Ein sonderbares Gebilde steht da mitten im Raum. Eine sechseckige Säule, durchbohrt von Metallrohren. Wie Fahnen hängen bedruckte Stoffe an den Rohren. Das obere Ende der Säule ist aus Glas, dahinter sieht man eine abgeschlagene Hand aus Marmor. Ist das hier ein Schrein? Vielleicht. Erschaffen hat ihn Otobong Nkanga.
Die Künstlerin mit nigerianischen Wurzeln gilt als Shooting Star des Kunstbetriebs. Sie arbeitet genreübergreifend, entwickelt Performances und Installationen, arbeitet mit Video, Fotografie, Zeichnungen und Malerei. Auf den Biennalen in Benin, Shanghai und im arabischen Emirat Schardscha waren die Werke der 40-Jährigen bereits zu sehen, aber auch in Institutionen wie der Londoner Tate Modern oder im Amsterdamer Stedelijk Museum. 2012 brachte ein Arbeitsstipendium sie ans Frankfurter Weltkulturen Museum, im Jahr darauf war sie DAAD-Stipendiatin in Berlin. Und jetzt also eine Einzelausstellung im renommierten Museum Folkwang in Essen. Tracing Confessions heißt die Schau.
Im dicken Dufflecoat, die Lippen in grellem Violett geschminkt, steht Nkanga im Ausstellungsraum und spricht über ihr Werk. Sie gestikuliert raumgreifend. Sie lacht viel. Resolut, imposant, einnehmend: Das sind Adjektive, die einem nach einigen Minuten mit der Künstlerin in den Kopf kommen. Bekannt wurde Nkanga durch eine Aufführung, bei der sie einen Blumentopf mit Nachtjasmin auf dem Kopf balanciert. Die seltene Pflanze wird auch die „Königin der Nacht“ genannt. Abwandlungen dieser Performance zeigt sie immer wieder, zuletzt auch auf der Kunstmesse Art Basel. Dort bewegten sich gleich mehrere Frauen mit der Topfpflanze auf dem Kopf an Linien entlang durch einen Raum. Die Linien sollen die Migrationsrouten symbolisieren, die auch die Geschichte von Pflanzen prägen. Sie sollen auf die lange Historie von Globalisierung und Migration verweisen.
Ihre nigerianischen Wurzeln sind für sie von elementarer Bedeutung, betont die Künstlerin. „Die mündliche Überlieferung, das Körperliche, das Emotionale“ nennt sie als charakteristisch. Vor allem in ihren Performances spielt das eine Rolle, wo Körper ganz direkt zum Einsatz kommen.
Satelliten und Exoten
Dass es momentan einen Hype um nichtwestliche, um außereuropäische Kunst gibt, ist kaum zu übersehen. Ob Großausstellungen wie die Documenta (13), die nicht nur viele Künstler jenseits des westlichen Kunstmainstreams präsentierte, sondern auch Satellitenausstellungen in Afghanistan und Ägypten hatte, oder Ausstellungshäuser wie die Berliner Kunst-Werke und das von Okwui Enwezor geführte Haus der Kunst in München: Künstler aus Afrika, Asien oder Südamerika sind heute allgegenwärtig. Ist der Kunstbetrieb der westlich dominierten Kunst plötzlich überdrüssig? Das könnte ein Grund sein für die Faszination am vermeintlich Exotischen. Entscheidender ist aber sicherlich, dass außereuropäische Künstler von sich aus den Schulterschluss suchen, dass sie sich den gefragten Formaten und Ästhetiken öffnen.
Nach Essen hat Otobong Nkanga das Projekt 25/25/25 der NRW Kulturstiftung geführt. 25 international tätige Künstler wurden eingeladen, sich jeweils mit einer Sammlung von 25 Museen in Nordrhein-Westfalen auseinanderzusetzen und neben einer Ausstellung auch ein Werbeplakat zu entwerfen. Anlass für diese Mischung aus Kunstprojekt und regionalem Marketing ist das 25-jährige Bestehen der Stiftung.
Otobong Nkanga befragte dazu die Mitarbeiter des Folkwang Museums. Welches Werk aus der Sammlung berührt sie? Zu welchem haben sie eine besondere Beziehung aufgebaut? In den Depots des Hauses fotografierte sie die Befragten mit ihrem Lieblingsstück. Das Motiv, das sie schließlich für das Poster in der Essener Innenstadt auswählte, zeigt René Grohnert, den Leiter der Abteilung für Plakatkunst. Grohners Sammlungsstück ist gleichfalls ein Werbeplakat. Entworfen hat es der Grafikdesigner Lucian Bernhard 1908 für das Schuhgeschäft Stiller. Damals war es revolutionär. Man sieht auf dem Plakat nicht mehr als einen hochhackigen Frauenschuh und den Schriftzug des Warenhauses. So reduziert, so direkt war die Werbung vorher nie. Um Grohnert herum liegen und hängen weitere Plakate. Da wirbt ein schwülstig-überladenes Blumenmotiv für die Reichsgartenschau 1938. Da wird ein Konzert von Duke Ellington angekündigt, eine Picasso-Schau, eine Studentendemo und die „Westdeutsche Fachschau für das Gaststätten- und Hotelgewerbe“.
„Ich habe dieses Foto für mein Plakat ausgewählt, weil es eine Geschichte der Stadt Essen erzählt“, sagt die Künstlerin. Und gleichzeitig unzählige mögliche Geschichten – das ist ihr wichtig. „Multifaceted“, also vielfältig oder facettenreich, ist das Wort, das sie am häufigsten verwendet, wenn sie ihre Kunst beschreibt. „Ein einzelnes Ereignis kann Tausende unterschiedliche Erzählungen hervorrufen“, sagt Nkanga. Es gehe ihr dabei nicht darum, der hegemonialen Wahrheit eine andere Wahrheit entgegenzustellen. Stattdessen will sie die Vielfalt der Standpunkte und Sichtweisen aufzeigen. Damit steht sie auch in akademischen Traditionen, bezieht sich in spielerischer Weise auf Denkrichtungen wie den Poststrukturalismus, den Dekonstruktivismus oder die Postcolonial Studies. „Die eine Wahrheit gibt es nicht“, sagt Nkanga. „Höchstens meine Wahrheit.“
Für die junge, erfolgreiche Künstlergeneration mit afrikanischen Wurzeln prägte die Schriftstellerin und Essayistin Taiye Selasi den Begriff „Afropolitan“. Aufgewachsen in Afrika, ausgebildet in der westlichen Welt sind sie es, die aktuell wichtige Impulse setzen, so Selasi. In der Literatur zählen Teju Cole und Chimamanda Ngozi Adichie, die Wurzeln in Nigeria haben, zu diesen Künstlern der Stunde. Im Theater wird meistens Dieudonné Niangouna, der aus der Republik Kongo nach Frankreich ging, genannt. In der bildenden Kunst rechnet man die in Äthiopien geborene Malerin Julie Mehretu oder Kader Attia, dessen Eltern aus Algerien stammen, zu den „Afropolitans“ dazu. Oder eben Otobong Nkanga. Sie begann ihre akademische Ausbildung in Nigeria, wechselte dann an die angesehene Pariser École nationale supérieure des beaux-arts. Heute lebt sie in Antwerpen.
High Potentials
Fragt man Otobong Nkanga, was sie vom Begriff „Afropolitan“ hält, dann antwortet sie mit einem lautstarken „I don’t give a shit“. Eine Vorzeige-Afrikanerin will sie nicht sein. Was die Künstlerin am meisten an dem neuen Etikett stört, ist, dass es suggeriert, dass ein Afrikaner nur dann zum „High Potential“ reifen kann, wenn er die Heimat verlässt, wenn er westliche Bildung in Anspruch nimmt, sich auf den hier herrschenden Markt einlässt. Nkanga selbst ist diesen Weg gegangen – und wird deshalb vorerst mit dem Widerspruch leben müssen, dass ihre Karriere genau dadurch überhaupt erst so an Fahrt aufgenommen hat.
Im Folkwang Museum stieß sie auch auf die abgebrochene Marmorhand, die nun im Zentrum ihrer Ausstellung steht. In den 1920er Jahren kam die Hand ins Museum. Ein einziges Mal wurde sie damals ausgestellt, als Fragment einer buddhistischen Statue aus Gandhara im heutigen Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan. Im Zweiten Weltkrieg wäre sie dann beinahe zerstört worden, als ein Bombentreffer einen Teil der Sammlung erfasste. Das Objekt wurde aus den Trümmern geborgen. In den Archiven führte man es fortan als Teil einer griechischen Diskuswerfer-Figur. Erst viele Jahre später wurde die Hand wieder der gandharischen Kultur zugeschrieben. Auch sie erzählt eine Geschichte der Migration und eine Geschichte des Vagen. Zwei Malereien auf Papier stellt Nkanga ihrer Installation mit der Marmorhand gegenüber. Sie zeigen Landkarten, man sieht die Wege der Seidenstraße, Figuren ohne Gesichter, Figuren mit Prothesen, die an die Ästhetik von Comics oder Kinderbüchern erinnern.
Der Boom nichtwestlicher Kunst dürfte in den kommenden Jahren noch zunehmen. Im Frankfurter Museum für Moderne Kunst hat jetzt sogar die Direktorin Susanne Gaensheimer die bisherige Sammlungspolitik des Hauses grundsätzlich infrage gestellt: Hier soll der Schwerpunkt der Sammeltätigkeit jetzt ganz auf nichteuropäische Kunst verlagert werden. Ebenfalls in Frankfurt hat der neue Leiter Fabian Schöneich die Ausstellungshalle Portikus mit der dezidierten Ansage übernommen, fortan den Fokus auf Nichteuropäisches zu legen. Auch er wird, im Juni, eine Ausstellung von Otobong Nkanga zeigen.
Otobong Nkanga: Tracing Confessions Museum Folkwang Essen, bis 18. Mai
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