Am Anfang steht ein Video der amerikanischen Künstlerin Lynda Benglis. In Nahaufnahme zeigt es zwei Frauen, das Bild ist etwas unscharf. Man sieht, wie die Frauen sich küssen, wie ihre Zungen sich berühren, die Augen haben sie geschlossen. Man hört Ausschnitte aus Radiosendungen. Einen Moderator, der einen Studiogast befragt. Und Countrysongs, die archaische Musik des weißen Mannes. Female Sensibilitiy heißt das Werk von 1973. Es war eines der allerersten Künstlervideos überhaupt. Jetzt steht das Video am Anfang der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Man malt sich aus, welche Empörung es damals, vor mittlerweile etwas mehr als 40 Jahren, hervorgerufen hat.
Und denkt plötzlich daran, dass auch heute eine im Grunde reichlich harmlose Twi
Und denkt plötzlich daran, dass auch heute eine im Grunde reichlich harmlose Twitter-Kampagne wie #ichküssewenichwill (bei der die Mitmachenden Fotos posten, die sie dabei zeigen, wie sie eine Person des gleichen Geschlechts küssen) noch jede Menge Häme auf sich zieht. Oder an Andrea Hanna Hünnigers Artikel, der vor kurzem in der Welt am Sonntag erschienen ist. Darin beschreibt sie, mit welchen Ressentiments sie und ihre Partnerin konfrontiert werden – in einem Umfeld, das sich als liberal, alternativ oder links definiert. Die Welt ist nicht so aufgeklärt und gleichberechtigt, wie wir sie uns erhoffen.Unter dem Titel Feministische Avantgarde erinnert die Ausstellung an die Künstlerinnen, die in den 1970er Jahren gegen die Klischees und klassischen Rollenverteilungen rebellierten. Die Schau wagt den großen Rundumschlag. Mehr als 150 Werke von 34 Künstlerinnen werden gezeigt, die Arbeiten stammen allesamt aus einer österreichischen Unternehmenssammlung. Einige der Künstlerinnen haben es schon länger in den kunsthistorischen Kanon geschafft: Cindy Sherman, Martha Rosler, Valie Export. Der Großteil von ihnen aber ist in Vergessenheit geraten. In ihrer Zeit standen sie in radikaler Opposition zum männlich dominierten Kunstbetrieb. Von den abstrakten wie figurativen Malerfürsten, die die Szene prägten, wollten sie sich abgrenzen. Darum griffen sie zu den in der Bildenden Kunst damals noch verpönten Medien Video und Fotografie oder entwickelten Performances. Aktivismus und Kunst gehörten für sie zusammen, das Private war politisch. Der Körper war ihr Material, und natürlich auch ihre Waffe.In Wien war es Valie Export, die ihren Körper in irritierenden Aktionen auslieferte. 1968 inszenierte sie das Tapp- und Tastkino. Dabei trug sie eine Kiste über ihrem unverhüllten Oberkörper. Durch zwei Löcher in der Box konnten Passanten die Brüste der Künstlerin berühren. Für Aktionshose: Genitalpanik posierte sie im Jahr darauf dann in einer Jeans, die den Blick auf ihre Scham offen ließ. Valie Export spielt mit dem Voyeurismus, versinnbildlicht so das „Ausgeliefertsein“ von Frauen. Ähnlich, aber noch schockierender arbeitete die Body-Art-Künstlerin Gina Pane, eine Mitbegründerin der Gruppe Art corporel (Körperkunst). Gezeigt werden Fotografien ihrer Performance Le Lait Chaud, die 1972 in einer Pariser Privatwohnung stattfand. Man sieht Pane in strahlend weißer Bluse und Hose. Zu Beginn der Aktion steht sie mit dem Rücken zum Publikum. Sie beginnt, sich mit einer Rasierklinge in den Rücken zu ritzen, das Rot des Blutes zeichnet sich auf der Bluse ab. Am Ende der Performance setzt sie die Rasierklinge dann an ihrem Gesicht an. In dem Moment, in dem sie schließlich beginnt, ihr Gesicht zu verstümmeln, richtet Pane dann eine Kamera auf ihr Publikum, hält dessen Reaktionen in Bildern fest.Placeholder gallery-1Andere Arbeiten verbinden Subversion und Ironie. Mit weißgeschminktem Gesicht bügelte Renate Eisenegger während ihrer Performance Hochhaus (Nr. 1) den Linoleumboden eines Hamburger Hochhauses. Von der Wiener Künstlerin Birgit Jürgenssen stammt die Hausfrauen-Küchenschürze. Der mit stoischem Blick auftretenden Künstlerin hängt dabei ein kompletter Herd inklusive Backofen – sprich: die ganze Last der sich aufopfernden Ehefrau – um den Hals. Reichlich komisch ist auch Martha Wilsons Portfolio of Models, für das sich die US-amerikanische Künstlerin als „The Goddess“, „The Housewife“ oder „The Lesbian“ inszenierte und fotografieren ließ.Skihose von Willy BognerEs gibt einen frühen Film der Künstlerin Isa Genzken, den man sich sehr gut zwischen den ironisierenden und humorvollen Werken innerhalb der Hamburger Ausstellung vorstellen könnte. Sein Name: Zwei Frauen im Gefecht. Entstanden ist auch er in den 1970er Jahren. Genzken studierte damals bei ihrem späteren Ehemann, dem Maler Gerhard Richter, an der Düsseldorfer Akademie. Genzken und die befreundete Künstlerin Susan Grayson tauschen in dem Film mehrmals ihre Kleidung: Bluse, Rock, BH und Sandalen. Es hat etwas Absurdes und Slapstickhaftes, wie die beiden Frauen dabei jeweils aus und in die Kleider schlüpfen.Zu sehen ist dieser Film aktuell in Genzkens Ausstellung New Works im Frankfurter Museum für Moderne Kunst. Nach der großen Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art im Jahr 2013 zeigt die Schau, abgesehen von Zwei Frauen im Gefecht, ausschließlich neue Arbeiten der Künstlerin. Dabei handelt es sich vor allem um die sogenannten Schauspieler. Zu Gruppen arrangiert stehen die ausstaffierten Schaufensterpuppen in den Ausstellungsräumen. Es sind bizarre Figuren, mit billigem Dekomaterial, mit bunten Neonklebebändern und Sprühfarbe bearbeitet. Eine Frauenpuppe erscheint in Eishockeymontur, mit goldener Karnevalsmaske und einem Lampenschirm als Hut wie eine Mangafigur. Kinderpuppen tragen Warnwesten, viel zu große Schuhe oder Plastiktaschen von Rob, einem Berliner Fetischladen. Einer Erwachsenenfigur wurden Kinderhände anmontiert.Genzkens Figuren lassen sich nicht entschlüsseln, bleiben rätselhaft. Dass sie ein weibliches Selbstbild entwerfen, dass sie einen autobiografischen Kern haben, liegt jedoch quasi auf der Wand. Viele der Puppen stecken in Kleidern, die die Künstlerin selbst lange trug: ein weißgrauer Wollpullover, eine Skihose von Willy Bogner, die rotweiße Lederjacke, auf deren Rückseite in blauer Sprühfarbe das Kürzel „N.Y.“ zu sehen ist. Wolfgang Tillmans hat Isa Genzken häufig fotografiert, aus seinen Bildern kennt man die Kleidungsstücke. Gegen die Kategorisierung als feministische Künstlerin hat sich Genzken immer gewehrt, als zu einengend empfand sie das Etikett. Ihre neuen Werke kann man nun trotzdem als in einer Tradition mit der radikalen Kunst der 1970er Jahre stehend begreifen: Störrischere und widerspenstigere Frauenfiguren als die Schauspieler von Genzken findet man heute kaum.Placeholder infobox-1
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