar nicht zuletzt durch eigenes Verschulden.

Seine demonstrative Umarmung Wolf Biermanns steht in einer fatalen Tradition: Bereits die Nominierung Joachim Gaucks als Bundespräsident stand für sehr viel Taktik, aber für keine Strategie. Gabriel und die Grünen berauschten sich 2012 so sehr an der Idee, mit Gauck das bürgerliche Lager aus Union und FDP zu spalten, dass sie die Konsequenzen bereitwillig übersahen. Denn natürlich passt Gaucks Weltanschauung nicht zu irgendeiner linken, gar rot-rot-grünen Alternative. Anders als die Wahl Gustav Heinemanns 1969, die den Machtwechsel zu Brandt einleitete, bedeutete Gaucks Wahl also ein Stück Machterhalt – zugunsten der Union.

Mit der Geste an Biermann stellt Gabriel jetzt endgültig die Weichen für die nächste große Koalition. Wer sich dabei ins Fäustchen lacht, ist die Kanzlerin. Denn auch 2017 wird die SPD ohne echte Chance auf das Kanzleramt sein, der machtbewusste Gabriel wäre wie seine Vorgänger Steinmeier und Steinbrück nur ein Vizekanzlerkandidat. Offen scheint derzeit nur, ob Merkel die SPD gegen die Grünen eintauschen kann. Winfried Kretschmanns unbedingter Wille, die Grünen zur neuen Wirtschaftspartei zu machen, spricht jedenfalls dafür. An dieser Spaltung und Blockade von Rot-Rot-Grün werden all jene ihre Freude haben, die ohnehin nur auf linke Fundamentalopposition setzen. Leidtragende sind dagegen all jene, die eine Alternative zur verheerenden Spaltungspolitik der Merkel-Regierung in Europa herbeisehnen.

Vor fünf Jahren hatte Gabriel in seiner furiosen Bewerbungsrede die SPD noch darauf eingeschworen, nicht länger einer nebulösen Mitte hinterherzulaufen, sondern diese selbst zu definieren. Erst die linke „Deutungshoheit“ und dann die Mehrheit wiederzugewinnen sollte das Ziel. Heute ist er an beiden Punkten gescheitert: Wie ein Senkblei verharrt die SPD bei 25 Prozent. Und was die Inhalte anbelangt, erweckt speziell der Energie- und Superminister Gabriel nicht den Eindruck, als wolle er eine eigenständige linke Politik formulieren. Im Gegenteil: Man gewinnt den Eindruck, er wolle Helmut Schmidt Recht geben. Ob die SPD wieder einen Regierungschef stellt, ist für den Altkanzler „nicht so entscheidend wichtig“. Denn seit Brandts Ost-Politik hätten sich Union und SPD ohnehin stark angenähert. Schmidts Conclusio: „Es ist egal, wer regiert“. Angesichts der aktuellen SPD-Politik fällt es schwer, ihm zu widersprechen.

Albrecht von Lucke ist Jurist, Politikwissenschaftler und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik

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