MEDIALER NOTSTAND IN TSCHECHIEN Die kulturellen Eliten lehnen es ab, von Machtpolitik bestimmt zu werden, die Politik rächt sich durch Marginalisierung der Kultur
Die Ernennung von Jirí Hodac´ zum Generaldirektor des Tschechischen Fernsehens kurz vor Weihnachten war nur der sprichwörtliche letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Zu lange schon haben sich in der tschechischen Gesellschaft Unmut und Enttäuschung über die Art und Weise angestaut, wie sich die regierende Koalition aus Sozialdemokraten (C´SSD) und der in den Wahlen im Jahre 1998 knapp unterlegene ODS von Václav Klaus die Macht untereinander aufteilen und das Land mehr und mehr in eine Spielwiese parteipolitischer Machenschaften verwandeln. Mit dem in dieser Legislaturperiode verabschiedeten Gesetz über das Mehrheitswahlrecht wollten sie sich die Macht möglichst noch für weitere Jahre sichern. So hat sich die Mehrheit der
der Tschechen, die 1989 auf die Straßen gingen, die Demokratie, die dem Lande eine politische und moralische Erneuerung nach zwanzig Jahren Normalisierung bringen sollte, wahrlich nicht vorgestellt. Schlechte Stimmung und allgemeine Ratlosigkeit waren mit Händen zu greifen.Die Fernsehjournalisten stellten, wie die breite Unterstützung ihres Streiks in der ersten Neujahrswoche zeigte, nur die Speerspitze dieser allgemeinen Unzufriedenheit mit der praktizierten Politik dar. In dem für die Bildung der öffentlichen Meinung wichtigsten modernen Medium war der Druck zur Anpassung der Meinungsfreiheit an die aktuellen Bedürfnisse der Parteipolitik besonders spürbar. Es ist auch kein Geheimnis, dass Parlamentspräsident Václav Klaus vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts hält und es am liebsten privatisieren würde. Über den möglichen Verkauf des Senders C´T 2 an die Amerikaner als Kompensation für ihre verlorene Beteiligung an dem Privatsender Nova wird in Prag bereits gemunkelt. Nova ist Eigentum von Vladimír Z´elezny´, einem Verbündeten von Václav Klaus. Dass sich die diffuse Unzufriedenheit gerade in der Nachrichtenredaktion des ersten Kanals des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, dem politischen Zentrum des Senders, Luft machte, hat seine eigene Logik.Der konkrete Anlass, die Entlassung von einigen Redakteuren, auf die die Journalisten mit der, zugegeben, nicht ganz legalen Besetzung des Studios reagierten, mag ein zufälliger sein. Nur, welche legalen Mittel standen den Fernsehjournalisten sonst zur Verfügung? Eine Klage vor Gericht würde Jahre dauern. Schließlich verstößt auch die Zusammensetzung des mittlerweile dritten Fernsehrates nach reinem Parteienproporz im Grunde gegen das Mediengesetz, und die ausgesprochenen Kündigungen verletzen das Arbeitsrecht.Sicherlich versucht auch in der Bundesrepublik die Politik, nicht zuletzt über die unabhängigen Fernsehräte, Einfluss auf das Fernsehen zu nehmen. Nur geschieht dies selten auf so plumpe Art wie jetzt in der Tschechischen Republik, wo das Gebaren der Politiker mitunter peinlich an die Manieren des alten Regimes erinnert und den Zorn der Gesellschaft geradezu herausfordert. (Wie die Spiegel-Affäre zeigt, musste allerdings auch in der BRD der Umgang mit der Pressefreiheit erst gelernt werden.) In der Inkompetenz des dritten Fernsehrates, der seit 1998 schon den dritten Generaldirektor installierte, spiegelt sich letztlich nur der Zustand der politischen Eliten, die die Tschechische Republik heute regieren insgesamt: ihre bis auf wenige Ausnahmen parteipolitische Engstirnigkeit, ihre Niveaulosigkeit, ihr Mangel an politischer Kultur. Auf das Niveau eines Parteifunktionärs alten Stils sinkt zunehmend auch Václav Klaus herab, der einst der Stern am tschechischen politischen Himmel war. Durch seine Arroganz und Besserwisserei zieht er inzwischen den Unmut breiter Bevölkerungsschichten auf sich, wie sich zuletzt bei der Demonstration auf dem Wenzelsplatz zeigte.Die traditionell starken, politisch denkenden und schlecht bezahlten kulturellen Eliten sind in der Differenziertheit ihres Denkens, im Verständnis der Politik als Verpflichtung, ihrem Interesse am Gemeinwohl den politischen haushoch überlegen. Das zeigen auch die zahlreichen Reaktionen aus Universitäten und anderen Institutionen auf die Fernsehkrise im Internet. Sie müssen es als unter ihrer Würde betrachten, sich von einer solchen politischen Klasse regieren zu lassen. Für diese "Überheblichkeit" rächt sich die Politik, mit der Marginalisierung der Kultur. Dieses Gefälle zwischen den politischen und kulturellen Eliten des Landes ist nicht unproblematisch, denn ohne eine politische Elite, die diesen Namen verdient, kann auf die Dauer kein demokratisches Staatswesen existieren. Implizit verstärkt die aktuelle Fernsehkrise diese Tendenz. Die primitiven Sitten, die hier zu Tage treten, machen die Politik für viele fähige und anständige Menschen als Betätigungsfeld unattraktiv oder verhindern ihren politischen Aufstieg.Die starke Position der kulturellen Eliten in der tschechischen Gesellschaft hat einen historischen Hintergrund. Die Tschechen, über Jahrhunderte ohne eigenes Staatswesen, konnten sich in dem österreichischen Vielvölkerstaat nur als eine Kulturnation definieren und profilieren. Die Kultur wurde dadurch zum tragenden Element der Existenz der Nation, einem Ersatz für die Politik. In diese Tradition lässt sich auch der aktuelle Fernsehstreik einordnen. Es ist nicht das erste Mal in der modernen tschechischen Geschichte, dass die Unzufriedenheit mit dem Zustand der Gesellschaft in einer Kulturinstitution zum Ausbruch kommt und die kulturellen Eliten politische Mobilisierungsprozesse einleiten. Man erinnere sich nur an den Schriftstellerkongress 1967, den Vorboten des Prager Frühlings '68. Genauso bildeten die kulturellen Eliten den Kern der Opposition gegen das Normalisierungsregime und hatten großen Anteil an der sanften Revolution.Dass es diesmal nicht die Schriftsteller, sondern die Fernsehjournalisten sind, die aufbegehren, entspricht der Bedeutung des Mediums und man könnte es - mit Vorsicht - als eine Art "Modernisierung" der alten Traditionen deuten. Neu ist auch das Bündnis zwischen der klassischen Kulturöffentlichkeit und den auf der Basis überwiegend im sozialen und ökologischen Bereich agierenden NGOs, die sich in den vergangenen Jahren nicht zuletzt als eine Reaktion auf die Unzulänglichkeit der Politik herausgebildet haben. Deren Selbstbewusstsein wurde durch die aktive Teilnahme und kritische Mitsprache auf den Foren anlässlich der Sitzung der Weltbank im September in Prag gestärkt.Der Streik der Fernsehjournalisten, inzwischen zu einer politischen Krise ausgewachsen, hat die Stimmung im Lande fast abrupt verändert. Die lähmende Ratlosigkeit ist wie weggefegt. Plötzlich hat es wieder Sinn sich politisch zu engagieren und das kommt vor allem den Elementen der Zivilgesellschaft im Lande zugute. Aber auch für die Politik selbst erweist sich die Krise als wohltuend.So zu schalten und zu walten wie bisher, werden sich die Abgeordneten nach dieser Lektion wohl nicht mehr trauen. Der Differenzierungsprozess in der Sozialdemokratie, von der sich Teile auf die Seite der rebellierenden Journalisten stellten, könnte das Ende der peinlichen Koalition zwischen Zeman und Klaus einläuten, vor allem aber mehr Raum schaffen für andere, bessere Politiker, die es in ihren Reihen auch gibt, die sich aber bisher nicht durchsetzen konnten. Auf die Dauer werden sich aber auch die zerstreut agierenden Elemente der Zivilgesellschaft und der Kultureliten die Frage stellen müssen, wie sie sich politisch organisieren oder erfassen, um sich auf der parlamentarischen Ebene ein Mitspracherecht zu sichern. Nicht zuletzt auch deswegen, damit sich eine ähnliche Krise nicht wiederholt.
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