Alles muss raus

Museen Sammlungen sollen im Internet zugänglich gemacht werden, aber warum eigentlich – und wer zahlt?
Ausgabe 12/2018

Die deutschen Museen stecken in einem digitalen Dilemma. Wollen Sie im Internet zeigen, welche Schätze sie besitzen, dann stehen sie bei vielen Werken der Moderne und eigentlich allen der Nachkriegskunst vor einem Problem. Das liegt am Urheberrecht, das 70 Jahre über den Tod eines Schöpfers von Kunstwerken gilt. Es verpflichtet die Häuser, Lizenzgebühren für digitale wie analoge Abbildungen ihres Bestandes zu zahlen.

Dabei können erhebliche Summen zusammenkommen. Bernhard Maaz, der Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, hat es im Deutschlandfunk vorgerechnet. Maaz ist auch zuständig für die Sammlung Brandhorst, zu der Schlüsselwerke von Cy Twombly, Andy Warhol, Joseph Beuys, Bruce Nauman oder Sigmar Polke gehören. Wollte das Münchner Museum allein die Warhols aus dieser Kollektion auf seiner Website abbilden, dann würden dafür stolze 300.000 Euro fällig.

Die 70-Jahre-Regel treibt dabei seltsame Blüten. Sie sorgt zum Beispiel dafür, dass Gemälde und Zeichnungen von Franz Marc kostenfrei ins Netz gestellt werden können, während sein Zeitgenosse Max Beckmann nur dann publiziert werden darf, wenn Geld fließt. Woran das liegt? Marc, der als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg gezogen war, starb 1916 bei Verdun an der Front. Wegen seines frühen Tods greift das Urheberrecht schon lange nicht mehr. Bei Beckmann, der 1950 gestorben ist, muss dagegen noch bis 2020 bezahlt werden.

In Deutschland ist es so gut wie immer die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, die die Lizenzzahlungen einsammelt, sie vertritt die meisten bildenden Künstler. Zeitungen und Magazine genauso wie Kunstbuchverlage müssen, wollen sie die Kunstwerke abbilden, ihren Obolus an die Verwertungsgesellschaft entrichten. Ein Großteil der deutschen Museen, darunter neben den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen auch das Sprengel Museum in Hannover, die Stuttgarter Staatsgalerie, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden oder das Kölner Museum Ludwig, hat sich nun mit der VG Bild-Kunst zusammengetan, um einen Ausweg aus der komplizierten Bildrechte-Situation im Internet zu finden.

Münchner Note nennen sie ihren Appell. Darin werden staatliche Finanzhilfen gefordert, um die Museen in die Lage zu bringen, ihre Sammlungen in der digitalen Welt komplett abzubilden. Das Argument: Weil Museen gesetzlich dazu verpflichtet sind, ihre Bestände der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sind sie genauso in der Bringschuld, diese Sammlungen in Gänze online zu publizieren. Denn kein Raum ist heute mehr Öffentlichkeit als das Netz. Dass dort eine Dominanz der Bilder herrscht, hinterfragt längst niemand mehr. Was dort ohne Abbildung bleibt, wird nicht wahrgenommen.

Die Münchner Note fordert zudem neue Regelungen für das sogenannte Framing – also die Möglichkeit, Bilder oder Videos auf einer fremden Website über einen Link einzubinden. Der Europäische Gerichtshof hat diese Praxis 2014 in einem Urteil ausdrücklich erlaubt. Die Unterzeichner der Münchner Note halten das für ein folgenschweres Fehlurteil: Es mache die Kunstwerke „vogelfrei“ und könne auch vor der Vereinnahmung durch radikale Parteien oder die Werbeabteilungen von Konzernen nicht mehr schützen. Deshalb wollen sie auch hier eine Kehrtwende.

Virtuell treppauf, treppab

Woher stammt die Euphorie für das digitale Abbild? Warum glauben Museumsdirektoren, dass es so wichtig ist, wirklich jedes Werk zeigen zu können? Dahinter steckt gewiss mehr als Marketing, mehr als der Wunsch nach Aufmerksamkeit für die Marke Museum. Der Philosoph Walter Benjamin war einer der ersten, der 1935 mit seinem, im Grundton zwar skeptischen Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit die große Hoffnung weckte, dass neue Vervielfältigungstechniken wie die Fotografie oder der Film zu einer Demokratisierung der Kultur führen würden. Je mehr Reproduktionen entstehen, desto mehr Menschen werden erreicht, desto weniger elitäres Gefälle gibt es. Die Digitalisierung treibt diese Hoffnung, auch wenn sie womöglich naiv ist, nun auf die Spitze. Mit wehenden Demokratisierungsfahnen ziehen immer mehr Ausstellungshäuser ins Netz, erproben neue Online-Formate.

Das Frankfurter Städelmuseum, schon länger ein digitaler Vorreiter und ebenfalls Mitunterzeichner der Münchner Note, macht die Chancen, aber auch die Fallstricke, die hinter einer solchen Strategie stecken, deutlich. Die digitale Sammlungspräsentation des Hauses ist mustergültig. Man erfährt dort Details zu Künstlern, Werken und deren Provenienz, vorbildlicher kann ein Ausstellungshaus seinen Bildungsauftrag kaum erfüllen. Mit einem anderen Digital-Projekt ist das Museum dagegen übers Ziel hinausgeschossen. Gemeinsam mit Samsung wurde eine Virtual-Reality-App entwickelt, die eine Zeitreise in die Entstehungszeit des Städels ermöglichen soll. Mittels Smartphone und VR-Brille navigiert man, treppauf, treppab, durch den virtuellen Museumsbau – und fühlt sich dabei wie in einem schlechten Computerspiel. Die Werke erscheinen unscharf, fasern aus, ein Gefühl für die damalige Präsentationsform stellt sich nicht ein. So verpufft die digitale Vermittlung zum Gimmick.

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