Die NGO Breaking the Silence sorgte 2004 in Israel für Wirbel – 60 ehemalige Soldaten berichteten von Einsätzen in den besetzten palästinensischen Gebieten und Menschenrechtsverletzungen, an denen sie beteiligt waren. Ein schwerer Tabubruch, denn die „Israelischen Verteidigungskräfte“ (IDF) gelten als eine der unantastbaren Säulen des Staates: glorifiziert, identitätsstiftend, karrierebestimmend. Ihr Einfluss reicht tief in den Alltag, Politik und Wirtschaft hinein. Wer verweigert, wird oft als Verräter betrachtet und juristisch verfolgt. Vergeblich kämpfen Kritiker gegen die Militarisierung ihrer Gesellschaft. Die NGO sorgte auch und vor allem im Ausland für Aufmerksamkeit. Im April 2017 kam es zum Eklat, als Außenministe
ster Gabriel ihre Vertreter treffen wollte. Premier Netanjahu stellte ihm ein Ultimatum, das Treffen abzusagen, sonst stünde er für Gespräche nicht bereit. „Dass ich mich bei diesem wichtigen Thema auch mit Kritikern der israelischen Regierung treffe, ist weder ungehörig noch ungewöhnlich noch überraschend“, konterte Gabriel und ließ sich anders als andere europäische Regierungsvertreter nicht erpressen. Seit Jahren setzt die nationalreligiös dominierte Rechtsregierung kritische NGOs unter massiven Druck. Mit Erfolg.Auch hierzulande gibt es mittlerweile Gesprächsverbote: In München, Tutzing, Frankfurt und Berlin wurden israelische und jüdische Gäste ausgeladen, die die Besatzungspolitik kritisieren. Ihnen wurde pauschal und oft zu Unrecht vorgeworfen, die palästinensische Kampagne Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen (BDS) zu unterstützen und somit angeblich die Zerstörung Israels zu befürworten. In Tutzing wurde eine Tagung aufgrund „erheblicher Diskussionen“ abgesagt, es wurde behauptet, es sei nicht gelungen, „alle für das Thema maßgeblichen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner in angemessener Zahl zu gewinnen“. Man muss kein Freund der sehr ambivalenten Boykottbewegung sein, um hier einen Meinungsboykott zu sehen, der darauf zielt, die israelische Linke und Friedensbewegung nicht zu Wort kommen zu lassen. Gerade enthüllte Haaretz, dass die israelische Regierung amerikanische Anwaltskanzleien beschäftigt, um BDS in Europa und den USA gezielt zu bekämpfen. Die deutsche Ausgabe von Oliven und Asche, herausgegeben von Ayelet Waldman und Michael Chabon, kommt somit zeitig. Gemeinsam mit Breaking the Silence haben sie Autoren aufgefordert, mit ihnen nach Palästina zu reisen. Viele hatten dazu nicht den Mut – sie scheuten es, sich der Realität zu stellen, sich unter Umständen kritisch über die Besatzung äußern zu müssen, vielleicht als Antisemiten abgestempelt zu werden. Denn im Kontext des internationalen Rechtsrucks und wohl auch als Reaktion darauf wird Kritik schneller denn je als Antisemitismus disqualifiziert, sei es aus echter Angst oder politischer Instrumentalisierung. 24 Autoren aus Israel, Palästina und zwölf weiteren Ländern, darunter Mario Vargas Llosa, Colm Tóibín, Eva Menasse und Colum McCann schreiben anlässlich des 50. Jahrestages der Besatzung.Schießen und WeinenViele waren zum ersten Mal hier, andere kannten die Region nur oberflächlich. Waldman ist in Jerusalem geboren, hatte sich aber wie ihr Mann Chabon 22 Jahre lang von Israel abgewandt. Mit Oliven und Asche sind sie jetzt mit einem deutlichen Statement aufgestanden – sie wollen nicht länger schweigen und passiv am Unrecht mitwirken, sondern die Zustände am Ort bezeugen, sich öffentlich positionieren. Herausgekommen ist ein Werk, das selbst für Kenner des Nahostkonflikts überwiegend informativen, anregenden Stoff bietet. Lebhaft beschreibt es die Besatzung, die in ihrer Komplexität jeden Lebensbereich der Palästinenser betrifft, ihnen Freiheit und Menschenwürde raubt. Vargas Llosa beschäftigt sich mit den jüdischen Siedlungen in der Westbank, seiner Ablehnung von BDS und der Liebe zur israelischen Linken, deren „Art von Idealismus und Freiheitsliebe, wie man sie heutzutage in weiten Teilen der Welt vergeblich“ suche, er bewundert. Menasse stellt Walajeh, ein Dorf direkt an der Grünen Linie vor, dessen Häuser immer wieder von der israelischen Armee abgerissen werden, „jedes Mal um drei Uhr früh“. Man klagt Israel oder Israelis nicht an, ganz im Gegenteil, aber man lässt keinen Zweifel daran, dass die Besatzung beiden Seiten schadet und fordert dazu auf, endlich ein konstruktives Gespräch zu beginnen. Die Autoren spenden ihre Tantiemen Breaking the Silence – auch so geht Dialog.Im Juni erschien das Buch auf Hebräisch und Arabisch. Auf Arabisch hat es der palästinensisch-israelische Ko-Autor Ala Hlehel in Akko herausgegeben: „Ich will durch die Beschreibungen der ausländischen Autoren den Diskurs über die Besatzung neu anregen“, sagt er. Die hebräische Ausgabe wurde im Dorf Sussia in der israelisch kontrollierten Zone der Westbank präsentiert, dessen Bewohner sich bislang erfolgreich gegen die Zwangsräumung wehren – noch ein politisches Statement. Die israelische Kritik blieb nicht aus: „Wie kommen die dazu, uns über die Besatzung zu belehren, und warum wird nur die palästinensische Perspektive dargestellt?“, so ein Vorwurf. Die Herausgeber wurden als „selbsthassende Juden“, Antisemiten und Verräter beschimpft. In Haaretz nannte Oren Kakun das Buch literarisch und ideologisch uninteressant, „spießiger, linker Schmalz“, Orientalismus.Tatsächlich gibt es Fragen, etwa nach der Zielgruppe – Palästinenser erleben die Besatzung täglich, die meisten Israelis kennen sie aus Sicht der Besetzer. Warum erzählen, was sie bereits kennen? Wird ihnen ein Spiegel vorgehalten, der sie zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln oder ihrer Passivität zwingt? Sind ausländische Beobachter, berühmte Autoren glaubwürdigere Zeugen? Kann das Narrativ dieser Privilegierten, die die Krisenregion gleich wieder verlassen und meist zu Hause nicht einmal Friedensaktivisten sind, einen friedensfördernden Dialog beeinflussen? Gilt hier vielleicht ansatzweise ein ähnlicher Vorwurf, den manche israelische Linke Breaking the Silence machen: „Yorim ubochim“ – hebräisch für „Schießen und Weinen“? Sie kritisieren, dass die Aktivisten Privilegierte seien, die sich an Menschenrechtsverletzungen beteiligt haben und darüber dann selbstmitleidig klagen, um sich des schlechten Gewissens zu entledigen. Dass sie, meist im Ausland, als Helden des Widerstands erscheinen, aber zu Hause keine persönliche Verantwortung übernehmen oder Schritte unternehmen, um weitere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern.Fragen auf hohem Niveau, die das Buch nicht beantwortet. Es erscheint aber zu einer Zeit, in der andere weltpolitische Probleme die Besatzung schon fast in Vergessenheit gebracht haben: zur Normalität gewordenes Unrecht. Es tut not, daran zu erinnern, egal in welcher Sprache, aber immer mit dem notwendigen Respekt für alle Akteure. Schon deshalb ist diese Anthologie zu empfehlen.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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