Brunhilde und die Liebe

Kehrseite Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob Brunhilde von Lopuchnin geliebt wurde wie eine Frau von einem Mann geliebt wird. Denn eine deutsche ...

Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob Brunhilde von Lopuchnin geliebt wurde wie eine Frau von einem Mann geliebt wird. Denn eine deutsche Frau gefällt einem russischen Mann nur in zwei Fällen: Wenn er Zar ist und für das große Russland dringend eine große Zarin braucht, oder wenn er stark betrunken ist und nach Abwechslung im Leben verlangt. Ansonsten herrscht hier totale national-sexuelle Dysfunktion.

Lopuchnin war, wie schon sein Name zeigt, kein Zar, und er trank nur mäßig, so dass sein Verhältnis zu deutschen Frauen an Kühle grenzte. Nun, die deutschen Frauen gefallen auch ihren eigenen Männern nicht immer. Nicht ohne Grund sind diese so hinter Ausländerinnen her und pilgern in Touristenscharen und spontanen Bürgervereinigungen nach Thailand.

Aber Brunhilde war recht hübsch, man sah sie gern an. Von vorn, von hinten und von beiden Seiten. Am liebsten natürlich von hinten. Denn Brunhildes linke Brust war etwas kleiner als die rechte. Das ist für wahre Liebe und Leidenschaft kein Hindernis. Aber für die Echtheit seiner Gefühle konnte sich Lopuchnin nicht verbürgen, und wenn es ihn den Kopf kostete. Er kannte sich in den Gefühlen, die ihn bestürmten, einfach nicht aus.

In Brunhildes BMW, so viel war sicher, da fühlte er sich wohl. Auch wenn das ständige Sitzen am Steuer den Gang einer Frau unvorteilhaft verändert. Aber der Gang ist Nebensache, der ist meist außerhalb des männlichen Blickfelds. Normalerweise geht der Mann ja neben der Frau. Ungleiche Brüste aber, die fallen ihm auf. Bei einem Gespräch unter vier Augen zum Beispiel oder beim intimen Abendessen mit Bier und Würstchen. Und natürlich im Verlauf erotischer Szenen. Wie man sich auch dreht und wendet, die Brust spielt immer eine unmittelbare Rolle, befindet sich im Zentrum der männlichen Aufmerksamkeit und Berührung.

Wenn diese Szenen wenigstens noch häufiger stattfänden. Aber nein - einmal die Woche, ohne jede Ausnahme. Das hatte Brunhilde ihm gleich von vornherein gesagt: Liebe gemacht wird freitags, eisern. Sei bereit.

"Ich bin immer bereit", hatte Lopuchnin damals geantwortet.

Es war ihm egal, wann. Trotzdem war er neugierig: Warum gerade freitags? In einem günstigen Moment nach einem geplanten prophylaktischen Koitus erklärte er also Brunhilde: "Eigentlich", sagte er, "erlaubt meine Religion das freitags nicht. Freitagabend beginnt der Sabbat, und am Sabbat muss man ruhen und beten und nicht Liebe machen."

Brunhilde hörte sich seine Bedenken an und sagte gütig: "Sabbat? Wo gibt´s denn so was in eurem wilden Land?"

"Na ja, ich bin über die jüdische Linie zu euch nach Deutschland gekommen", erklärte Lopuchnin, "und Juden haben eben manchmal Sabbat. Ich bin zwar nicht ganz Jude, sondern nur zu einem Drittel, aber dennoch."

Brunhilde war dazu erzogen, die religiösen Gefühle anderer zu respektieren, auch die von Juden. Obwohl - von der Existenz einer besonderen jüdischen Linie in ihrem Land hatte sie noch nie gehört. Sie überlegte kurz und sagte: "Und wann ist dein Sabbat zu Ende?"

Lopuchnin überlegte ebenfalls kurz und antwortete: "Ich glaube, am Sonnabend. Bei Sonnenuntergang."

"Wunderbar", erklärte Brunhilde, "dann verlegen wir die Liebe auf Sonnabendabend und Sonnabendnacht. Das hat auch was für sich. Da erinnert man sich am Sonntag in der Kirche leichter, für welche Sünden man Gott um Verzeihung bitten muss."

Lopuchnin wunderte sich anfangs, warum sie sich nur einmal in der Woche zur Liebe herabließ. Sie war doch noch jung. Und von eher südlichem Temperament. Er vermutete: wegen ihrer Arbeit. Wochentags war sie vom intensiven Arbeiten zu erschöpft, da war ihr nicht nach körperlichen Freuden. Ebenso wenig am Sonntag, dem unvermeidlich der Montag folgte - ein schwerer, trüber Tag.

Aber was stellte sich heraus? Natürlich war Brunhilde nach der Arbeit müde wie ein Hund, das war im Kapitalismus normal. Doch der eigentliche Grund lag woanders. Lopuchnin fand ihn heraus, wenngleich nicht aus eigener Kraft. Er fragte Brunhilde - warum? Und sie erklärte es ihm. Und zwar so: "Weil das Wasser bei uns so teuer ist. Und Strom ist auch nicht gerade billig. Und nach unseren gymnastischen Übungen muss das ganze Bettzeug in die Wäsche. Damit ich die Waschmaschine nicht einmal zusätzlich anwerfen muss, lieben wir uns eben nach dem Wäschezyklus. Deshalb ist der Freitag am praktischsten. Dann kann man am Sonnabend alles waschen, was sich in der Woche angesammelt hat. Aber da dein Koran, oder wie eure jüdische Bibel heißt, dir den Freitag verbietet, werden wir eine Kompromisslösung finden."

Worauf Lopuchnin schweigend erwiderte: Sie fährt einen BMW, lebt in einer Wohnung mit separatem Gästeklo, aber beim Waschen und bei der Liebe spart sie. Na, egal, das mit der reglementierten Liebe begriff Lopuchnin. Und was man begreift, das erregt und beschäftigt einen nicht. Was einen dagegen beschäftigt, sind Rätsel der Natur und Geheimnisse des Universums. Und ein solches Rätsel war für Lopuchnin Brunhildes linke Brust. Genauer gesagt, ein Rätsel war die Frage: Warum? Warum hatte sie eine von der rechten, sozusagen mustergültigen Brust abweichende Gestalt? Und dieses Rätsel ließ Lopuchnin keinerlei geistige Ruhe. Aber sosehr er sich auch den Kopf zerbrach - er konnte es nicht lösen.

Eines Tages, an einem wunderschönen Wochentag, betrachtete Lopuchnin zufällig die anderen Frauen der Stadt Kreisburg eingehender. Betrachtete sie und war verblüfft: Praktisch alle diese Frauen wiesen den gleichen kleinen Defekt der Brust auf. Bis auf die Allerjüngsten und Knackigsten sowie die Emigrantinnen aus der ehemaligen UdSSR. "Heureka!", sagte Lopuchnin, nachdem er diese ein wenig nach Rassentheorie riechende Entdeckung gemacht hatte.

Lopuchnin aber war in seiner Vergangenheit Wissenschaftler gewesen, um ein Haar mit Doktortitel, und wusste darum genau, dass jede große Entdeckung nach gründlicher Überprüfung verlangt. Also überprüfte Lopuchnin seine Entdeckung. Was ihn einige Anstrengung kostete. Scheiß auf die Anstrengung, dachte er, vielleicht ist das ja mein Schicksal, mein Superglückslos. Vielleicht hab ich dafür mein ganzes Leben umgekrempelt und bin dummerweise emigriert: Damit ich diese rätselhafte Erscheinung der lebendigen Natur entschlüssele und auf ewig berühmt werde.

Zunächst also verführte Lopuchnin zu Zwecken wissenschaftlicher Empirie hinter Brunhildes Rücken nacheinander drei deutsche Frauen. Bei seinen Deutschkenntnissen und dem Verhältnis der meisten deutschen Frauen zu den heimatlosen Ausländern aus Russland, die von Sozialhilfe leben, eine wahrhaft gigantische Leistung. Jedenfalls führte Lopuchnin unter dem Deckmantel harmlosen Sexes an den bewussten Stellen Messungen durch, die seine Entdeckung bestätigten. Natürlich waren vier positive Ergebnisse (Brunhilde mitgerechnet) auf die gesamte weibliche Bevölkerung des Landes zu wenig. Aber Lopuchnin konnte schließlich nicht sämtliche Frauen der Bundesrepublik zwecks Überprüfung zu intimen Kontakten bewegen. Schon altersmäßig kamen nicht alle in Frage.

Um sich ein drittes Mal zu überzeugen, dass er nicht irrte, ging Lopuchnin mit Brunhilde drei Mal auf deren Kosten in die Sauna. Zum Glück sind die deutschen Saunen im weitesten Sinne des Wortes gemischt. Das heißt, die Frauen schwitzen dort zusammen mit Männern, Greisen und Kindern.

"So weit ist die deutsche Demokratie gediehen", schwärmte Lopuchnin, während er im BMW durch das Land reiste und nasse Frauenkörper in Thüringen, Bayern und Nordrhein-Westfalen betrachtete. "Eine wahrhaft offene Gesellschaft der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit."

Ein wenig vorauseilend sei gesagt, dass sich Lopuchnins Entdeckung auch in der Sauna bestätigte. Was ihm jedoch nicht die Ursachen dieser Erscheinung erklärte. Die Ursachen musste er noch herausfinden.

Was, dachte Lopuchnin, wenn sie alle von den mythologischen Amazonen abstammen? Denen die eine Brust beim Bogenschießen im Wege war. Allerdings haben die sich wohl die rechte Brust abgeschnitten. Wenn sie nicht gerade Linkshänderinnen waren. Oder doch die linke?

Oder vielleicht benutzen die deutschen Mütter nur die linke Brust, wenn sie ihre Kinder stillen und großziehen. Aus technologischen Gründen oder aus teutonischer Tradition. Und die rechte Brust schwillt durch die Milch, und die linke im Gegenteil?

Doch hier wandte Lopuchnin gleich selbst ein, dass schließlich nicht jede Frau Mutter war. Den Defekt aber hatten, mehr oder weniger ausgeprägt, alle Frauen. Doch auch das versuchte er sich irgendwie zu erklären. Zum Beispiel damit, dass man sie vielleicht von klein auf dazu erzog, auf der linken Seite zu schlafen. Weil das womöglich gesünder war. Das war natürlich kompletter Blödsinn, denn links ist bei den Frauen das Herz, und darauf zu schlafen ist nicht gesund, sondern schädlich.

Tja - die Lösung kam von ganz überraschender Seite. So geht es Entdeckern ja häufig. Eines Tages kam die Erleuchtung, der Geistesblitz.

Eines späten deutschen Abends - so gegen neun - überquerte Lopuchnin bei Rot die Straße. Ihm schien, es seien keine Autos da, und weil er als Kind keine klassische deutsche Erziehung genossen hatte, ging er los. Bis zur Mitte kam er ohne Zwischenfälle, dann hörte er Bremsenquietschen, das sich rasch näherte. Er drehte sich danach um und sah ein Auto direkt auf sich zukommen. Genau so eins wie das von Brunhilde, bloß blau und ein Peugeot. Am Steuer saß wie üblich eine Frau. Furchteinflößend wie der Tod: Die Augen weit aufgerissen, die Hände ins Lenkrad gekrallt, den Mund rund und offen. Wahrscheinlich schrie sie etwas. Aber vor allem: Durch die Windschutzscheibe sah Lopuchnin den Sicherheitsgurt, und dieser Sicherheitsgurt strich die Frau quasi quer durch, von der linken Schulter bis zur rechten Hüfte. Eine Brust starrte Lopuchnin direkt in die Augen, die andere aber war unter dem Gurt verschwunden.

Das ist des Rätsels Lösung, dachte Lopuchnin gerade noch. Und: Alles Geheimnisvolle und Rätselhafte ist simpel.

Aber das ist noch sehr die Frage. Was simpel ist und was rätselhaft.

Übersetzung: Ganna-Maria Braungardt

Alexander Churgin, 1952 in Moskau geboren, lebte zunächst in der Ukraine, seit 2003 in Deutschland. Zuletzt erschien im Freitag 29/2006 sein Text Der Autokauf.


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