Besuch bei Vann Nath, dem Maler. Nach der Nudelsuppe im Restaurant Kitch Eng an der Straße 169 in Phnom Penh führt er mich in eine kleine Galerie im Nebenraum. Dort hängen seine Gemälde. Ausnahmslos Motive, die Horror und Folter in Tuol Sleng zeigen, dem Deportationscamp der Khmer Rouge zwischen 1975 und 1979. Fast 20.000 Menschen starben dort oder auf den Killing Fields im nahen Choeung Ek. In Tuol Sleng, Codename S-21, malte Vann Nath Porträts des Khmer-Rouge-Führers Pol Pot – und überlebte.
Ich kaufte eines der Bilder. Es zeigt einen schmalen Mann in schwarzer Kleidung, der auf einer roten Holzbank sitzt und ein Gemälde begutachtet, das ihm ein Gefangener zeigt. Auf diesem Bild ist ein gut aussehender Khmer mit breitem, freundlichem Gesicht zu sehen – unverkennbar Pol Pot. Der Gefangene hieß Vann Nath und kannte damals weder Pol Pot noch den Gutachter. Erst später sollte er erfahren: Der sein Werk beurteilte, war Kaing Guek Eav, alias Duch, Chef der Geheimpolizei Santebal und Herr über Leben und Tod in Tuol Sleng. Duch bewertete Vanns Bild positiv, ein lebensrettender Befund, wie sich zeigen sollte. Vann Nath zählte zu den sieben Häftlingen in S-21, die noch am Leben waren, als die vietnamesische Armee Phnom Penh am 7. Januar 1979 befreite und die Khmer Rouge vertrieb.
2008 sprach ich mit Youk Chhang, den Direktor des Documentation Center of Cambodia, das etwa 400.000 Archivalien über die Zeit der Pol-Pot-Diktatur aufbewahrt, über den Kommandanten von S 21. Er beschrieb Duch mit den Worten: „Er wollte verehrt werden für seine Intelligenz und Bescheidenheit. Und es kam so weit, dass er sich als Gott des Bösen sah.“ – In Choeung Ek, den Killing Fields nahe Phnom Penh, in denen Henker aus S-21 die Gefangenen zu Tausenden mit der Hacke erschlugen, pflegte Duch im schwarzen Pyjama am Rand zu sitzen und die Massenhinrichtungen zu beobachten. Um den Hals das Kramar, das kambodschanische Bauerntuch, an der Hüfte eine K-54-Pistole, zwischen den Lippen eine Kotah, die Zigarette für höhere Kader. Er selbst habe niemanden umgebracht, beteuert Duch bis heute, sondern nur Befehle weitergegeben. Und die kamen von den Khmer-Rouge-Führern in Phnom Penh.
Geboren wird Kaing Guek Eav am 17. November 1942 im kleinen Ort Stoung an der Straße nach Kampong Thom. Seine zur chinesischen Minderheit gehörenden Eltern sind arm. Während andere Volleyball spielen, beschäftigt sich der kleine Guek Eav mit Büchern. Er gilt als klug und verständnisvoll, liest Victor Hugo, später Voltaire, Rousseau, Molière und Montaigne. Er besucht in Kompong Cham die Grundschule. Sein Lehrer Ke Kim Huot unterstützt ihn wie andere Schüler mit Geld, damit sie weiter lernen können.
1962 wechselt Guek Eav nach Phnom Penh, lebt im Tempel Ounalom, studiert Mathematik und beginnt eine Lehrerausbildung am Pädagogischen Institut, dessen Direktor Son Sen heißt und einmal Verteidigungsminister der Khmer Rouge sein wird. Nach seinem Studium erhält Guek Eav 1965 eine Stelle am Lyzeum in Skoun bei Kompong Cham. Während seine Kollegen dort Partys feiern, habe er sich chinesische Propaganda-Filme angesehen, heißt es.
1967 wird Kambodscha immer häufiger durch Bauern- und Studentenaufstände erschüttert. Das Staatsoberhaupt, Prinz Norodom Sihanouk, fühlt sich bedrängt und reagiert mit einer Verhaftungswelle. Auch Guek Eav ist zur Fahndung ausgeschrieb, er landet im Zentralgefängnis von Phnom Penh, danach im Lager Prey Sar, und wird gefoltert. Als im März 1970 Marschall Lon Nol als Mann der Amerikaner gegen Sihanouk putscht, gibt es eine Amnestie. Auch Guek Eav wird entlassen und erst 1975 als Genosse Duch wieder auftauchen, wenn hinter ihm Jahre im Dschungel und eine Bewährung als Kader der Khmer Rouge liegen. Erstmals wird er Kommandant eines Lagers für gefangene Soldaten Lon Nols, das den Codenamen M-13 trägt und wie ein Vorspiel für Tuol Sleng wirkt, das zu Zeiten der Khmer Rouge Tag und Nacht beleuchtet sein wird, während das entvölkerte Phnom Penh ringsherum in Dunkelheit versinkt.
Ab 1977 grassiert ein paranoider Verfolgungswahn der Führung des Demokratischen Kampuchea, wie sich der Pol-Pot-Staat nennt, und verschont auch die eigenen Leute nicht mehr. Nun wird in Tuol Sleng selbst Informationsminister Hu Nim als Todeskandidat eingeliefert, der zusammen mit Saloth Sar alias Pol Pot in Paris studiert hat. Ende 1978 sind drei Viertel der einst 22 Mitglieder des ZK der KP Kampucheas nicht mehr am Leben. Die Partei ist den meisten ohnehin nur als Angkar – die Organisation – bekannt. Zuletzt geht das Wachpersonal von Tuol Sleng auf Befehl von Duch dazu über, eingelieferte Gefangenen sofort zu töten. Vernehmungen und Folter werden als zeitraubend empfunden.
Anfang 1979, als die vietnamesische Armee dem Pol-Pot-Regime ein Ende setzt, ist Duch einer der letzten, der Phnom Penh in Richtung thailändische Grenze verlässt. Er gilt danach als verschollen, was vermutlich so geblieben wäre, hätte es nicht einen jungen Iren namens Nic Dunlop gegeben, der 1990, ausgerüstet mit Notizbuch und Fotoapparat, von Thailand aus Kambodscha besucht. Er sieht das Genozid-Museum in Tuol Sleng und stößt auf das Foto des Mannes, von dem es heißt, er habe als Genosse Duch das Camp S-21 geführt. Dunlop besorgt sich eine Reproduktion des Fotos und wird es fortan bei sich tragen.
1999, inzwischen 29 Jahre alt und als Fotoreporter in Bangkok stationiert, ist Nic Dunlop auf der Nationalstraße 10 erneut in Kambodscha unterwegs, um sich in dieser Gegend ein Bild über das dortige Minen-Räumprogramm zu machen. Der junge Ire unterhält sich mit Bewohnern und sieht plötzlich einen mageren Mann mit großen Augen, schlechten Zähnen und struppigen Haaren, der Interesse für seine Leica-Kamera zeigt. Nic fühlt sich wie elektrisiert. Er ist überzeugt, dem Mann gegenüber zu stehen, dessen Foto er seit fast zehn Jahren bei sich hat: Kaing Guek Eav, genannt Duch, Pol Pots Henker in Tuol Sleng. Der Mann trägt ein weißes T-Shirt mit den Initialen ARC für American Refugee Commitee, einer US-Hilfsorganisation, und stellte sich in perfektem Englisch als Hang Pin vor, einst Lehrer für Mathematik und aus Phnom Penh hierher gekommen.
Nic Dunlop unterhält sich zwei Stunden mit ihm und macht Aufnahmen von seinem Gegenüber. Zurück in Bangkok vergleicht er sein altes Foto mit den neuen Bilder und hegt keinen Zweifel mehr, Duch gefunden zu haben. Nic erzählt seine Geschichte ein paar Redakteuren der Far Eastern Economic Review und informiert mit Nate Thayer den Journalisten, der 1997 als letzter den kranken Pol Pot kurz vor dessen Tod interviewt hat.
Thayer begleitete Nic Dunlop ins ehemalige Khmer-Rouge-Gebiet von Samlaut nahe der Diamantenstadt Pailin. Sie treffen einen Hang Pin, der überschwenglich seinen christlichen Glauben preist. „Ich bin ein Sohn Gottes.“ Thayer kennt keine Rücksicht. Er sagt ihm unumwunden, über Informationen zu verfügen, die ihn als Kader des Sicherheitsdienstes der Khmer Rouge auswiesen. Duch will das nicht bestreiten. „Es ist Gottes Wille, dass Sie hier sind“, sagt er. „Meine Zukunft liegt jetzt in Gottes Hand.“ Nic Dunlop und Nate Thayer verabschieden sich schnell, weil sie die Lage als bedrohlich empfinden. Die Roten Khmer haben zwar ihre Waffen abgegeben, doch beherrschen sie noch immer diese Region.
Als Dunlop und Thayer publizieren, wen sie gefunden haben, schaltet sich die Regierung in Phnom Penh ein, und Duch muss endgültig aufgeben. In einem Helikopter wird er 1999 ins Militärgefängnis von Phnom Penh gebracht – doch soll es noch Jahre dauern, bis sein Fall dem Internationalen Kambodscha-Tribunal übergeben wird.
Alexander Goeb ist Autor in Frankfurt/M. Er berichtete 1979 als einziger Journalist aus der Bundesrepublik über das erste Tribunal, das gegen Pol Pot in Abwesenheit verhandelte
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