Nein, das ist wahrlich keine Postkartenidylle, keine exotische Ferne, die einen verzaubern will. Frank Walters Landschaften sind düster, das Meer ist tiefschwarz, die Hügel, die Pflanzen erscheinen wie Schatten. Dunkel und wüst sind diese Bilder, auf kleinste Formate gebannt, meist keine zehn Zentimeter hoch und breit. Auf einigen hat der Künstler sich selbst dargestellt, in der Rückenansicht, der Blick in die Ferne gerichtet. Sie ziehen einen in den Bann, diese Miniaturen.
Frank Walter, 1926 in Liberta auf der britisch kolonialisierten Karibikinsel Antigua geboren, hat viele Jahre darauf gehofft, dass seine Bilder einmal in einem Museum gezeigt werden. In Pappkartons hatte er fertig geplante Ausstellungen aufbewahrt, auch von der Eröffnung einer eigenen Galerie in Großbritannien träumte er. Doch sein Erfolg als Künstler kam erst postum. 2017 wurde eine Auswahl seiner Werke auf der Biennale in Venedig gezeigt, nun richtet das Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) dem 2009 verstorbenen Künstler eine große, das komplette Ausstellungshaus füllende Retrospektive aus. Die Schublade „Outsider Art“, in die kunstschaffende Autodidakten wie Walter, die ihr Leben außerhalb gesellschaftlicher Normen und kunstbetrieblicher Systeme führen, sonst meist gesteckt werden, sprengt die Schau ganz bewusst.
Frank Walters Werk ist vielfältig: Es umfasst Landschaften, Porträts, detailversessene Malereien, aber auch bunte Schilder mit Wörtern oder kurzen Sprüchen darauf, Holzskulpturen, Gedichte, Tagebücher, Musikkompositionen, Fotografien. Das Konvolut an Werken ist enorm: Allein rund 5.000 Malereien und 600 Skulpturen hat er hinterlassen, gut 400 Arbeiten zeigt die Frankfurter Ausstellung. Bei keiner davon weiß man, in welchem Jahr genau sie entstanden ist, nur die allerwenigsten tragen überhaupt einen Titel. Da sind die expressiven Porträts, die flächigen, grobförmigen Gesichter. Da sind die Sternenbilder, die geometrischen Formen, die Malereien und zarten Zeichnungen von Tieren, rohe, archaische Figuren aus Mahagoni- oder Akazienholz, ein paar Blätter aus seinen Manuskripten, eng beschrieben oder mit der Schreibmaschine getippt.
Mit seiner Herkunft hat Walter, so legen es gleich mehrere Beiträge in dem umfangreichen Ausstellungskatalog nahe, lange gekämpft und gehadert. Denn unter seinen Vorfahren waren sowohl schwarze Sklaven wie auch weiße Sklavenhalter, ein Familienzweig stammte aus Deutschland, aus der Nähe von Stuttgart. Frank Walter durfte, anders als die meisten Kinder auf Antigua, eine hervorragende Schulbildung genießen, er glänzte in Latein und Geschichte, wurde der erste schwarze Manager einer Zuckerrohrplantage. Auf nicht wenigen seiner Selbstporträts malte er sich als weißen Mann.
Als er 1953 zu einer großen Reise nach Europa aufbrach, war er voller Durst nach Bildung und Kultur. Doch der Aufenthalt geriet zum Trauma, die Erfahrung von offenem und gewalttätigem Rassismus setzte ihm zu. In London wurde einer seiner Cousins ermordet, weil er eine Beziehung mit einer weißen Krankenschwester hatte. Während Walter sich als Tagelöhner in Bergwerken und als Industriearbeiter durchschlug, quälten ihn immer häufiger psychische Probleme. Mehrmals kam es zu Klinikaufenthalten. 1961 kehrte er desillusioniert in die Karibik zurück.
Heilsamer als jedes Opiat
Auf Antigua führte Walter das Eisenwarengeschäft der Familie und machte ein kleines Fotogeschäft, „Frank’s Photo Studio“, auf, fertigte Passfotos an, arbeitete als Hochzeitsfotograf, verkaufte einfache Holzrahmen und Kinderspielzeug, das er selbst herstellte. Ein Raum im Museum zeigt die Giraffen, Bären und Esel aus bunt lackiertem Holz, in einem anderen stapeln sich die handgefertigten Bilderrahmen. Und Walter vertiefte sich immer mehr in seine Kunst, schottete sich ab, um seine ausdrucksstarken Werke zu schaffen. 1993 zog er auf ein abgelegenes Berggrundstück, baute sich ein Haus mit Atelier, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 2009 lebte. In einem seiner Manuskripte definiert er Kunst als „Elixier, das auf die Augen wirkt: Heilsamer ist es als jedes Opiat.“
Walters Werke stehen nicht allein in dieser Schau, sondern werden durch Zeitgenössisches ergänzt, durch Arbeiten von Künstlern wie Kader Attia, Marcel Broodthaers oder der deutschen Video-Künstlerin Birgit Hein, von der ein berührend-ehrliches Video über eine Affäre auf Jamaika zu sehen ist. Von John Akomfrah gibt es eine dreigeteilte Video-Installation, die sich Stuart Hall, dem wie Walter aus der Karibik stammenden Vordenker der Cultural Studies widmet. Isaac Julien hat eine filmische Hymne auf den Notting Hill Carnival und sein widerständiges Potenzial beigesteuert. Überzeugend setzen diese Arbeiten Walters Kunst in einen Kontext, erzählen von den Schmerzen der Dekolonialisierung, von der Kontinuität der rassistischen Ausgrenzungen. Das Aufregendste an der Schau bleibt trotzdem der Blick auf ein bislang so gut wie unbekanntes Werk. Bei Frank Walter trifft die sonst so überstrapazierte Floskel von der „Neuentdeckung eines Künstlers“ tatsächlich den Kern.
Info
Frank Walter. Eine Retrospektive bis 15. November 2020, Museum Moderne Kunst Frankfurt
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