Unnütze Mühe

Kehrseite I Viele Jahre betätigte sich Rostowzew, ein herausragender Zeitgenosse, als Ingenieur der menschlichen Seele. Eines Tages hatte er das Gefühl, dass ...

Viele Jahre betätigte sich Rostowzew, ein herausragender Zeitgenosse, als Ingenieur der menschlichen Seele. Eines Tages hatte er das Gefühl, dass seine Zeit bald reif sei. Nicht seine Zeit zu leben, sondern zu sterben. Schlecht ging es ihm nicht, nein, aber er hatte so ein Gefühl. Schöner ausgedrückt: eine Einbildung. Also musste er sich irgendwie rechtzeitig vorbereiten. Um ihm, dem Verfluchten, gewappnet entgegenzutreten, damit er ihn nicht im unpassenden Moment überrumpelte. Unklar war nur, was genau man in so einem Fall zu tun hatte. Damit wird ja jeder eines Tages konfrontiert, ohne Ausnahme, aber wie man sich darauf vorbereitet, weiß keiner.

Es heißt, man solle seine Angelegenheiten ordnen. Was für Angelegenheiten, und wie ordnen? Und wenn man weiß, wie, und sie geordnet hat, warum dann sterben? Wenn alle Angelegenheiten in Ordnung sind? Nein, wenn es ans Sterben geht, kann man nichts mehr in Ordnung bringen, denn dieser Umstand ist die größte Unordnung an sich. Und Angelegenheiten, die er hätte ordnen müssen, hatte Rostowzew keine. So sehr er auch suchte - er fand nichts.

Rostowzew überlegte und überlegte, womit er seine Zeit zum Abschied füllen sollte, aber ihm fiel nichts ein. Da reinigte er zur Ablenkung seine Tastatur, Taste für Taste. Und löschte die unanständigen Bildchen aus dem Computer, und zwar unwiderruflich. Er dachte sich nämlich: Früher sammelten die Leute im Laufe des Lebens ein Archiv an - Briefe, private und geschäftliche, diverse Papiere von unterschiedlicher Wichtigkeit, Quittungen über Miet-, Strom- und Gaszahlungen und natürlich Tagebücher. Heute aber haben sie nur den Computer. Da ist alles drin, in seinen Bauch passt alles rein, und es bleibt noch jede Menge Platz. Wahrscheinlich für die Nachkommen. Klar, dass meine Biografen sich meinen Computer ansehen werden. Und die Tastatur hab ich mit meinen Fingern so abgegrapscht, dass man sie gar nicht ansehen mag, geschweige denn anfassen. Und auf der Festplatte liegt alles Mögliche rum. Das ist nicht schön.

Drei Tage und Nächte putzte Rostowzew die Tastatur. Dann putzte er das Gehäuse und den Monitor. Er nahm einen Schwamm, feuchtete ihn an, seifte ihn leicht ein und bearbeitete gründlich sämtliche Oberflächen seines Computers. Zentimeter für Zentimeter. Bis sie wieder anständig, ja direkt anbietbar aussahen.

Aber seine Mühe war umsonst. Das Erste, was nach Rostowzews Tod auf dem Müll landete, war der Computer. Weil er so uralt war. Und der Monitor war so schlecht, dass niemand, der nicht scharf aufs Erblinden war, daran gearbeitet hätte.

Alles andere wurde übrigens ebenfalls weggeschmissen. In Rostowzews Wohnung fand sich kein einziger Gegenstand, der nicht nur ihm selbst wertvoll, sondern auch darüber hinaus von irgendeinem Wert gewesen wäre. Als Rostowzew noch lebte, hatte er eine kluge, flauschige Katze besessen, doch die lasen Gott sei Dank gute Menschen von der Straße auf und nahmen sie mit. Vielleicht waren es ja auch keine guten Menschen, aber die Katze glaubte das zumindest. Weil sie sie immerhin aufgenommen haben. Außer der Katze war in der Wohnung nur Krempel, den niemand, kein einziger Nachkomme, haben wollte, nicht mal geschenkt. Nur gut, dass Rostowzew keine direkten und gesetzlichen Erben hatte. Als er starb. Die hätten bloß unaufrichtig um den verstorbenen Verwandten getrauert.

Übersetzung aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt

Alexander Churgin, geboren 1952 in Moskau, lebt seit 2003 in Deutschland.


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