Zum Beispiel das Foto in unserer Auswahl unten: Ein Soldat steht im Dunklen. Die eine Hand am Helm, die andere am Gewehr. Auf den Boden starrend, kraftlos. Es handelt sich um einen italienischen Soldaten im Einsatz in Nasiriya, Irak. Aufgenommen wurde das Foto nach einem Selbstmordattentat auf eine Militärkaserne, bei dem 16 italienische Soldaten und acht irakische Zivilisten ums Leben gekommen sind. Das Foto zeigt nicht die Katastrophe, nicht die sichtbaren Folgen der Tat, sondern die Trauer, die Verzweiflung.
Oder das Bild aus Falludscha, in unserer Auswahl oben, das durch eine Fensterscheibe hindurch geschossen wurde, weil die Fotografin an der Versammlung nicht teilnehmen durfte. Eine Gruppe US-amerikanischer Soldaten ist zusammengekommen. Konzentriert blicken sie auf ihre Notizb
e Notizbücher, die Stimmung wirkt ruhig. Vor ihnen auf dem Boden sind Ziegelsteine aufgereiht. Es ist das Modell eines Stadtteils der irakischen Metropole. Längst gewöhnt an die Ästhetik von Hightech-Militärschlägen am LED-Bildschirm, verstört uns die Einfachheit ihrer Kriegsplanung.Placeholder image-1Und dann das Bild der Mädchen aus Gaza, in unserer Auswahl rechts. Lachend, im Vergnügungspark, im Karussell. Ein kurzer Glücksmoment. Es sind Kriegsbilder, aber es sind untypische Bilder vom Krieg. Trotzdem haben sie es häufig auf die Titelseiten von Zeitungen und Magazinen geschafft.Als Reportagefotografin war Anja Niedringhaus immer parteiisch. Parteiisch für den Menschen. Was macht der Krieg mit ihm? Wie hält er es überhaupt aus? Solche Fragen waren es, die sie angetrieben haben. Und darum haben sich ihre Bilder in den allermeisten Fällen auch den gewohnten Rastern der Kriegsfotografie widersetzt, darum haben sie andere Geschichten erzählt. „Ich bin viel mehr am Leben der Leute vor Ort interessiert als an der Ballerei. Ich sitze sicher nicht hier und warte auf den nächsten Anschlag“, hat Niedringhaus in einem ihrer letzten Interviews gesagt.Es traf die FalscheAt War heißt nun eine Ausstellung ihrer Fotografien im Museum Pfalzgalerie in Kaiserslautern – genauso wie das lange vergriffene und erst kürzlich wiederaufgelegte Buch mit Bildern, die sie als Fotografin der Presseagentur Associated Press in Afghanistan, im Irak, in Gaza oder Libyen schoss, genauso wie eine andere Schau, die ihr das Fotokunstzentrum C/O Berlin 2011 widmete. Es ist die erste Einzelausstellung mit Werken von Niedringhaus nach dem gewaltsamen Tod der Fotografin im April 2014 in der afghanischen Provinz Khost. Niedringhaus begleitete damals einen Konvoi, der Stimmzettel für die Präsidentenwahl auslieferte. Ermordet wurde sie von einem Polizisten, der sich damit für die Tötung von Familienangehörigen durch einen NATO-Angriff rächen wollte. Mit seinem Attentat traf er eine der schärfsten Gegnerinnen des Afghanistan-Kriegs.Geplant wurde die Ausstellung lange vor dem Tod von Anja Niedringhaus. Dicht an dicht hängen ihre Fotografien in vier Räumen des Museums, thematisch sortiert nach den Begriffen „Alltag und Spiel“, „Stille und Kontemplation“, „Kampfhandlung“ und „Verwundung und Trauer“. Ein kleiner Teil der Schau wird außerdem im benachbarten Pfalztheater gezeigt.Dass Niedringhaus’ Kriegsfotografien in einem Kunstmuseum zu sehen sind, ist nichts Außergewöhnliches. Bereits in den frühen Nullerjahren wurden Fotografien von ihr, die in den Jugoslawienkriegen entstanden sind, im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) ausgestellt. Damals begann man dort auch, ihre Bilder für die Museumssammlung zu erwerben. Niedringhaus’ Werke gingen aber auch in die Sammlung der Deutschen Börse, die als eine der herausragenden Unternehmenssammlungen für Fotokunst gilt. Es folgten Ausstellungen in der Neuen Galerie Graz, bei C/O Berlin, im Kasseler Kunstverein. Nein, die Musealisierung von Niedringhaus’ Werk ist kein neues Phänomen.Es heißt, dass Anja Niedringhaus zunächst irritiert gewesen war, als sich Museen bei ihr meldeten, die ihre Bilder zeigen wollten. Dass sie nicht begreifen wollte, was ihre für den Moment, für eine schnelle Veröffentlichung gemachten Fotografien in einer Ausstellung verloren hätten.Placeholder image-2Fotografiert hat Niedringhaus, Jahrgang 1965, schon als Schülerin, für die Lokalzeitung in ihrer Heimatstadt Höxter. Nach dem Abitur ging sie für die Kindernothilfe nach Indien, später studierte sie in Göttingen. Niedringhaus arbeitete weiter als freie Fotografin, ihre Bilder vom Berliner Mauerfall verschafften ihr 1990 eine erste Festanstellung bei der European Pressphoto Agency. Ihr erster Einsatz als Kriegsfotografin brachte sie ins umkämpfte Jugoslawien. Für ihre Fotografien aus dem Irakkrieg wurde sie 2005, gemeinsam mit neun anderen Fotografen der Agentur Associated Press, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Sechs bis acht Monate war sie pro Jahr in Krisenregionen unterwegs, dafür musste sie einen Großteil ihres Privatlebens aufgeben. „Kriegsfotografin zu sein, ist mehr als ein Beruf, wenn man ihn so intensiv macht wie ich. Aber ich bin glücklich damit“, sagte Niedringhaus.Was passiert mit ihren Fotografien, wenn sie aus der Zeitung und aus dem Netz ins Museum wandern? Das Interesse der Ausstellungshäuser an dokumentarischer Fotografie ist in den vergangenen Jahren jedenfalls stetig gewachsen. Waren es zunächst Künstler, die sich an der Grenze zur Dokumention bewegten, wie Wolfgang Tillmans, Larry Clark oder Nan Goldin, sind es heute immer mehr Pressefotografen, denen große Ausstellungen gewidmet werden: Martin Parr, Barbara Klemm, Robert Lebeck oder James Nachtwey. Eine „Ästhetisierung“ ihrer Werke ist dabei quasi unausweichlich, die Verschiebung des Blicks weg vom historischen Ereignis, von den Inhalten, hin zur Komposition, zur Bildsprache. In seinem Beitrag für das Buch über Anja Niedringhaus vergleicht Jean-Christophe Ammann, der frühere MMK-Direktor, ihre Arbeiten mit Werken von Georg Seurat, Caspar David Friedrich, Kasimir Malewitsch oder des chinesischen Konzeptkünstlers Liu Wei. Ist das nicht etwas weit hergeholt? Indem er Niedringhaus’ Bilder in ein kunsthistorisches Korsett zwängt, legitimiert er erst ihr Auftauchen im musealen Kontext. Natürlich sind auch Anja Niedringhaus kompositorische Farben, Wirkung und Farbigkeit ihrer Bilder wichtig gewesen. Sie arbeitete mit starken Kontrasten, mit großen Bildflächen. Fotografiert hat sie mit der Digitalkamera. Ihre Agentur hat Niedringhaus’ Bilder oft farbig vermarktet, so wurden sie meistens auch gedruckt. Für Ausstellungen und ihre Bücher bestand die Fotografin auf Abzügen in Schwarz-Weiß.Nach der AutopsieWichtig ist, wie solche Fotos präsentiert werden. In Kaiserslautern werden sie sehr sachlich, nüchtern gezeigt. Zu jedem Foto gibt es eine detailreiche Bildbeschreibung, wie sie bei Agenturfotografien üblich sind. Eine kleine Auswahl von Niedringhaus-Bildern stellt aktuell auch das Frankfurter MMK in seiner neuen Filiale in einem Luxushochhaus im Bankenviertel aus. Die Gruppenausstellung Boom She Boom zeigt ausschließlich Künstlerinnen aus der Sammlung des Museums. Dort, wo Niedringhaus’ Fotografien hängen, stehen sie lauter anderen Werken in Schwarz-Weiß gegenüber, einer minimalistischen Malerei von Jo Baer, einer Word Vitrine von Bethan Huws, den 32 schwarz-weißen Herren von Katharina Fritschs Skulptur Tischgesellschaft. Diese formale Klammer wirkt aufgesetzt. Rechts neben den Bildern von Niedringhaus wurde Teresa Margolles’ Arbeit Banco platziert. Die mexikanische Künstlerin formt diese Bänke aus einer Mischung aus Zement und dem Abwasser aus einem Leichenschauhaus. Es ist das Wasser, mit dem die Opfer von Gewaltverbrechen nach der Autopsie gewaschen werden. Tod, Gewalt, die getötete Fotografin: In einer solchen Aneinanderreihung der Werke verschwimmt alles zu einem Grundgefühl, geht die Differenzierung verloren.Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es ist natürlich hervorragend, wenn Anja Niedringhaus’ Fotografien heute in Kunstmuseen auftauchen. Man kann ihre Bilder gar nicht oft genug zeigen. Man kann sich auch gar nicht oft genug an ihre Arbeit erinnern. Als junge Fotoreporterin ist sie mit dem Wunsch angetreten, die Welt durch ihre Arbeit ein Stück besser zu machen. Als sie merkte, dass das naiv war, hat sie ihre Ziele revidiert. Dazu beizutragen, dass die Gräuel wenigstens nicht vergessen werden, war fortan ihre Maxime. „Wenn ich es nicht fotografiere, wird es nicht bekannt“, hat Anja Niedringhaus gesagt. Ihre Zeugnisse für weitere Präsentationen zu konservieren, dafür ist eine Museumssammlung tatsächlich der am besten geeignete Ort.Placeholder infobox-1
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