In den meisten Studien über Zwangsarbeit im Dritten Reich werden Tschechen kaum oder nur am Rande erwähnt. Dabei war ihr Anteil an den in Deutschland eingesetzten Arbeitern keineswegs gering. Schon im Herbst 1941, das heißt vor der Deportation russischer Kriegsgefangener und deren Einsatz in der deutschen Kriegswirtschaft, standen die Tschechen mit 140.000 Personen hinter einer Million Polen und 270.000 Italienern an dritter Stelle unter den Nationen, deren Angehörige in Deutschland arbeiten mussten. 1944/45 - auf dem Höhepunkt der Zwangsverpflichtung - waren unter den 7,5 Millionen Fremdarbeitern etwa 500.000 Tschechen und 200.000 Slowaken.
Sucht man nach einer Erklärung für die Ignoranz gegenüber tschechischen Zwangsarbeitern, stößt man in der Regel auf das Argument, die Tschechen seien keine Deportierten gewesen - sie hätten sich freiwillig für die Arbeit im Dritten Reich gemeldet. Außerdem sei es ihnen im »Protektorat Böhmen und Mähren« recht gut gegangen. Die 600 Todesurteile, die nur beim Volksgerichtshof in Dresden gegen Protektoratsangehörige gefällt und vollstreckt wurden, bezeugen anderes.
Besonders für die Sudetendeutschen Landsmannschaften gehörte es zum Selbstverständnis, das Leiden der Tschechen im Protektorat herunter zu spielen, um die eigene Vertreibung als Willkür und Barbarei möglichst groß herauszustellen. Zuweilen wird das gängige Klischee bemüht, wonach es die Tschechen meisterhaft verstanden hätten, sich getreu ihrem Vorbild Schwejk »durch die Geschichte zu mogeln«.
Wie hartnäckig sich die These von der Freiwilligkeit des tschechischen Einsatzes hält, musste nicht zuletzt Jiri Silter - Prags Vertreter bei den jüngsten Entschädigungsverhandlungen - erfahren: Ihm wurde von offizieller deutscher Seite genau dieses Argument entgegengehalten. Doch auch auf tschechischer Seite löst manches im Umgang mit der Vergangenheit Verwunderung aus: Einerseits gehört der »Totaleinsatz« (totálni nasazeni), wie die Zwangsarbeit seinerzeit genannt wurde, zur prägenden Erfahrung einer ganzen Generation, tief verankert im Kollektivbewusstsein der Gesellschaft. Auch die meisten Jugendlichen wissen noch, wovon die Rede ist - andererseits lässt eine historische Aufarbeitung der Vorgänge zwischen 1938 und 1945 etliches zu wünschen übrig. Außer einigen Teilstudien gibt es nach wie vor nur die Monographie totálni nasazeni von Frantisek Mainus, entstanden 1970. Zum Kronzeugen für den »Totaleinsatz« wurde indes bereits 1954 Karel Ptácnik mit seinem Roman Jahrgang 21, der 1958 ins Deutsche übersetzt wurde und als ein klassisches Werk des sozialistischen Realismus in der tschechischen Literatur gilt.
Für das Reich und ein »Neues Europa«
Zweifellos ging es tschechischen Zwangsarbeitern besser als Russen oder Polen. Wie hart sie auch arbeiten mussten, der Status von »Inländern«, den sie mit einigen Einschränkungen als Protektoratsangehörige hatten, schützte sie vor der schlimmsten Willkür. Da sie nicht als Ausländer galten, wurden sie bei der Reichspost oder Reichsbahn ebenso beschäftigt wie bei halbmilitärischen Organisationen - vom Luftschutz mit seinen Landbautruppen über die Technische Nothilfe bis hin zur Organisation Todt (OT).
Im Unterschied zu den Zwangsarbeitern anderer Nationen verfolgte die NS-Führung im Falle der Tschechen allerdings auch andere Ziele als nur die Rekrutierung für die Kriegswirtschaft. Im Sinne der Rückführung der böhmischen Länder in den deutschen Lebensraum, wohin sie nach nationalsozialistischer Vorstellung historisch gehörten, sollte mit dem Transfer von 100.000 Tschechen ins Reich das tschechische Element im Lande geschwächt - sollten junge Menschen durch den Aufenthalt in deutschem Milieu auf eine Germanisierung eingestimmt werden. Es entsprach dieser Ideologie, dass zugleich keine tschechischen Arbeiter in den Sudetengau durften, da dort allein die deutsche Bevölkerung dominieren sollte. Auch dem Widerstand gegen die Okkupation gedachte man mit dem »Totaleinsatz« rechtzeitig Sympathisanten zu entziehen.
Begonnen hat die Geschichte der tschechischen Arbeitskräfte im NS-Staat bereits im Herbst 1938, als unmittelbar nach dem Münchener Abkommen das Reichsarbeitsministerium bei der Regierung in Prag anfragen ließ, ob in der Tschechoslowakei Arbeitskräfte angeworben werden könnten. Es wurden Verträge für einen ein- bis zweijährigen Einsatz in Deutschland angeboten - eine Offerte, die seinerzeit etwa 40.000 Arbeiter vorzugsweise aus der Bau- und Metallindustrie annahmen. Dem deutsche Begehren kam eine zu diesem Zeitpunkt recht prekäre Beschäftigungssituation in der Tschechoslowakei zugute. Nach Abtrennung der Sudetengebiete waren fast 200.000 Tschechen ins Landesinnere geflohen, was den einheimische Arbeitsmarkt vollends überforderte.
Zwar reagierten die Behörden in Prag auf den deutschen Wunsch betont reserviert, weil sie dahinter zu Recht Germanisierungsabsichten vermuteten, auch strafte die Öffentlichkeit diejenigen, die sich freiwillig meldeten, mit Missachtung und Boykott, doch verzeichneten die deutschen Werbebüros, die in sechs größeren Städten eingerichtet wurden, einen gewissen Zulauf. Die Versprechen auf höhere Löhne sowie angenehme Arbeitsbedingungen hinterließen Wirkung. Bevor allerdings der erste Schub von 11.000 »Gastarbeitern« im März 1939 die Fahrt ins Reich antrat, zog die Wehrmacht in Prag ein und okkupierte den Rest der Tschechoslowakei als »Protektorat Böhmen und Mähren«. Die Anwerbung von Arbeitskräften lief ohne Verzug weiter, verlor aber schon im April/Mai 1939 zusehends ihren freiwilligen Charakter. Vor allem Arbeitslose wurden nun verpflichtet, sich bei den deutschen Werbebüros zu melden. Verweigerten sie »die Arbeit im Reich«, wurde ihnen die Arbeitslosenunterstützung gestrichen. So mussten bis September 1939 70.000 Tschechen den Weg nach Deutschland gehen - knapp 4.000 davon Frauen.
Vier Jahrgänge für den »Totalen Krieg«
Nach dem Ausbruch des II. Weltkrieges nahm der Druck weiter zu. Die nur noch von Deutschen geleiteten Arbeitsämter strebten die totale Kontrolle der Arbeitskräfte im Protektorat an. Je mehr deutsche Männer zur Wehrmacht einberufen wurde, desto höher die Kontingente an Arbeitern, die ins Reich »geschickt« werden mussten. Ab 1941 belief sich die Quote auf 10.000 pro Monat. Nach außen hin wurde weiterhin von Freiwilligkeit gesprochen und den Tschechen in Broschüren oder auf Plakaten suggeriert, ihre Arbeit in Deutschland helfe »ein neues Europa« aufzubauen.
Nach den ersten Niederlagen der deutschen Wehrmacht im Winter 1941/42 verfügte dann aber der Regierungserlass 10/42 vom Mai 1942, dass jeder Erwerbstätige zur Arbeit im Reich dienstverpflichtet werden konnte. Von Freiwilligkeit »im Dienste des Führers« war jetzt auch offiziell keine Rede mehr, so dass ab September 1942 schließlich ganze Jahrgänge zur Arbeit in der deutsche Rüstungswirtschaft gezwungen wurden. Diese Willkür traf zunächst die 1921 und 1922 Geborenen. In einem der vielen Transporte, die bis zum Jahresende Herbst 1942 das Protektorat in Richtung Deutschland verließen, war auch der bereits erwähnte Karel Ptácnik, jetzt ein Angehöriger der halbmilitärischen Landbautruppen. Baumholder, Saarbrücken, Kassel, Essen und Zeitz waren die Orte, die er aus der Perspektive des Zwangsarbeiters in den nächsten drei Jahren kennen lernen sollte.
Insgesamt haben die allmächtigen Arbeitsämter des Protektorats allein im Jahr 1942 135.000 Personen ins Reich deportiert. Die Mobilisierung tschechischer Arbeitskräfte für Deutschlands »Totalen Krieg« strebte damit ihrem absoluten Höhepunkt entgegen, denn schon im folgenden Jahr kamen die Jahrgänge 1923 und 1924 an die Reihe. Sie waren ausschließlich zum Einsatz in der deutschen Flugzeugindustrie vorgesehen, bei einer Arbeitszeit von 60 bis 70 Stunden pro Woche.
Nachdem die Zahl der tschechischen Arbeitskräfte im Reich im Spätsommer 1944 das Limit von einer halben Million erreicht hatte, begann sie in den folgenden Monaten langsam abzunehmen. Viele, vor allem jungen Tschechen flüchteten oder kehrten aus dem Urlaub nicht mehr zurück. Überdies sorgten die täglichen Bombenangriffe für Chaos und erschwerten die Überwachung, so dass sich viele während der letzten Kriegswochen in ihre Heimat absetzten. Ihre Erfahrungen nahmen sie mit. Ambivalente Erfahrungen, wie sich zeigen sollte .
»Als wir nach Deutschland kamen, hassten wir alles Deutsche. Dort aber haben wir gelernt, Unterschiede zu machen und gesehen, dass es überall solche und solche Menschen gibt«, bilanziert Karel Ptácnik seine »Jahre im Reich«. »Es war für uns ein Ersatz für eine Welterfahrung, aber unter sehr harten Bedingungen ... « - Von den 23 Kameraden, mit denen er in Deutschland die Unterkunft teilte, leben heute noch neun. Ob sie noch alle da sein werden, wenn die Entschädigung endlich kommt?
Unsere Autorin lebt als Schriftstellerin in Saarbrücken.
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