Diplomatisches Asyl: Der Fall Julian Assange

Völkerrecht Es bleibt weiter unklar, ob und wann Julian Assange die Botschaft Ecuadors verlassen wird. Dort steht er unter diplomatenrechtlichem Schutz. Aber ist das rechtmäßig?

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Julian Assange spricht vom Balkon der Ecuadorianischen Botschaft. Dort steht er unter diplomatenrechtlichem Schutz. Aber ist das rechtmäßig?
Julian Assange spricht vom Balkon der Ecuadorianischen Botschaft. Dort steht er unter diplomatenrechtlichem Schutz. Aber ist das rechtmäßig?

Foto: Jack Taylor/Getty Image

Die Situation ist verzwickt wie eh und je: Die Ermittlungen Schwedens gegen Julian Assange wurden mittlerweile eingestellt, die britische Polizei würde ihn aber dennoch gerne festnehmen - weil er angeblich gegen Kautionsauflagen verstoßen hat. Unklar ist, ob und wann der Australier die ecuadorianische Botschaft in London wieder verlassen wird.

Bereits seit 2012 versteckt Assange sich in der ecuadorianischen Botschaft in London. Eine schwedische Staatsanwältin ermittelte gegen ihn wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung und hat Großbritannien um seine Auslieferung ersucht. Aus der Sicht des heute 45- jährigen waren die Anschuldigungen nur ein Vorwand, um ihn verhaften und wegen seiner Tätigkeit für die Enthüllungsplattform WikiLeaks zur Rechenschaft zu ziehen. Obwohl ein Teil der ihm zur Last gelegten Sexualdelikte im August 2015 verjährt sind, ist bislang noch ungewiss, wann Assange das Botschaftsgebäude wieder verlassen wird.

Schutz durch Diplomatenrecht

Vor einer Verhaftung durch die britischen Behörden innerhalb der Botschaft wird er durch die Unverletzlichkeit der diplomatischen Mission geschützt. Das bedeutet, dass kein Vertreter des empfangenden Staates das Gebäude ohne die Zustimmung des Missionschefs betreten darf. Für die ungehinderte Arbeit und den persönlichen Schutz von Diplomaten ist diese Regel so elementar, dass alle Staaten weltweit ihn respektieren – auch im Interesse ihrer eigenen Gesandten. Es würde daher zu schweren internationalen Verwerfungen führen, wenn Großbritannien sie missachten und Assange in der Botschaft festnehmen würde.

Die Aufgabe einer Auslandsvertretung besteht aber darin, zwischenstaatliche Beziehungen im Interesse des entsendenden Staates und seiner Staatsangehörigen zu pflegen. Sie ist nicht dazu da, Verdächtigen Schutz vor der Polizei zu gewähren. Strafverfolgung ist grundsätzlich eine innere Angelegenheit jedes Staates, aus der sich andere Staaten herauszuhalten haben. Tun sie das nicht, verstoßen sie gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot. Etwas anderes kann nur gelten, wenn das Botschaftspersonal einen eigenen Landsmann aufnimmt. Sie können sich dann darauf berufen, im Interesse der eigenen Staatsangehörigen zu handeln und einen ureigenen Missionszweck zu erfüllen. Assange ist aber nicht Ecuadorianer, sondern Australier. Somit nimmt Ecuador durch seine Aufnahme kein eigenes schützenswertes Interesse wahr.

Botschaftsasyl gibt es nur ausnahmsweise

Ein Verstoß gegen das Interventionsverbot kann nur in Ausnahmefällen erlaubt sein. Auch dann muss es einen völkerrechtlich anerkannten Grund dafür geben. Ecuador beruft sich darauf, diplomatisches Asyl zu gewähren. Als diplomatisches Asyl wird die Aufnahme von Flüchtlingen in Botschaftsgebäuden bezeichnet. Das Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen, der Internationale Gerichtshof in Den Haag, hat dieses Vorgehen schon im Urteil zu seinem ersten Asylfall 1950 als völkerrechtswidrig abgelehnt. Nach Auffassung des Gerichtshofes kann es nur rechtmäßig sein, wenn der verfolgende Staat diplomatisches Asyl anerkannt hat. Tatsächlich haben mehrere süd- und mittelamerikanische Staaten entsprechende Abkommen unterzeichnet. Großbritannien hingegen hat das nicht getan. Daher kann die ecuadorianische Regierung auch nicht von den Briten verlangen, das Asyl zu billigen und Assange etwa unbehelligt ausreisen zu lassen.

Trotz der Rechtslage, die vom Internationalen Gerichtshof in seinem Urteil von 1950 identifiziert wurde, haben schon zahlreiche Staaten Personen in ihren Botschaften Zuflucht gewährt. In das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt haben sich die Bilder der DDR-Bürger, die sich zwischen Juli und September 1989 über mehrere Wochen in den Auslandsvertretungen der BRD in Polen, der CSSR, Ungarn und Ost-Berlin aufhielten. Sie wollten auf diese Weise den DDR-Oberen ihre Ausreise in den Westen abringen. Von der westdeutschen Regierung wurden sie zumindest geduldet. Ein Asyl von beispielloser Dauer war auch das des ungarischen Kardinals Mindszenty. Der Geistliche floh vor der Verfolgung durch das sozialistische Regimes in seinem Heimatland 1956 in die US-Botschaft in Budapest und verließ das Gebäude 15 Jahre nicht mehr.

Die Rolle der Menschenrechte

Diese Beispiele zeigen, dass Staaten einzelnen Schutzsuchenden, die in ihren elementarsten Rechten bedroht sind, den Zugang zu ihren Auslandsvertretungen nicht verweigern, auch wenn sie diplomatisches Asyl als Rechtsgrundsatz nicht anerkennen wollen. Das ist der Tatsache geschuldet, dass die Menschenrechte heute durch die internationale Gemeinschaft viel stärker akzeptiert werden als noch zur Zeit der IGH-Entscheidung 1950. Haben sich die Staaten schon durch Art. 56 der Charta der Vereinten Nationen verpflichtet, zur Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zusammenzuwirken, wurde deren Rolle durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950, den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte von 1966 und die Antifolterkonvention von 1984 in der Folgezeit noch gestärkt. Nach allgemeinem Verständnis ist nicht mehr nur der einzelne Staat allein dafür zuständig, seine Bürger vor Mord, Folter, Rassendiskriminierung oder Willkürjustiz zu schützen, sondern auch die internationale Gemeinschaft als Ganzes. Wenn eine Regierung bei dieser Aufgabe versagt oder selbst Menschenrechte verletzt, kann auch ein anderer Staat eingreifen. Das gilt zumindest dann, wenn Schutz durch eine internationale Gemeinschaft oder einer Aktion mehrerer Staaten nicht rechtzeitig kommt. Ein Staat kann die Menschenrechte auch dadurch schützen, dass er gefährdete Personen zumindest vorübergehend in seine Auslandsvertretungen aufnimmt.

So behauptet die Regierung Ecuadors in einer Erklärung, Assange vor einer weiteren Auslieferung durch Schweden an die USA schützen zu wollen. Dort drohe ihm Willkürjustiz und die Todesstrafe. Tatsächlich aber haben die Vereinigten Staaten noch keinen Auslieferungsantrag gestellt. Sollten sie das noch tun, stellt der Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl hohe Anforderungen an eine Überstellung. Außerdem dürfte Schweden als Verpflichtete der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle eine Person ohnehin nicht in ein Land ausliefern, in dem ihr die Todesstrafe droht. Daher dient das Asyl nicht dazu, Assanges elementare Menschenrechte zu schützen, sondern ihn der Strafverfolgung zu entziehen. Weil dies mit den Zwecken der diplomatischen Mission nicht zu vereinbaren ist und gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot verstößt, handelt Ecuador durch die Aufnahme Assanges rechtswidrig.

Tragödie oder Happy End?

Trotzdem folgt aus der Rechtswidrigkeit noch keine durchsetzbare Verpflichtung der Südamerikaner, ihn an die britischen Behörden herauszugeben. Einstweilen erinnert die Geschichte des Wikileaks- Sprechers an einen modernen Grafen von Monte Christo. Doch bislang kann niemand abschätzen, welches Ende diese Geschichte nehmen wird.

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