In der Warteschleife

Nahostkonflikt Die Palästinenser hoffen, dass Joe Biden Impulse für neue Verhandlungen gibt. Doch auch intern gibt es jede Menge Reformbedarf
Ausgabe 47/2020
Junge Palästinenser fühlen sich auf politischer Ebene oft ausgebremst
Junge Palästinenser fühlen sich auf politischer Ebene oft ausgebremst

Foto: Jaafar Ashtiyeh/AFP/Getty Images

Das Symbol der palästinensischen Befreiungsbewegung, das schwarz-weiße Tuch, über den Schultern: So trat Saeb Erekat bei den Friedensverhandlungen mit den Israelis in Madrid 1991 erstmals deutlich in Erscheinung. Der in den USA und England ausgebildete Politikwissenschaftler aus Jerusalem avancierte zum Chefunterhändler und nahm seither an fast jeder Verhandlung teil. Unter Israelis und Amerikanern war er berühmt-berüchtigt für seine Flexibilität und zugleich Rigidität, ein passionierter Vertreter der Zweistaatenlösung. Das Fatah-Mitglied war der Vertraute von Jassir Arafat, nach dessen Tod 2004 von Mahmud Abbas. Zwei Jahre nach einer Lungentransplantation starb der 65-Jährige vergangene Woche an Covid-19, die Autonomiebehörde verlor damit einen ihrer wichtigsten Diplomaten.

Die Palästinenser hatten sich Ende 2017 aus den Verhandlungen zurückgezogen, nachdem Präsident Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hatte. Erekat beschrieb den US-Friedensplan für die Nahostregion als „Betrug des Jahrhunderts“, der die Interessen der Palästinenser missachte und die Zweistaatenlösung begrabe. Im Sommer konnte gerade eben noch die von Trump befürwortete Annexion von 30 Prozent der palästinensischen Westbank abgewendet werden, doch der Preis war, dass Mitte September die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain ihre Beziehungen mit Israel normalisierten – andere Staaten könnten folgen. Von Rückzug aus den palästinensischen Gebieten, wie in der Arabischen Friedensinitiative vorgesehen, ist keine Rede mehr. Ein Trump’scher Coup im Sinne Israels, der für die Palästinenser einen irreversiblen Rückschritt bedeutet.

Die Aufgabe von Joe Biden wird es nun sein, Vertrauen zurückzugewinnen und den durch seinen Vorgänger angerichteten Schaden zu verringern, damit israelisch-palästinensische Gespräche wieder denkbar sind. Allerdings haben die Palästinenser kaum Hoffnung, dass die USA unter Biden plötzlich als neutrale Vermittler agieren werden. Sie setzen deshalb mehr auf die internationale Konferenz, die Abbas im September bei der UN-Generalversammlung vorschlug.

Vor 14 Jahren zuletzt gewählt

Bisher ist noch unklar, wer anstelle von Erekat künftig für die Palästinenser verhandelt. Als Kandidat gilt Majdi al-Khaldi, der diplomatische Chefberater von Präsident Abbas. Derzeit führt Botschafter Issa Kassissieh, Erekats Stellvertreter in der PLO-Verhandlungsabteilung, die Geschäfte. „Wir stehen weiterhin zur Arabischen Friedensinitiative von 2002 und hoffen, dass Präsident Biden sich ihr und den relevanten UN-Resolutionen wieder widmen wird“, sagt er. In dem auch als „Saudische Initiative“ bekannten Beschluss der Arabischen Liga waren Israel diplomatische Beziehungen angeboten worden, sollten die 1967 besetzten palästinensischen und arabischen Gebiete vollständig geräumt werden. „Es wäre ein wichtiges Signal, wenn die künftige US-Administration die von Trump geschlossene PLO-Vertretung in Washington und das US-Konsulat in Ost-Jerusalem wieder öffnen würde“, so Kassissieh. Eine Zweistaatenlösung, bei der die Grenzen von 1967 gelten, bleibe der einzige Weg, um Frieden und Wohlstand für alle zu erreichen, davon ist er überzeugt.

Afif Safieh, Diplomat und Auslandsrepräsentant der Palästinensischen Autonomiegebiete, hält es für unerlässlich, zu analysieren, warum sämtliche Verhandlungsversuche seit den Oslo-Vereinbarungen von 1993 bislang scheiterten. „Einer der größten Fehler war es, den verfeindeten Konfliktparteien am Ort zu viel zu überlassen, sodass Israels Regierung die asymmetrische Situation zu ihren Gunsten ausnutzen konnte“, sagt er. Ein Vierteljahrhundert der Diplomatie habe die Besatzung nicht beendet, sondern ausgebaut. Der Politikwissenschaftler kritisiert die „selbstauferlegte Impotenz der internationalen Gemeinschaft“. Ohne externen Druck sei ein erneuter Friedensprozess wenig zielführend. Afif Safieh drängt aber auch intern zu Reflexion, Dialog und Reformen. Vor 14 Jahren sei in Palästina zum letzten Mal gewählt worden, die palästinensische Führung bedürfe dringend der demokratischen Legitimation. „Wir brauchen außerdem eine Feminisierung der Politik, Frauen müssen dort vermehrt ihren Platz finden, ebenso junge Professionelle. Wir als ältere Generation dürfen die Zukunft der jüngeren nicht weiter in Beschlag nehmen“, so der Fatah-Vertreter.

Jüngere Palästinenser fühlen sich bei innovativen Ansätzen, mit denen sie Tendenzen von Stagnation und Resignation aufbrechen wollen, auf offizieller politischer Ebene häufig ausgebremst. „Wir brauchen Visionen und neue Strategien, um den Menschen das Vertrauen zur Politik zurückzugeben und ihnen zu bedeuten, dass ihre Stimmen zählen“, meint die Jerusalemer Dolmetscherin Areej Daibas.

Der palästinensische Unternehmer Sam Bahour erinnert daran, dass die Oslo-Bestimmungen zu einer räumlichen Trennung von Palästinensern in der Westbank, in Jerusalem und Gaza geführt hätten, zusätzlich zu den palästinensischen Flüchtlingen, die seit 1948 in Jordanien, im Libanon und in Syrien leben. „Diese erzwungene soziale Spaltung macht es schwierig, sich politisch neu aufzustellen, gleichwohl brauchen wir jetzt dringend Wahlen und müssen das völlig veraltete Parteiensystem erneuern“, so Bahour. 2019 schrieb er an den Präsidenten der Autonomiebehörde einen offenen Brief, in dem er umfassende Reformen forderte. Dazu gehöre, dass Abbas nicht weiter allein an allen vier entscheidenden Führungsposten der palästinensischen Politik festhalte. „Wir haben viel zu tun“, bemerkt Bahour selbstkritisch, „doch unsere internen Schwierigkeiten berechtigen niemanden, diese politisch gegen uns auszuspielen.“

Dass Deutschland die Zweistaatenlösung zwar unterstützt, den Staat Palästina aber noch immer nicht anerkennt, ist für ihn ein inakzeptabler Widerspruch.

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