Rückkehr der Haus-Frauen

Ausbau Diese Ausstellung war überfällig: In Frankfurt am Main wird die weibliche Geschichte der Architektur in Deutschland erzählt
Ausgabe 40/2017

Vielleicht fängt man am besten mit einer dieser Anekdoten an, von denen es gar nicht so wenige gibt. Sie handelt vom Umbau des Berliner Reichstags zum Parlament des wiedervereinigten Deutschlands und von der Architektin, die damals beim Wettbewerb für dieses Projekt, hinter dem britischen Stararchitekten Norman Foster, den zweiten Platz belegte: Gesine Weinmiller, Jahrgang 1963, die seit 1992 in Berlin ihr Büro betreibt. Ihr wohl bekanntestes Gebäude ist der Neubau des Bundesarbeitsgerichts, der in Erfurt entstand. Nach der Entscheidung im Reichstagswettbewerb wurde Weinmiller zu einem offiziellen Treffen eingeladen. Dort jedoch wurde sie als Architektin gar nicht erkannt. Man hielt sie für eine Assistentin des Erstplatzierten Norman Foster.

Genauso gut könnte man auch mit einer Seite aus der Bauwelt, einer der wichtigsten Architekturzeitschriften des Landes, von 1984 beginnen. Dort geht es in einem Leserbrief um das Wohnhaus des Architektenpaars Marlene und Hans Poelzig in Berlin-Charlottenburg. Darunter sieht man, aus dem Jahr 1930, ein Foto vom Richtfest für diesen Bau: Sechs biertrinkende und zigarrenrauchende Männer posieren da, von links ragt ein Arm ins Bild. Hier wurde offensichtlich eine Person abgeschnitten. Auf dem Original erkennt man, um wen es sich handelt: Marlene Poelzig, die Frau, die das Haus, ein Meisterwerk der Moderne, entworfen hat.

Man kann aber auch auf die Ausstellungshistorie des Deutschen Architekturmuseums schauen. Seit das Haus 1984 in Frankfurt eröffnete, gab es dort etwa 100 monografische Ausstellungen über Architekten. Mit bauenden Frauen dagegen haben sich in diesem Zeitraum gerade einmal vier Einzelausstellungen beschäftigt.

Bauen Frauen anders?

Die Geschichte der Architektur ist eine Geschichte der Männer, eine Erzählung von freien, genialen Baumeistern. Dass Frauen darin so gut wie nicht vorkommen, liegt nicht daran, dass es sie nicht gab, sondern daran, dass sie meist im Unsichtbaren geblieben sind. Weil die Architekturhistorie sie als Mitarbeiterinnen, Ehefrauen, Partnerinnen und Assistentinnen einsortiert hat. Dabei bestimmen sie den Beruf mehr und mehr: Schon seit einigen Jahren liegt der Anteil weiblicher Absolventen an deutschen Architekturhochschulen weit über 50 Prozent. Trotzdem werden die meisten Büros noch immer von Männern geführt.

So gesehen kann man die Schau Frau Architekt, die gerade im Frankfurter Architekturmuseum eröffnet hat, auch als eine Art Wiedergutmachung begreifen. 22 Architektinnen aus Deutschland, deren Namen bislang kaum jemand kennt, die aber Herausragendes entworfen haben, werden darin porträtiert. Der Bogen spannt sich von frühen Pionierinnen wie Therese Mogger oder Emilie Winkelmann, die als erste deutsche Architektin gilt und ihr Studium nur als Gasthörerin und ohne Abschluss absolvieren konnte, bis zu heute tätigen Architektinnen wie Gesine Weinmiller, Almut Grüntuch-Ernst oder Ingeborg Kuhler. Man sieht ihre Entwürfe, ihre Modelle, aber auch Zeitungsausrisse, Magazinreportagen und viele Schwarzweißfotografien. In der Mitte des Ausstellungsraums ist ein Kabinett entstanden, das die Kuratoren ironisch „Frauenzimmer“ nennen. Hier laufen die sehenswerten Filmporträts der Regisseurin Sophia Edschmid, in denen neun Architektinnen über ihre sehr unterschiedlichen Werdegänge sprechen.

„Fleiß und Begabung reichen nie aus, wenn eine Frau bauen will“, sagt Mary Pepchinski, eine der Ausstellungsmacherinnen. Die Professorin an der Dresdner Hochschule für Technik und Wirtschaft erforscht seit einigen Jahren bereits die Biografien von Architektinnen. Wer herausragende Bauprojekte für sich gewinnen möchte, so Pepchinski, brauche Unterstützung aus einem Netzwerk. Und die sind bis heute von Männern dominiert – vor allem auf Seiten der Investoren. Nicht umsonst hält sich ein Begriff wie Bauherr so trotzig. Die im Kulturbetrieb sowieso weit verbreitete Arbeitsteilung – die Männer leiten und repräsentieren, die Frauen verausgaben sich in der zweiten, dritten und vierten Reihe – wird in der Architekturwelt besonders hartnäckig verteidigt.

Eine Figur wie Margarete Schütte-Lihotzky macht das Dilemma deutlich, in dem Architektinnen bis heute häufig stecken. Von 1915 bis 1919 war sie die erste Architekturstudentin an der kaiserlich-königlichen Kunstgewerbeschule in Wien, der heutigen Universität für Angewandte Kunst. Schon während des Studiums entdeckte die engagierte Kommunistin den sozialen Wohnungsbau für sich. Umso glücklicher muss sie gewesen sein, als der Stadtplaner Ernst May sie 1925 engagierte, um an seinem Projekt „Das Neue Frankfurt“ mitzuarbeiten. May wollte die Stadt zu einem Experimentierfeld der Moderne umbauen, vor allem aber wollte er Wohnraum für die Arbeiterschicht schaffen. Für sein ehrgeiziges Siedlungsbauprojekt engagierte der Stadtbaurat Avantgardisten wie Walter Gropius, Bruno Taut, Mart Stam oder Martin Elsaesser. Grete Lihotzky ließ er eine Küche entwerfen. Die junge Architektin war enttäuscht, dass May sie zu dieser „weiblichen Aufgabe“ drängte. Ihr Entwurf allerdings, die auf knappen sechseinhalb Quadratmetern genial eingerichtete Frankfurter Küche, die zum Prototyp der Einbauküche wurde, machte sie berühmt, war der Grundstein ihrer späteren Karriere.

Viele der in der Ausstellung vertretenen Architektinnen haben tatsächlich einen Großteil ihrer Arbeitskraft in die Entwürfe von Interieurs investiert – sicher nicht immer freiwillig. Die Frau als Gestalterin des familiären Innenraums: Das ist bis heute nicht selten Standard. Auch die Planung von Kindergärten, Wohnheimen oder Krankenhäusern wurde häufig in die Hände von Frauen gelegt. Repräsentativbauten wie Museen oder Regierungsgebäude sieht man in der Ausstellung dagegen weniger.

Gibt es eine weibliche Architektur? Entwerfen Frauen anders? Die Schau verweigert sich einfachen Antworten auf diese in jüngster Vergangenheit häufig gestellten Fragen. Sie zeigt stattdessen sowohl Entwürfe, die die These von einer spezifischen weiblichen Architektur stützen, wie auch solche, die ihr widersprechen. Merete Mattern, die 2007 verstarb, arbeitete als Stadtplanerin mit amorphen, der Natur entlehnten Formen. Schon in den 1970ern experimentierte die Architektin, die auch an der Gründung der grünen Partei beteiligt war, mit ökologischen Baustoffen. Ihre Modelle erschuf sie häufig aus Ton. Das Stigma „Frauenarchitektur“ klebte bald an ihren Entwürfen. Doch ist es tatsächlich ihr Geschlecht, das die Form ihrer Architektur bestimmt? Spielt ihre Herkunft als Tochter von zwei Landschaftsarchitekten nicht vielleicht eine viel größere Rolle?

Sie durften Küchen entwerfen

Matterns Architektur steht in der Ausstellung – auch räumlich – Projekten von Gertrud Schille und Verena Dietrich gegenüber. Schille, 1940 geboren, war eine der wichtigsten Architektinnen der DDR. Als Mitarbeiterin der Bauabteilung von VEB Carl Zeiss Jena war sie für die hochkomplexen Entwürfe von Planetarien zuständig. Ihre Gebäude wurden zu Exportschlagern: Schilles Sternwarten wurden nach Tripolis, Wolfsburg, Kuwait und Kanada verkauft – und brachten dem stets klammen Staat wichtige Devisen ein. Ihre vor allem in Köln tätige Altersgenossin Verena Dietrich entwarf kühne, filigrane Stahlbauten. Sie schuf Brücken, Tribünen, Sportanlagen, arbeitete aber auch im Wohnungsbau. Ihre Projekte könnte man leicht als – vermeintlich – männliche, technisch versierte Ingenieurskunst klassifizieren.

Dass noch immer so wenige Frauen in führender Position in den Büros arbeiten, dürfte auch damit zu tun haben, dass Männer nach wie vor eher zugunsten von Arbeits- auf Familienzeit verzichten. Die Lebensentwürfe der in der Ausstellung gezeigten Architektinnen kann man umgekehrt ebenfalls als Beleg für diese These deuten: Nur jede zweite von ihnen hatte überhaupt Kinder. Die Familienunfreundlichkeit der Arbeitswelt zementiert auch im Architektenberuf die Dominanz der Männer.

In den Hochschulen sei trotzdem ein Wandel zu spüren. Das sagt Aylin Akgöz, die kurz vor dem Abschluss ihres Architekturstudiums steht, in einem der Videoporträts. An der Akademie empfinde sie sich heute längst als gleichberechtigt. Aber hat sie keine Angst davor, dass sich das ändert, wenn sie ins Berufsleben einsteigt? Fürchtet sie nicht, dann auf die hinteren Plätze zu fallen? Akgöz ist da optimistisch: „Das wird sich schon noch ändern.“

Info

Frau Architekt Deutsches Architekturmuseum Frankfurt am Main, bis 8. März 2018

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