„Woran denken Sie, wenn Sie an Afrika denken?“, fragt Chris Nsamba. Sie denken an Krieg, an Hunger, an Katastrophen. „Nicht wahr?“ Das werde sich ändern, sagt Nsamba. Und was es dafür brauche, sei Hoffnung.
Der Weg dorthin führt vorbei an Blechhütten und unfertigen Einkaufszentren, an Straßenhändlern, die Bananen verkaufen oder lebende Hühner. Die richtige Abfahrt mündet in eine Gasse voller Schlaglöcher, schließlich in einer Siedlung. Dort, in einem Hinterhof in Ugandas Hauptstadt Kampala, arbeiten sie: Chris und Moses, Treasure und Derrick. Und 20 weitere Freiwillige, die beschlossen haben, dass ein Leben mehr wert sein muss als die paar Dollar am Tag, die sie verdienen. Sie bauen an Afrikas Lichtblick – hier, zwischen Abfällen und nasser Wäsche, spielenden Kindern und Frauen, die auf offenem Feuer das Essen kochen. An diesem ärmlichen Ort mitten in einem ebenso armen Land entsteht Afrikas erstes Raumfahrtprogramm.
Zehn Meter Hoffnung
Die Hoffnung parkt in Sichtweite unter einem Baum. Sie ist blau-weiß und hohl, hat zehn Meter Spannweite und eine Maximalgeschwindigkeit von 320 Kilometern pro Stunde. Das Flugzeug haben Nsamba und seine Jungs in den vergangenen Jahren gebaut. Jetzt steht es zwischen afrikanischen Wohnhäusern und wirkt, als hätte es jemand ins Bild geschnitten. Von den vielen Visionen, die in diesem Hinterhof erdacht werden, ist der Skyhawk eine der wichtigsten. Die Gruppe arbeitet außerdem an einer Drohne und einer Kapsel, die eine Maus ins All und zurück befördern soll. Aber eigentlich wollen sie selbst in die Luft, und der Skyhawk soll das ermöglichen.
Ein Flugzeug, so leicht, dass es bis in die Stratosphäre aufsteigen kann. 24 Kilometer hoch soll es fliegen. Immer noch weit weg von den Profis, von Weltraumspaziergängen und der Schwerelosigkeit. Aber nah genug an der Grenze zum All, um zu glauben, dass alles möglich ist. Auch in Afrika. Sie wollen Afronauten werden.
An diesem Sonntag hat es geregnet, nun geht über Kampalas Hügellandschaft eine sternenklare Nacht auf. In dem Hof, so groß wie ein deutscher Vorgarten, werden Holzbänke zusammengeschoben. Jemand bringt ein abgewetztes Sofa und einen Projektor, dann werfen sie einen Text an die Mauer, und Nsamba räuspert sich.
Begleitet vom Zirpen der Grillen doziert er über die Rotation der Erde, erklärt, dass sie die Winde ablenkt und ein Flugzeug schneller fliegen lässt, wenn es sich nach Osten bewegt. Er spricht Luganda, die Sprache der Baganda. Jedes der 40 Völker und jeder Stamm in diesem Land hat eine eigene Sprache. Nur ab und an mischt sich ein englischer Begriff in den Vortrag: east, west, vacuum. Manchmal muss Nsamba improvisieren. In Luganda gebe es kein Wort für Schwerkraft, sagt er. Also habe er eines erfunden.
Nsamba, 28 Jahre alt, hat das African Space Research Program (ASRP) gegründet. Er nennt es eine Mission. Nsamba hatte schon immer Sehnsucht nach den Sternen, das Gefühl ist ihm so vertraut wie Müdigkeit oder Hunger. „Im Westen muss es so einfach sein, in den Weltraum zu fliegen“, sagt er. „Ich verstehe nicht, warum das nicht alle machen.“ Seit er klein ist, träumt er von einem Ausflug ins All. Seit er den Nachbarskindern erklärte, dass diese Dinger am Himmel nicht Glühbirnen sind, sondern Sterne und Planeten, und dass sie zusammen eine Galaxie ergeben. Die anderen Kinder sagten, das sei Blödsinn, und weil sich Fünfjährige nur schwer überzeugen lassen, kann Nsamba damals nicht viele Freunde gehabt haben.
Heute kommen sie aus allen Ecken der Stadt, um von ihm zu lernen. Zumeist Männer: der Älteste fast 40, die Jüngsten im Schulalter. Ihre Hefte balancieren sie auf den Knien, obwohl sie in der Dunkelheit ihre eigene Schrift nicht lesen können. Das Beamerlicht wirft einen weißen Glanz auf ihre Gesichter. „Versteht ihr?“, fragt Nsamba immer wieder. „Ja, wir verstehen“, hallt es im Chor zurück.
Nsamba ist elf, als er beschließt, dass es Zeit ist zu fliegen. Aus einer Plane und Rohren baut er einen Paraglider und stellt sich auf einen Hügel in der Nachbarschaft. Er nimmt Anlauf, dann springt er. Eine Minute segelt er über die Äcker. Das nächste, woran er sich erinnert, sind Bananen. Er ist auf einer Plantage gelandet, und weil er wütende Stimmen hört, rennt er los. Seinen Gleitschirm lässt er zurück.
Bald darauf verlässt er Uganda und zieht zu seiner Schwester, die in Texas lebt. Er beendet dort die High School, heuert bei den US-Marines an und besucht Kurse in Astrophysik. Statt zu schlafen, lernt er, jede Nacht, von 22 bis 3 Uhr. Noch heute lebt Nsamba so. Wenn sich die Stadt zur Ruhe legt, knipst er seine Nachttischlampe an. Er habe die Raumfahrt, sagt er. Wofür sonst sollte es sich lohnen, wach zu bleiben?
So ein Spinner
2007 verließ er die USA und zog zurück nach Kampala. Er musste Geld verdienen und begann, Autos zu verkaufen. Wenn amerikanische Neuwagen im Hafen von Mombasa in Kenia ankamen, brachte er sie nach Uganda. 1.400 Kilometer legte er am Tag zurück. Manchmal, sagt er, seien die Überführungskolonnen überfallen worden, und überhaupt sei das nicht sein Ding gewesen. Also kündigte er und begann hinter dem Haus seiner Mutter mit dem Bau des Skyhawks.
Es sprach sich herum, dass so ein Spinner aus der Siedlung ins Weltall möchte. „Habt ihr das gehört?“, tuschelten die Leute. „Der hat sie nicht alle.“ Manchmal, erzählt Nsamba, stellte er sich dazu, wenn man über ihn sprach: Viele wussten seinen Namen, aber nicht, wie er aussah. „Kennst du diesen Typen, der ein Raumschiff bauen will?“, fragten sie ihn manchmal. Und er antwortete: „Nein, kenn ich nicht. Aber der muss ja völlig verrückt sein!“
Wenn du in der Raumfahrt arbeiten willst, sagt Nsamba, musst du wie Stein werden. Hart und unnachgiebig. Nsambas Vorbild ist Galileo Galilei. „Auch über ihn hat man gelacht“, sagt er. Nur leider habe Galilei am Ende geschwiegen. „Aber ich werde nicht schweigen. Ich weiß, dass ich das Richtige tue.“
Bald war Nsamba nicht mehr allein. Aus dem ganzen Land reisten junge Afrikaner an, um ihm zur Hand zu gehen. Wo zuvor ihr höchstes Ziel ein Universitätsabschluss gewesen war oder vielleicht ein Haus, wollten sie nun plötzlich in den Weltraum fliegen. Das All barg ein Versprechen – und so absurd das Vorhaben klang, schenkte es ihrem Dasein einen höheren Sinn. Nsamba nahm jeden auf. Die meisten wussten gerade einmal, dass die Erde sich um die Sonne dreht, den Rest hat Nsamba sie gelehrt. „Sie sehen die Welt jetzt mit anderen Augen“, sagt er, ganz so, als habe er die anderen erleuchtet. Es klingt auch wie eine Predigt, wenn er ihnen von den Sternen erzählt.
Falls etwas nicht gleich klappt, sagt Nsamba, musst du es wieder versuchen. Und dann noch mal. Und noch mal. Die Jungs sehen ihn an und nicken im Takt seiner Worte: again and again and again. „Er hat uns aufgebaut“, sagt Moses, einer von Nsambas Schülern. „Alles, was wir wissen, wissen wir von ihm.“ Moses Muwanguzi, 20 Jahre alt, war früher ein schlechter Schüler. Er hatte schlechte Noten und verstand nichts von Mathematik. Es interessierte ihn einfach nicht. Aber wenn er zum Himmel sah, wo Flugzeuge flogen, fragte er sich immer: Wie machen die das? Und ob es da oben wohl Straßen gibt?
Nach der heutigen Astronomiestunde hat sich Moses den Laptop genommen und sein Lieblingsprogramm gestartet, einen Flugsimulator. Das Bild ruckelt, die Grafikkarte ist zu schwach. Dennoch dirigiert er den Airbus sicher auf die Erde. „Irgendwann möchte ich auch so ein Flugzeug lenken“, sagt er. Sein Leben, erklärt Moses, bestehe aus zwei Dingen. Der Arbeit am ASRP und dem Flugsimulator. Wenn er nicht am Skyhawk schraubt, feilt er an seiner virtuellen Landung.
Warum suchst du dir keinen Job, Moses?
Er sieht auf. „In Uganda brauchst du Beziehungen, um an einen Job zu kommen. Aber ich habe niemanden. Nur Gott.“ Und das Raumfahrtprogramm.
Jeden Tag treffen sie sich in dem staubigen Hof. Sie beginnen gegen zehn, wenn die tropische Luft schon flimmert und die Straßenhunde im Schatten dösen. Dann arbeiten sie oft bis in die Nacht. Es zahle sich aus, sagt Nsamba: 2011 hätten sie mit einer Rakete die höchste Stufe der Erdatmosphäre erreicht. Bis zu 100 Kilometer über Uganda sei der Prototyp geflogen – laut internationaler Raumfahrtvereinigung die Grenze zum All. Bald wollen sie ein Lebewesen dort hinaufschicken, die Kapsel dafür haben sie selbst gebaut. Damit die Maus den Flug überlebt, muss der Innenraum gewärmt und mit Sauerstoff versorgt werden. Bis zu 18 Stunden täglich haben die Afronauten an der Konstruktion gebastelt. Wenn es sehr viel zu tun gibt, schlafen sie im Haus nebenan, wo Stockbetten aufgestellt sind.
Am nächsten Morgen arbeiten sie weiter: Treasure, ein ehemaliger Astronomiestudent, der nicht über das erste Semester hinauskam, weil sein Vater starb und er die Uni-Gebühren nicht mehr bezahlen konnte. Derrick, der als Kind mit einem Regenschirm aus dem Fenster sprang, so sehr wollte er fliegen. David, der sagt, Afrika sei immer von fremden Technologien abhängig gewesen. Es sei Zeit, das zu beenden.
Sie basteln alle unentgeltlich, sie zahlen sogar ein. Die Organisation lebt von Spenden, die die Mitglieder selbst überweisen. 263 Personen steuern derzeit etwas bei. Manche geben die Hälfte ihres Einkommens her, auch wenn sie nur 90 Dollar im Monat verdienen. Trotzdem sei das Geld knapp, sagen sie. Der Skyhawk sollte eigentlich schon 2012 flugfähig sein, doch mitten im Bau gingen ihnen die Mittel aus. 300.000 Dollar kostet der Bau, etwa die Hälfte fehlt. Für den Korpus reichte es, nicht aber für Motor und Armaturen.
Der Präsident von Uganda besichtigte das Vorhaben, auch die Wissenschaftskommission kam. Sie lobten die Arbeit des ASRP und versprachen Förderung. Doch davon, so erzählt Nsamba, sei nie etwas angekommen. Seit Wochen warteten sie auf die Erlaubnis, die Drohne zu testen und auch endlich eine Maus ins All zu schicken. Doch nichts geschieht. Der afrikanische Weg in den Weltraum führt nicht nur über Wissen, sondern auch über Misswirtschaft und den Staatsapparat. Währenddessen setzt ihre Hoffnung langsam Rost an.
Doch die Jungs glauben an ihr Projekt – und an Chris Nsamba. Nie würden sie ihn in Frage stellen. Dass seine Astronomie manchmal in Fiktion abdriftet, merken sie nicht. Nsamba hat bis auf einen Sommerkurs an einer Universität nie Raumfahrt studiert. Er kann eine Rakete bauen, aber er glaubt auch daran, dass Aliens unter den Menschen leben. Die Folien seiner Vorlesung beginnen mit den Worten: „Die Informationen in diesem Dokument stammen aus meinem Kopf.“ Nsamba erschuf nicht nur ein Raumfahrtprogramm, sondern einen Kult. Eine eingeschworene Gemeinschaft, die den Sternen huldigt und einem Propheten folgt: Chris Nsamba.
Wenn man Moses, Treasure, Derrick und David fragt, warum sie weiterarbeiten, sagen sie alle das Gleiche: Weil es etwas bedeutet. Weil es uns glücklich macht.
Der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry schrieb einmal: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Ob sie das Wasser erreichen, ist ungewiss.
Do-it-yourself-Raketen
Die Amateurraumfahrt hat in den vergangenen Jahren einen großen Schub erlebt. Das liegt zum einen daran, dass es einstige Hightech-Bauteile heute in jedem Elektronikmarkt gibt. Zum anderen hat etwa Google mit der Auslobung des Lunar-X-Prize für ein Wettrennen unter Bastlern gesorgt. 20 Millionen Dollar will Google demjenigen Amateurteam zahlen, dem es gelingt, ein Fahrzeug auf dem Mond zu landen und es dort mindestens 500 Meter weit fahren zu lassen. Mitfliegen soll der Rover allerdings bei einer professionellen Rakete kommerzieller Anbieter. In Deutschland basteln die „Part-Time Scientists“ um den Berliner Informatiker Robert Böhme an einem Gefährt namens Asimov, das das Preisgeld abräumen soll.
Auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter konnte man vor einigen Monaten eigene Minisatelliten ersteigern. Wer mindestens 300 Dollar für das Projekt des US-Amerikaners Zachary Manchester spendete, wurde Eigentümer eines drei Zentimeter großen Satelliten, der von dem Unternehmen SpaceX in 324 Kilometern Höhe ausgesetzt wurde und für kurze Zeit von dort Daten funkte.
Das ambitionierteste Amateurprojekt der bemannten Raumfahrt ist „Copenhagen Suborbitals“, eine dänische Freiwilligengruppe um den Ingenieur Peter Madsen. Er will mit einer selbstgebauten Rakete für vier Minuten ins All fliegen, knapp über die 100-Kilometer-Grenze. Ein Porträt von Peter Madsen findet sich im Freitag-Archiv hier.
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