Wer zahlt, der hat

Stammzellforschung II Die Frage nach dem Embryonenschutz ist zu kurz gegriffen

Wer sich auf die Homepage der Bundesregierung begibt, wird darauf hingewiesen, dass trotz gegenteiliger Erklärungen von Forschungsministerin Bulmahn neue Entwicklungen in der Stammzellforschung eine Änderung der gesetzlichen Regelungen zwingend erforderlich machen könnten.

Es scheint also, als gäbe es gute Gründe, den Embryonenschutz in Deutschland erneut zu thematisieren. Und sicher lassen sich neben der Widersprüchlichkeit des Stammzellgesetzes auch noch andere Gründe für eine erneute Diskussion benennen, wie beispielsweise die Plausibilität des Konzepts der "Menschenwürde für Embryonen". Denn die Vorstellung, dass einem Zellverband in der Petrischale die gleiche "unantastbare Würde" wie einem lebendigen geborenen Menschen zuzusprechen sei, ist weder mit dem Alltagsverstand nachvollziehbar noch juristisch unproblematisch.

Die Stammzellforschung jedoch ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Embryonenschutzes zu betrachten hieße, einen Großteil der ethischen und gesellschaftlichen Probleme auszublenden. Dass nämlich die hohen medizinischen und ökonomischen Erwartungen, die mit der Stammzellforschung verbunden sind, auch therapeutisch umgesetzt werden können, ist keineswegs sicher. Vielmehr warnen gerade viele jener Mediziner und Biologen, die an Stammzellen forschen, vor all zu großer Euphorie. Stammzellforschung ist heute noch Grundlagenforschung. Während hierzulande akademisch-industrielle Joint-Ventures in der Biomedizin von Seiten des Staates finanziell und infrastrukturell gefördert werden, ziehen sich private Investoren auf dem Weltmarkt aus der Stammzellforschung bereits wieder zurück. Zu wenig realisieren sich therapeutische Verfahren, die sich in marktfähige Produkte umsetzen ließen.

Doch auch wenn man von den Schwierigkeiten bei der Entwicklung therapeutischer Verfahren einmal absieht und davon abstrahiert, dass Stammzelltherapien immer nur kurativ eingesetzt werden können, das heißt, erst angewendet werden können, wenn die Menschen bereits schwer erkrankt sind, selbst dann blieben bedeutende ethische und soziale Probleme ungelöst. So stellt sich beispielsweise die Frage nach den Kriterien der Anwendung: Wem sollen Stammzelltherapien zu Gute kommen? Soll es Altersgrenzen für Transplantationen geben - am Anfang wie am Ende des Lebens - und wer legt diese fest? Sollen individuelle Kompetenzen und soziales Verhalten eine Rolle spielen, in dem Sinne etwa, dass Alkoholiker keine neue Leber erhalten, solange sie nicht "trocken" sind oder Skifahrer für ihre Querschnittslähmung selber zahlen müssen, wenn sie einen Unfall selber "verschuldet" haben? Wie viele Ersatzorgane, -gewebe, -zellen soll ein einzelner Mensch nach welchen Kriterien erhalten - ein, zwei, drei oder mehr?

Nicht zuletzt stellt sich angesichts der aktuellen finanziellen Lage des Gesundheitssystems die Frage der Finanzierung: Sollen Stammzelltransplantationen in Zukunft als Grund- oder Wahlleistung öffentlicher Kassen gelten, mit oder ohne Eigenbeteiligung? Wem sollen diese Leistungen zukommen, nur deutschen Bürgern oder auch Asylbewerbern oder illegalen Einwanderern? Oder sollten es private Leistungen sein, die weltweit jedem zustehen, der sie finanzieren kann - was die Entwicklung eines neuen Industriezweigs, des Gesundheitstourismus, forcieren würde? Und blickt man über die nationalen Grenzen hinweg auf die armen Länder dieses Globus, stellen sich Verteilungs- und Patentfragen in einer noch weit größeren Dimension, wie die Auseinandersetzung um AIDS-Medikamente für Afrika und Teile Lateinamerikas beziehungsweise Ostasiens gezeigt haben.

Allein die hier nur angedeuteten Probleme machen bereits deutlich, dass eine Engführung der Debatte um die Stammzellforschung auf Fragen des Embryonenschutzes deren vielfältigen Folgeproblemen nicht gerecht wird. Neue biomedizinische Technologien wie die Stammzellforschung bringen vielmehr Veränderungen mit sich, die weit über den medizinischen Sektor und auch über ethische Fragen hinausreichen - sie betreffen die gesellschaftliche Wirklichkeit insgesamt: unsere Vorstellungen über Krankheit und Gesundheit, Leben und Tod, Individualität und Integrität ebenso wie die sozialen, politischen, rechtlichen und moralischen Umgangsweisen miteinander.

Dr. Alexandra Manzei ist Soziologin und arbeitet an der Technischen Universität Darmstadt


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