Ein Galgen steht in der Eingangshalle des Frankfurter Museums für Moderne Kunst. Oder ist es vielleicht doch eine Kinderschaukel? Meterhoch der silbern lackierte Balken, drei Reifen an Metallketten baumeln herunter, sonst ist der weite Raum leer. Kalt, bedrohlich, abstoßend wirkt das Publyck Sculpture genannte Gerüst. So funktioniert die Kunst von Cady Noland, geboren 1956, Tochter des amerikanischen Malers Kenneth Noland: Aus Alltagsgegenständen baut sie angsteinflößende Installationen, schafft sie Bilder der Gewalt und der Ausgrenzung. Gedeutet werden sie als Metaphern für das Scheitern des amerikanischen Traums. Als „empathielos wie ein Psychopath“ hat Noland selbst die Gesellschaft, in der sie aufwuchs und bis heute lebt, einmal in einem Aufsatz beschrieben.
Platz für Neues
Das komplette Haupthaus des Frankfurter Museums wurde für ihre Werke leergeräumt, nur eine Handvoll andere Arbeiten aus der umfangreichen MMK-Sammlung – von der deutschen Minimalistin Charlotte Posenenske, von Andy Warhol, von Steven Parrino, im Erdgeschoss ein Gemälde von Nolands Vater – steht ihnen gegenüber. Man läuft durch eine sonderbare, irritierende Welt. Hohe Gatter und Zäune sieht man da, durchlöcherte Stars and Stripes, lange Metallstangen, an denen Insignien der Alltagskultur baumeln: Baseballhelme, Handschellen, Zaumzeug, Spielzeugpistole, Bierdosen. Mehr als 80 Kunstwerke von Noland zeigt die Ausstellung, noch nie gab es eine solche Bandbreite. Mehr noch: Die letzte Museumsausstellung, an der die Künstlerin mitarbeitete, liegt 22 Jahre zurück. Zu sagen, dass die Kunstwelt auf diese Retrospektive gewartet hat, ist keine Übertreibung, die Schau einen Coup zu nennen nicht verkehrt. Eingefädelt hat ihn Susanne Pfeffer, die neue Direktorin des Museums. Mit der Noland-Schau und zwei weiteren Ausstellungen gibt sie ihren Einstand in Frankfurt.
Wenige Tage nach der Ausstellungseröffnung steht Pfeffer in ihrem Büro, in den Regalen und auf dem Fußboden türmen sich Bücherstapel, ein Stuhl ist begraben unter Taschen. Das Büro befindet sich in der Spitze des Gebäudes, das Hans Hollein, der Vorzeigearchitekt der Postmoderne, am Anfang der 90er Jahre auf ein verwaistes Dreiecksgrundstück in der Frankfurter Innenstadt setzte. Ein spitz zulaufendes Fenster gibt den Blick auf die Straßen, die Stadt frei. Pfeffer erzählt, dass am Tag zuvor noch alle Wände ihres Büros mit Abbildungen von Werken aus der Sammlung und von Cady Noland zugehängt waren. All diese Ausdrucke nun wieder abzuhängen, war für sie „eine Katharsis-Aktion“. „Jetzt ist wieder Platz für Neues“, sagt Pfeffer, die das Museum seit Anfang des Jahres führt.
Wie ist es ihr gelungen, die Künstlerin zu dieser Retrospektive zu bewegen? Nachdem ihre Arbeiten auf der Whitney Biennial und der documenta gezeigt worden waren, zog Cady Noland sich Ende der 1990er aus dem Betrieb zurück, war für Jahrzehnte verschwunden, zum Phantom geworden. „Es war wohl gutes Timing“, sagt Susanne Pfeffer, „und ich glaube, sie hat gemerkt, dass ich ihr Werk gut kenne, dass ich mich intensiv damit beschäftigt hatte.“
Es ist verblüffend, wie aktuell die Arbeiten von Noland, die aus den 80er und 90er Jahren stammen, heute wirken. Man liest sie, wegen all der Waffen und Apparaturen, die wie Foltergeräte erscheinen, als Kommentar zu einer Gesellschaft, die brutaler und gewalttätiger geworden ist. Man liest sie, wegen all der Zäune, der metallenen Absperrungen und des Drahts, als Hinweis auf Gesellschaften, die sich verschanzen, die sich abschotten. „Das ist heute keine Ausstellung mehr, die sich mit den Vereinigten Staaten beschäftigt, sondern genauso eine Ausstellung, die von unserer Gesellschaft erzählt“, sagt Susanne Pfeffer. „Amerika ist längst überall, der Neoliberalismus betrifft uns alle.“
Die Kuratorin hält es für wichtig, genau solche Positionen, die sich mit den Schattenseiten des Weltzustands beschäftigen, zu zeigen. „Wir sind in einer Zeit, die sehr gewalttätig ist, darum interessiert mich Kunst, die mit Härte auf die Gesellschaft blickt“, sagt Pfeffer. „Mir wäre es auch lieber, es wäre anders, aber wenn die Welt nun einmal so ist, dann sollten wir auch darüber nachdenken, was das mit uns macht.“
Drei einzelne Ausstellungshäuser hat das Museum für Moderne Kunst. Im Zollamt, das genau gegenüber dem Haupthaus in der Frankfurter Altstadt liegt, läuft die Video-Installation Blood In My Milk der britischen Künstlerin Marianna Simnett. Es ist das erste Mal, dass ein Werk der 1986 geborenen Künstlerin in Deutschland zu sehen ist, zuvor hat Simnett ihren abendfüllenden Film im New Museum in New York gezeigt. Auch er handelt von Gewalt: von der Gewalt, die es braucht, um Körper zu verändern, zu verbessern. Ein Mädchen denkt darüber nach, sich zu verstümmeln, um männlichen Angreifern zu entgehen, Kakerlaken werden mit Robotern gekreuzt, um in für Menschen unbewohnbare Gebiete vorzudringen, einer Gruppe Jungen wird per operativem Eingriff zu einer tieferen Stimme verholfen. Überlebensgroß zeigt Simnett Venen, Haut, Blut, die entzündeten Euter von Kühen, Scheren, Messer.
Dass Susanne Pfeffer bei den ersten von ihr kuratierten Ausstellungen an der neuen Wirkungsstätte Frauen in den Mittelpunkt gestellt hat, wurde in den Rezensionen häufig betont. Glücklich ist die Direktorin darüber nicht. „Hätte ich drei Männer ausgestellt, dann würde das niemand schreiben“, sagt sie. „Geschlecht ist für mich als Kuratorin kein Kriterium, es geht einzig um die Qualität.“
Durchbruch in Venedig
Das Frankfurter Museum ist für Pfeffer, Jahrgang 1973, kein Neuland. Von 2002 bis 2004 war sie, als Assistentin des damaligen Direktors Udo Kittelmann, bereits am MMK beschäftigt. Pfeffer verließ das Museum, um eigene Ausstellungen zu machen, zunächst am Bremer Künstlerhaus, dann als Chef-Kuratorin in den Berliner Kunst-Werken. 2013 wechselte sie als Direktorin ans Fridericianum in Kassel. Ihre Antrittsausstellung dort, Speculations on Anonymous Materials, die als erste große Überblicksschau zur Post-Internet Art hierzulande gilt, sorgte für Furore, ließ, wie die taz es damals knackig beschrieb, „den Rest der deutschen Ausstellungshäuser plötzlich sehr alt aussehen“.
Der große Durchbruch gelang 2017: Als Kuratorin des Deutschen Pavillons auf der Venedig-Biennale lud Pfeffer die Künstlerin Anne Imhof ein, das Ausstellungsgebäude voll historischem Ballast (die Nationalsozialisten ließen den Bau 1938 von dem Architekten Ernst Haiger durch wuchtige Rechteckpfeiler monumentalisieren) zu bespielen. Imhof schuf eine beängstigende Mischung aus Installation und Performance, Faust betitelt, wurde dafür mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Wenig später wurde bekannt, dass Pfeffer, als Nachfolgerin von Susanne Gaensheimer, zur neuen MMK-Direktorin berufen werden sollte. Sie habe eine Zeitlang gezögert, ob sie diesen Schritt wirklich gehen sollte, erzählt die Ausstellungsmacherin. Sie war in Sorge, dass der Posten als Direktorin es schwieriger machen würde, eigene Ausstellungen zu entwickeln. Nichts sei für sie wichtiger als der direkte Austausch mit den Kunstschaffenden. „Bei jeder Ausstellung lerne ich etwas Neues“, sagt Pfeffer.
Die dritte Neupräsentation, aufgebaut im MMK-Tower, einer Ausstellungsfläche in einem Hochhausturm im Frankfurter Bankenviertel, beschäftigt sich, vor allem in Form von Videoarbeiten, mit dem deutschen Alltagsrassismus. Ihr programmatischer Titel: Weil ich nun mal hier lebe. Am Beginn steht Inventur – Metzstraße 11, ein in einer einzigen Einstellung gedrehter, neunminütiger Dokumentarfilm des serbischen Filmemachers Želimir Žilnik aus dem Jahr 1975: 30 Bewohner eines Münchner Wohnhauses erzählen in der Sprache ihrer Herkunftsländer, wer sie sind, was sie arbeiten, wie es ihnen geht, aus ihren Leben. Der kurze Film ist eine prägnante, klare Erinnerung daran, dass Migration das Land schon lange prägt, dass die Vielfalt ein alter Hut ist. Für ihre Videoarbeit Millis Erwachen, eine Replik auf Ernst Ludwig Kirchners exotisierendes Porträt Schlafende Milli von 1911, hat Natasha A. Kelly Frauen aus dem Kulturbetrieb zu ihren Erfahrungen mit Rassismus befragt. Das Ergebnis ist, kurz gesagt, ernüchternd.
„Es geht nicht darum, Wohlgefallen herzustellen“, beschreibt Susanne Pfeffer ihre Aufgabe als Direktorin eines Museums für Gegenwartskunst. Sie schwärmt von der MMK-Sammlung, die viele „schwierige“ und „störrische“ Kunstwerke enthalte, von den nicht immer unumstrittenen Einkäufen, die ihre Vorgänger Jean-Christophe Amman, Udo Kittelmann und Susanne Gaensheimer getätigt haben. Mit dieser Sammlung will sie in den kommenden Jahren arbeiten, will sie ergänzen, in neue Zusammenhänge stellen. Der kritische Geist, Kunst, die aneckt: Das dürfte auch in Zukunft Susanne Pfeffers Programm für Frankfurt bleiben.
Info
Cady Noland und Weil ich nun mal hier lebe sind bis 31. März 2019 im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main zu sehen, Marianna Simnett bis 6. Januar 2019
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