„Habibi“ wurzelt in dem arabischen Wort „Hub“ für Liebe. „Lass uns über Sex reden, Schatz“ lautet demnach der neue Titel des preisgekrönten Berliner Journalisten Mohamed Amjahid. Mit Habibi spricht man im Arabischen auch einfach Kumpel an. Wer nun aber Geschichten aus Tausendundeiner Nacht erwartet, sieht sich rasch mit harten Fakten über die alltägliche Sexualität der Nordafrikaner:innen konfrontiert. Unumwunden geht’s ums Vögeln und Masturbieren, um Orgien und Liebeszauber: Von wegen sexuell frustrierte, prüde Araber! „Maroks sind Weltmeister*innen im Spaßhaben“, so Amjahid, der 1988 als Sohn von Gastarbeitern in Frankfurt am Main zu Welt kam und mit sieben Jahren mit seiner Familie nach Ma
ilie nach Marokko zurückkehrte. Seine tagebuchartige Reportage beruht auf eigenen Erfahrungen aus der Pubertät und späteren Recherchen in Marokko, Tunesien und Ägypten.Schon Autorinnen wie Leïla Slimani oder Shereen el Feki beschäftigten sich mit der muslimischen Sexualmoral und sexualpolitischen Fragen in der arabischen Welt, ganz zu schweigen von den Werken arabischer Feministinnen wie der marokkanischen Soziologin Fatima Mernissi. Amjahids Blick in die Intimzonen muslimischer Frauen, Männer und LGBTQ geht überraschend weit. Schein und Sein, das wird rasch klar, sind zwei paar Schuhe. Dabei verwebt er ernste Themen von toxischer Männlichkeit, sexualisierter Gewalt, Sextourismus und dem feministischen Befreiungskampf mit urkomischen Alltagsschilderungen.Tele-Imame tauchen hier auf, in deren religiösem Programm es „andauernd ums Ficken“ geht, oder er amüsiert sich über den Kauf von Gleitgel ausgerechnet bei salafistischen Apothekern. Er erzählt von Frauen, die bei der vorgeblichen Koranexegese über Scheidentrockenheit oder Gewürze gegen vorzeitigen Samenerguss diskutieren. Amjahid erinnert sich an den Biologieunterricht, in dem er nach Art des Bravo-Sexualberaters Dr. Sommer am Beispiel einer Banane über den Gebrauch von Kondomen referierte. Er informiert über „die Pille danach“, die in Marokko seit 2008 rezeptfrei erhältlich ist, sieben Jahre vor Deutschland, und streift differenziert die Debatten über den Schleier oder die Beschneidung. Er beleuchtet den enormen gesellschaftlichen Druck, heteronormative Beziehungen zu führen, und betont die Ambivalenz, dass LGBTQ ihre Sexualität zwar ausleben können, gleichzeitig jedoch oft in Lebensgefahr schweben. Queerness und Atheismus prägen Amjahids Perspektive.Wie schon in seinen vorherigen Büchern wirkt er rassistisch motivierten Vorurteilen entgegen, die sich auch am vermeintlich hypersexualisierten und frauenfeindlichen Sexualverhalten arabischer Männer festmachen. Zu den Auslösern seiner Auseinandersetzung gehörte die Kölner Silvesternacht 2015, in der nordafrikanische Männer Frauen sexuell belästigten oder gar vergewaltigten. Rechtsextremisten missbrauchten diese Vorfälle, um von den wenigen auf die Mehrheit zu schließen und Stimmung gegen Geflüchtete und migrantische Männer zu machen. „Sie alle wollen unsere Frauen vergewaltigen“, lautet seither der perfide Vorwurf. Der Politikwissenschaftler Amjahid hält dagegen, ohne unkritisch zu sein oder zu verklären. Vor allem aus rechtsextremen Kreisen wird er deshalb oft angegriffen, selten von brüskierten Muslim:innen oder Islamisten.Mit seinem neuen Buch entpuppt Amjahid sich als marokkanisch-deutsche Entsprechung der US-amerikanischen Sexualtherapeutin und Soziologin Dr. Ruth Westheimer: aufklärerisch, informativ, humorvoll und herrlich unterhaltsam. Wallah, Dr. Mohamed, let’s talk!Placeholder infobox-1