Trotzige Botschaft

Stil Hijabistas und Mipster: Muslimische Mode erobert weltweit die Märkte. Eine Ausstellung über den Trend wird bereits vor der Eröffnung angegriffen
Ausgabe 14/2019

Über dem Bauch sitzt ein Panzer aus Holz-Pailletten, gelb und grau. Die Hosenbeine sind weit geschnitten, das Oberteil zweigeteilt, ein Reißverschluss markiert die Grenze: oben filigrane Ornamente auf dezentem Schwarz, darunter knallbunte Op-Art. Auf dem Kopf thront eine Art Turban in Signalgelb. Eigenwillig, verspielt und gleichzeitig geometrisch streng ist dieses Stück Mode von Dian Pelangi, 2017 wurde sie auf der New Yorker Fashion Week dafür gefeiert. Das Wirtschaftsmagazin Forbes nahm sie wenig später in seine „30 under 30 Asia list“ der stilprägendsten und erfolgreichsten Designer und Designerinnen des Kontinents auf.

Dian Pelangi aus Indonesien, 28 Jahre alt, beinahe fünf Millionen Follower bei Instagram, gehört zu den Shooting Stars auf einem Modemarkt, der den Titel „modest fashion“ trägt und wie kein zweiter wächst. Ihr avantgardistischer Hosenanzug hängt nun in einem Museum auf einer grauen Schaufensterpuppe, ikonenhaft ausstaffiert und beleuchtet im ansonsten dunklen Galerieraum. Dahinter ein Foto, das der amerikanische Fotograf Langston Hues von ihr geschossen hat: Die Designerin posiert auf der Straße, zerrupfte Blue-Jeans, schwarze High Heels, ausladender Mantel, leuchtend-orangene Handtasche – und ein akkurat sitzendes Kopftuch. Für Menschen wie Dian Pelangi wurden Kategorien wie „Mipster“ oder „Hijabista“ erfunden.

Mode für muslimische Frauen ist, da sind sich die Experten einig, das nächste große Ding. Dem Global Islamic Economy Report zufolge wurden 2017 von Muslimen und Musliminnen 270 Milliarden US-Dollar für Mode ausgegeben, der Anteil am gesamten globalen Modemarkt lag bei über zehn Prozent. Bis 2023, so die Prognose, wird der Markt auf über 360 Milliarden wachsen. Ein Riesengeschäft, das sich auch westliche Marken schon jetzt nicht entgehen lassen: H&M, Nike, Dolce & Gabbana und einige mehr führen schon länger eigene Kollektionen, die den Ansprüchen der dezenten Mode gerecht werden.

Die Ausstellung Contemporary Muslim Fashions will diesen globalen Trend abbilden. Bis Anfang des Jahres wurde sie im de Young Museum in San Francisco gezeigt, ab Ende dieser Woche läuft sie im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main. Rund 80 Ensembles von Designerinnen aus dem Nahen und Mittleren Osten, Malaysia und Indonesien, Europa und den Vereinigten Staaten werden ausgestellt, dazu „street photography“, Werbung, auch Kunstwerke von Shirin Nesrat, Wesaam Al-Badry oder Shadi Ghadirian.

Erinnert an Jil Sander

Schon vor der Eröffnung erntete die Frankfurter Schau harsche Kritik. Eine Gruppe mit dem Namen Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung warf Matthias Wagner K, dem Direktor des Museums, in einem offenen Brief vor, er würde dem „Kleidungsdiktat eine Plattform“ bieten. Die Emma nannte die Ausstellung einen „Skandal“, die FAZ schrieb von der „Toleranz, die blind macht“. „Die Veranstalter verkaufen sich für viel Geld an die Textilindustrie und die Islamisten“, schimpfte Frauenrechtlerin Seyran Ateş.

Offene Kritik von rechter Seite blieb dagegen bislang so gut wie aus. Im Verborgenen jedoch, in Hassmails mit persönlichen Drohungen, wurden er und seine Mitarbeiter von Rechtsextremen „massiv angegriffen“, berichtet der Museumsdirektor. Gegen die Absender hat Matthias Wagner K Strafanzeige gestellt. Die Ausstellung wird nun unter Polizeischutz eröffnet, während ihrer Laufzeit wird es Taschenkontrollen und Leibesvisitationen geben. Das Empörungspotential bleibt hoch.

Dabei würde es sich so viel mehr lohnen, unvoreingenommen zu schauen. Denn mit den Klischeebildern muslimischer Kleidung (die, niemand wird das bestreiten, immer auch einen Teil der Wirklichkeit abbilden) haben die Entwürfe im Museum nichts gemein. Da gibt es bunte, hippieeske Batikstoffe, da ist eine blütenweiße, flatternde Abaya, da sind Entwürfe, die an den strengen Stil japanischer Modemacher wie Yōji Yamamoto oder die frühen Kleider von Jil Sander erinnern. Ein Video zeigt skatende Teens mit Hijab: lässig, lachend, selbstbewusst. Ein Großteil der Entwürfe kommt übrigens ganz ohne Kopfbedeckung aus. Das Haar zu zeigen ist für viele der Designerinnen von „modest fashion“ kein Widerspruch zu ihrer religiösen Zugehörigkeit. Was sie eint, ist dagegen, dass ihre Mode weniger körperbetont ist.

Eines der schönsten Ausstellungsstücke ist eine eng mit arabischen Schriftzeichen bedruckte Bomberjacke des Labels Slow Factory aus Brooklyn. Bei dem Text handelt es sich um den ersten Zusatzartikel zur Verfassung der USA. Er verbietet es dem Kongress, Gesetze zu beschließen, die die Redefreiheit, die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht oder die Religionsfreiheit einschränken. Die Jacke war eine direkte Reaktion auf Donald Trumps „Muslim Ban“. Wir gehören dazu, lautet die trotzige Botschaft des Kleidungsstücks.

In einem anderen Raum läuft das Video Hijabi (Wrap My Hijab) von Mona Haydar. Der Song ist eine wütende Rechtfertigung der Rapperin, warum sie ihr Kopftuch nicht ablegen will, warum es für sie Freiheit bedeutet, eine Verteidigung des Anderssein. Und ein starkes Stück Selbstbehauptung. Die jungen Frauen in dem Video, das auf Youtube beinahe sechs Millionen mal geklickt wurde, machen vieles, was islamische Sittenwächter ihnen am liebsten auf der Stelle verbieten würden: in der Öffentlichkeit singen, tanzen, fluchen. Während sie rappt, streicht Haydar, die lange in New York lebte und mittlerweile in Marrakesch zuhause ist, über ihren unübersehbaren Babybauch. Auch das bedeutet für viele eine Provokation. Role Models wie sie gibt es längst in großer Zahl. Das Londoner Model Mariah Idrissi gehört dazu, die 2015 als erste Frau in einem H&M-Werbeclip mit Kopftuch zu sehen war. Oder die amerikanische Influencerin Leah Vernon, die mit ihren Instagram-Posts gegen Rassismus und Body Shaming Position bezieht.

Natürlich gibt es die Freiheit, sich für oder gegen den Hijab zu entscheiden, nicht überall auf der Welt. Natürlich gibt es den Zwang. Auch das Auflehnen dagegen zeigt die Ausstellung: Schwarzweißbilder der iranischen Fotografin Hengameh Golestan erinnern daran, dass Frauen 1979 in Teheran, nach der islamischen Revolution, gegen die neueingeführte Verschleierungspflicht auf die Straße gingen. Daneben läuft das Twitter-Video, das die Iranerin Vida Movahed zeigt, wie sie im Dezember 2017 in der Öffentlichkeit ihr abgelegtes Kopftuch an einem Stock schwenkt. Die Aufnahme wurde zum Symbol für den Widerstand gegen das Mullah-Regime.

Auch einige der Frauen, die die Ausstellung in ihrem offenen Brief so scharf kritisiert haben, sind aus dem Iran geflüchtet. Matthias Wagner K hat sie zu einer Vorbesichtigung ins Museum geladen, hat versucht, seine Beweggründe zu erklären. „Das war kein einfacher Termin“, sagt er. Nach dem Rundgang waren die Frauen und er noch etwas trinken. Dabei haben sie ausgemacht, gemeinsam eine Diskussion auf die Beine zu stellen. Kritikerinnen und Befürworterinnen der Ausstellung sollen ins Gespräch kommen, auf Augenhöhe, in einem fairen Dialog. Debatte statt Empörung: Das ist ein guter Anfang.

Info

Contemporary Muslim Fashions Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 5. April bis 15. September

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